Unter Piraten. Miriam Lanz

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Unter Piraten - Miriam Lanz

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See war noch immer unruhig. Immer wieder wurde sie von Wellen überspült und unter Wasser gedrückt, doch ihre Finger hatten sich um die Tischplatte gekrampft und gaben nicht nach - zumindest noch nicht. Die Erschöpfung nagte zunehmend an ihr.

       'Großer Gott, ich kann nicht mehr!'

      Ihre Augen brannten ob des Salzwassers; jeder ihrer Muskeln schmerzte. Ihre Finger waren taub. Ihr Nacken war steif - Gwyn hatte verzweifelt versucht, den Kopf so weit wie möglich über das Wasser zu recken.

      Längst hatte das Mädchen jedes Zeitgefühl verloren. Sie vermochte nicht mehr zu sagen, wie lange sie bereits auf der Holzplatte ausharrte, doch ihre Kräfte verließen sie, bis sie schließlich völlig erschöpft den Kopf auf ihre Arme legte und die tränenden Augen schloss.

      Auch die Angst, die sie bereits den ganzen Tag fest im Griff gehalten und ihr gleichzeitig als eine schier unerschöpfliche Quelle neue Kraft gespendet hatte, schien langsam zu verebben.

      Sie hatte nicht mehr die Kraft, einen klaren Gedanken zu fassen.

      Nur noch eine einzige Erkenntnis kreiste in ihrem Bewusstsein.

      ‚Ich werde sterben!'

      Erst als erneut Salzwasser über sie schwappte, sah sie hustend auf. In weiter Ferne, zwischen den Wellenbergen kaum erkennbar, erschien ein weißer, beinahe leuchtender Fleck. Schon Augenblicke später war der Fleck zu einem großen, geblähten Segel herangewachsen, das in der Abendsonne, die stellenweise durch die Wolkendecke brach, gelb-orange leuchtete.

      Beim Anblick des Schiffes, dessen Bug sich unermüdlich durch das aufgewühlte Meer schob, war ihre Müdigkeit verschwunden. Aufregung überkam sie.

      Das Schiff kam immer schneller auf sie zu. Ohne einen weiteren Gedanken an ihr Handeln zu verschwenden, begann Gwyn zu schreien; verzweifelt versuchte sie mit all ihrer verbliebenen Kraft das Rauschen des Meeres zu übertönen: „Hilfe! Bitte! Hilfe!“

      Allmählich wurde das Mädchen in den gewaltigen Schatten des Schiffes getaucht. Der Anblick, der sich Gwyn bot, war das Gigantischste was sie je gesehen hatte.

      Beinahe ehrfürchtig verstummte sie einen kurzen Augenblick, ehe sie ihre Hilfeschreie wiederholte.

      Plötzlich blickten zwei Männer über die Reling. Als Gwyn sie bemerkte, hob sie langsam den Kopf und löste ihre verkrampfte Hand von der Tischplatte. Doch ihr Arm war so schwer, dass sie ihn kaum noch anheben konnte. Sie starrte nur kraftlos auf die verschwommenen Umrisse der Männer. Für einen kurzen Augenblick waren sie verschwunden, doch dann erschienen weitere Gestalten an der Reling.

      Zwei von ihnen sprangen ins Wasser und schwammen zu ihr.

      Gwyn bemerkte kaum noch, wie die Männer sich an der Holzplatte festhielten. Einer zog sie in seine Arme. Die Erschöpfung übermannte sie und ihr wurde schwarz vor Augen.

      ---

      Kapitän Wilde zitterte und stützte sich auf einen noch bestehenden Teil der Reling. Seine weißgepuderte Perücke hatte er verloren. Sein eigenes dunkelbraunes Haar hing ihm wirr ins Gesicht. Das inzwischen eingetrocknete dunkelrote Blut einer Wunde hob sich deutlich von seinem blassen Gesicht ab. Auch auf seiner Uniform war Blut.

      Seine dunklen Augen schweiften über Deck.

      Die ‚Ventus’, eines der Schmuckstücke der Royal Navy, sah aus, wie nach einer verlorenen Schlacht: der hintere Mast, der Besanmast, war zersplittert und lag quer über Deck. Große Teile der Reling waren verschwunden oder standen in alle Richtungen ab. Alle Beiboote waren zerstört. Es grenzte an ein Wunder, dass sich das Steuerrad – stark beschädigt- noch auf seinem Platz befand. Das Bemerkenswerte aber war, dass der Kompass offensichtlich keinen Schaden genommen hatte.

      Überall an Deck lagen die Leichen der tapferen Männer, die den Sturm nicht überlebt hatten und die Körper derer, die noch um das Überleben kämpften.

      „Käpt´n, schnell Sir, Mr. Alester!“, rief Thunder plötzlich. Der Matrose war einer der wenigen, die noch einmal glimpflich davon gekommen waren. Außer einer leicht blutenden Wunde am Hinterkopf schien er unversehrt.

      Julian Alester wurde aus den Trümmern der Reling und mehrerer Kisten befreit. Der erste Offizier der 'Ventus' blutete aus Nase, Mund und Ohren; seine Augen waren geöffnet, starrten den jungen Kapitän an und doch in weite Ferne.

      Wilde unterdrückte nur mit Mühe ein Seufzen, bevor er sich zu seinem Offizier hinabbeugte, um seine Lider zu schließen, dann wandte er sich ab. Die meisten Leichen waren vor das Achterdeck gebracht worden. Wildes Blick schweifte kurz zu den toten Besatzungsmitgliedern. Auch Gray hatte den Sturm nicht überlebt.

      Dann hob er den Blick hinauf zur Großen Kabine. Die Tür war aus ihren Angeln gerissen worden und hing verkeilt im Türrahmen.

      Rechts neben der Tür war das Milchglas mehrmals gesprungen, das linke fehlte gänzlich.

       'Oh großer Gott!'

      Der junge Kapitän hastete zwei Stufen auf einmal nehmend die kurze Treppe hinauf zum Achterdeck. Erst jetzt waren ihm seine Passagiere wieder in den Sinn gekommen.

      Vor dem Türrahmen blieb er wie angewurzelt stehen. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet. Die verglaste Heckwand fehlte. Auch die Zierbalustrade war fort. Nur langsam senkte er den Blick. In der Heckkabine stand knöchelhoch das Wasser. Nur an den Außenwänden der einzelnen Kajüten, die in den Raum hineinragte, hatten sich einige Stühle, Bücher und Navigationsinstrumente gesammelt. Der Großteil des Mobiliars, einschließlich des schweren Eichentisches, fehlte.

       'Das darf doch nicht wahr sein!'

      Plötzlich blieb sein Blick an der linken Wand der Kajüte haften und seine Augen weiteten sich.

      Dr. Steward lag bewusstlos zwischen mehreren Stühlen und losem Holz.

       'Verdammt!'

      Wilde rief drei Männer zu sich, bevor er über die verkeilte Tür in die Achterkabine stieg und den Arzt vorsichtig befreite.

      Er war sehr blass; Blut lief ihm, von einer Verletzung über seinem Haaransatz, über das Gesicht.

      Im ersten Moment hielt der junge Kapitän ihn für tot, aber dann sah er, wie sich Dr. Stewards Brustkorb leicht hob und senkte.

      „Bringt ihn vorsichtig in seine Kabine“, befahl Wilde mit heiserer Stimme.

      Erst als sich die Männer daran machten, den verletzten Arzt vorsichtig anzuheben, dachte Wilde an Gwyneth.

      Mit ungewohntem Unbehagen, sah er sich suchend um. Doch das Mädchen war nirgends zu entdecken. Er stieg über die Stühle bis vor die Tür zu ihrer Kabine. Energisch klopfte er gegen die Tür.

      "Miss Steward?", fragte er, bevor er die Tür zu öffnen versuchte. Als sie nicht nachgab, stemmte er sich gegen das raue Holz. Langsam öffnete sich die Tür einen Spalt breit. Die Kabine war verwüstet, doch von dem Mädchen war nichts zu sehen.

      Langsam trat Wilde wieder hinaus aufs Achterdeck.

      Einige leicht verletzte Männer- unter ihnen Larsen und Moody- hievten gerade den umgefallenen Mast von ihren Kameraden, um denen zu helfen, denen man noch helfen konnte.

      Nach

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