Für Freiheit, Lincoln und Lee. Michael Schenk

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Für Freiheit, Lincoln und Lee - Michael Schenk

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Friederike dann Friedrich Baumgart und seine Brüder in der Paulskirche kennengelernt hatte, war dies nur dem Umstand zu verdanken gewesen, dass ihre Mutter sich vehement weigerte, sich für Politik zu interessieren. „Es heißt nicht umsonst, dass uns der König von Gottes Gnaden regiert“, pflegte Karolina stets zu betonen. Sie war dem Interesse ihres Mannes für Demokratie eher unverständig begegnet. Friederike spürte, dass ihre Mutter allerdings eine inständige Liebe zu Josef Ganzweiler empfinden musste, denn sie hatte dem Gatten stets beigestanden. Ja, Karolina hatte sicherlich ihre guten Seiten, auch wenn Friederike sich durch ihre Mutter zunehmend eingeengt fühlte.

      „Leinen los“, kommandierte Timothy Arguille.

      Zischend und prustend stieß die kleine Dampfmaschine eine Rußwolke in den Himmel. Friederike sah Funken aus dem spargeldünnen Schornstein aufsteigen, während das Boot sich von der Anlegestelle löste.

      „Obacht, da vorne, Simmons“, befahl Arguille. „Haltet von der Pinasse da vorne klar.“

      Der Mann an der Ruderpinne der Dampfbarkasse, sie verfügte nicht über das Steuerrad der größeren Schiffe, legte das Steuerholz nach links und das Boot zog nach rechts herum. Wasser klatschte an den hölzernen Rumpf. Als sie an einem einfahrenden Schiff vorbeikamen, wurde der Rumpf von den Wellen ruckartig angehoben und gesenkt. Karolina legte ihre Hand vor den Mund und in ihrem Gesicht kämpften Blässe und Röte miteinander.

      Gekonnt steuerte die Dampfbarkasse aus dem Hafen heraus. Vor ihnen breitete sich die Reede aus, wo die meisten der großen Schiffe ankerten. Während ihre Mutter mit aufkeimender Übelkeit kämpfte, beobachteten Friederike und ihr Vater interessiert die ankernden Schiffe.

      „Welches davon ist die Celeste, Herr Leutnant?“, erkundigte sich Josef Ganzweiler.

      „Der große Dampfsegler, direkt voraus. Mit dem schwarzen Rumpf und den weißen Aufbauten“, erklärte Arguille bereitwillig. „Die R.M.S. Celeste ist erst vor vier Jahren in Liverpool vom Stapel gelaufen.“

      „Was heißt eigentlich R.M.S.?“, fragte Friederike und lächelte Arguille an. Sie bemerkte, dass er unter ihrem Blick leicht errötete. Zumindest vertiefte sich seine Bräune. Sie fand, dass ihm das gut stand.

      „Royal Mail Ship, königliches Postschiff“, erläuterte der Seeoffizier. Er räusperte sich und schien unter Friederikes Blick unsicher zu werden. „Wir fahren Liverpool, Hamburg, New York, und ich denke, wir dürften das schnellste Schiff auf der Strecke sein. Wir haben zwei Whittney-Pratt-Dampfmaschinen, die direkt auf die beiden Schaufelräder wirken. Wir können mühelos zwölf Knoten Dauergeschwindigkeit fahren.“

      „Und wofür haben Sie die Segel? Rahbesegelung, nicht wahr?“

      „Oh, Sie kennen sich gut aus, gnädiges Fräulein.“ Arguille sah Friederike überrascht an. „Ja, wir haben drei Masten mit Rahbesegelung. Nur für den Fall, dass mit dem Dampfantrieb etwas nicht in Ordnung ist.“ Er bemerkte Karolinas Blick und fügte rasch hinzu: „Nur für alle Fälle, aber ich versichere Ihnen, wir hatten noch nie Probleme mit den Maschinen. Sind äußerst zuverlässig.“

      „Hoffentlich wackelt das Boot nicht so wie dieses“, seufzte Karolina.

      „Schiff, Mama“, sagte Friederike automatisch. „Das da vorne ist ein Schiff. Das hier, das ist ein Boot.“

      „Hauptsache“, sagte Karolina, „es wackelt nicht so.“

      Kapitel 4 Erkenntnisse

      Die Sonne brannte unbarmherzig auf das Deck der Marbelle. Es war derart heiß, dass der Teer zwischen den einzelnen Planken weich wurde und an den Sohlen der Schuhe zu kleben begann. Friedrich Baumgart fragte sich unwillkürlich, wie die barfüßigen Besatzungsmit­glieder dies aushielten. Immer wieder wurden Eimer mit Wasser aus dem Meer gezogen und über die Holzplanken geschüttet. Zwischen den Masten war das Beiboot der Marbelle auf hölzernen Auflagen festgezurrt. Auch das Boot wurde immer wieder mit Wasser gefüllt. Lerousse erklärte ihnen, dass sich das Holz sonst derart verziehen könne, dass das Boot undicht wurde. Die einstigen Kanonenpforten des Schiffes waren geöffnet, damit etwas Luft in das überhitzte Zwischendeck gelangte. Den dunkelhäutigen Besatzungsmitgliedern machten die Temperaturen kaum etwas aus.

      „Berber“, knurrte der Maat der Marbelle. „Zähe Kerle. Aber wendet ihnen nie den Rücken zu, wenn ihr etwas Wertvolles in den Taschen habt.“

      Inzwischen schlenderte auch Kapitän Jean de Croisseux öfter auf dem Deck seines Schiffes entlang. Oft wirkte er in Gedanken versunken und es war bewundernswert, mit welcher traumwandlerischen Sicherheit er Leinen, Krampen und Ösen an Deck auswich. Er schien jeden Zentimeter seines Schiffes in- und auswendig zu kennen. De Croisseux hob sich deutlich vom Rest der Mannschaft ab. Er trug nun eine Uniform, wie die Brüder sich dies bei einem Seeoffizier immer vorgestellt hatten. Über der weißen Hose einen langen, zweireihig geknöpften dunkelblauen Rock und dazu eine weiche und ebenfalls dunkelblaue Schirmmütze. Den Rock hatte er offen und man erkannte darunter einen braunen Ledergürtel, in dem sich die obligate doppelläufige Pistole befand.

      Einmal hatte Karl behauptet, eine fremde Stimme gehört zu haben, aus der Kajüte des Kapitäns. Aber keiner der anderen hatte sie vernommen und Karl war sich zu unsicher, um de Croisseux danach zu fragen.

      „Was versprecht ihr euch von Amerika?“, fragte der Kapitän eines mittags unvermittelt, als die Brüder Baumgart und Bernd Kahlmann gerade dabei waren, im Schatten des Großsegels auszuruhen.

      „Capitaine?“ Friedrich sah den großen Mann irritiert an.

      De Croisseux lachte leise. Sein Alter war schwer einzuschätzen. Er mochte um die Fünfzig oder auch älter sein. Die langen Jahre auf See hatten ihre Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Sein rundliches Gesicht war von einem graumelierten Vollbart eingerahmt, über dem zwei blaue Augen blitzten. Er strahlte eine Freundlichkeit aus, die in krassem Gegensatz zu der Ausstrahlung stand, die von seinem Schiff und dessen übriger Mannschaft ausging.

      „Ihr hättet euch doch auch in der Republik niederlassen können.“ Er sprach das Wort Republik mit einem merkwürdig verachtenden Ton aus. „Warum zieht es euch nach Amerika?“

      Friedrich zuckte verwirrt die Achseln. „Also, eigentlich weil unser Hauptmann es erwähnt hat.“

      „Hauptmann?“

      „Wir waren seit 48 dabei“, erklärte Friedrich.

      „Auch in der Paulskirche“, sagte Karl eifrig. „Bei den Versammlungen.“

      „Bei den Versammlungen“, wiederholte de Croisseux mit monotoner Stimme. Er lachte leise. „Glaubt ihr wirklich an die Gleichheit der Menschen? An unveräußerliche Rechte?“

      „Äh, ja“, meinte Friedrich zögernd. „So ist es doch auch in Amerika, nicht wahr? Ich meine, die haben doch damals gegen den englischen König revoltiert und ihre Freiheit erstritten. Eben wegen der Gleichheit der Menschen. Da drüben, in Amerika, sind alle Menschen gleich und sie sind frei.“

      Der Kapitän lachte nun lauthals. Die Brüder sahen ihn verwirrt an, während dem älteren Mann die Tränen über die Wangen liefen. De Croisseux nahm seine Mütze ab, wischte sich das Wasser aus den Augen und setzte die Kopfbedeckung wieder auf. Dann sah er die vier Deutschen belustigt an. „Es ging nicht um die Freiheit. Es ging um die Steuern. Um Geld. Es geht immer nur um Geld. Habt ihr von der Bostoner Teeparty gehört?“ Er lachte erneut. „Die Yankees haben

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