Für Freiheit, Lincoln und Lee. Michael Schenk

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Für Freiheit, Lincoln und Lee - Michael Schenk

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      Die Landschaft hatte dichte Wälder, die ihnen notfalls Unterschlupf und etwas Schutz vor dem Wetter boten. Zudem gab es Beeren, essbare Wurzeln und Pilze. Verhungern mussten sie nicht. Aber sie mussten sich in Acht nehmen. Vor Gendarmen, Jägern und vor dem Wild. Eine Nacht verbrachten sie gemeinschaftlich auf einem Baum, bis sich unter ihnen ein wilder Eber nach einer anderen Mahlzeit umsah. Von da an mieden sie den dichten Wald.

      Der Weg nach Frankreich erwies sich als schwieriger, als sie sich dies vorgestellt hatten. Die meisten Menschen in den Orten und Gehöften, an denen die drei Brüder vorbei kamen, hatten selbst nicht viel oder fassten keinerlei Vertrauen zu den Fremden.

      Irgendwie schafften sie es, sich zumindest eine Mahlzeit durch Taglohnarbeit zu sichern. Indem sie immer wieder Holz spalteten, Zäune oder Dächer reparierten und jede Arbeit annahmen, die ihnen geboten wurden. Manchmal gab man ihnen nur die Erlaubnis, Wasser aus dem Ziehbrunnen zu trinken und mitunter nicht einmal das.

      Eines Tages war es so weit, dass ihre Mägen knurrten und sich keine Möglichkeit fand, in Tagelohn zu kommen.

      „Es bleibt uns nichts übrig“, seufzte Friedrich. Er fühlte sich für seine Brüder verantwortlich und ein Vorschlag fiel ihm schwer. „Wir müssen zumindest das stehlen, was wir zum überleben brauchen.“

      Eigentlich ließen ihr Stolz und ihre Erziehung es nicht zu, aber was sollten sie tun?

      „Du versündigst dich“, murmelte Karl erblassend. „Stehlen ist Sünde. Und außerdem haben die Leute doch selbst nicht viel.“

      „Mag sein“, gab Friedrich zu. „Aber wir haben noch weniger. Brüder, ich sage doch nur, dass wir das Notwendigste nehmen. Wenn ich vor der Wahl stehe, zu verhungern oder etwas zu stehlen, dann entscheide ich mich für letzteres.“

      „Ich mich auch“, stimmte Hans zu und der knurrende Magen unterstrich den Standpunkt des Jüngsten.

      Da sie sich gegen den Herrn versündigen würden, stimmten die Brüder Baumgart demokratisch darüber ab und so wurde Karls Widerwillen überstimmt. Auch derjenige, der ihre Schnappsäcke notfalls mit langen Fingern füllen sollte, war rasch gefunden. Der 15-jährige Hans war der kleinste, schnellste und hatte die schärfsten Augen von ihnen. In der Gegend von Schmelz fanden sie genügend kleinere Gehöfte und ihr Hunger war groß genug, um den Versuch zu wagen. Ihre Wahl fiel auf einen kleinen Hof, der, wie ihr elterlicher, in einem kleinen Seitental lag. Dieser hier war auf drei Seiten von dichtem Wald umgeben. Neben Bauernhaus, Stall und einem Heuschober fiel ihr Augenmerk auf mehrere Gehege, in denen laut gackernde Hühner herumliefen. In einer kleinen Suhle neben einem Trog wälzten sich mehrere Schweine und Ferkel. Auch auf dem Hof selbst liefen einige Hühner frei herum. Einen Hund sahen sie nicht und auch keine Menschenseele.

      „Frei laufende Hühner“, sinnierte Friedrich. „Da braucht man nicht einmal in ein Gehege. Da müsste man schon ein oder zwei abgreifen können.“

      So setzten sich Friedrich und Karl auf den Boden eines Hanges, in der Deckung von Büschen und Bäumen, und konnten so aus guter Deckung den Hof beobachten, während Hans sich daran machte, ein oder zwei der Hühner in ihr Eigentum zu überführen. Eigentlich sollte der Jüngste, im Sichtbereich der Brüder, ebenso rasch zugreifen wie auch wieder verschwinden. Aber Hühner sind flink und laut, wenn sie das Gespür haben, dass es um ihren Hals geht. Die beiden älteren Baumgarts mussten unwillkürlich lachen, als sie die Versuche des Jüngsten sahen, eines der Tiere habhaft zu werden. Immer wieder entwischte das Objekt der Begierde und hinterließ in der Luft schwebende Federn.

      „Da kommt wer.“ Karl richtete sich halb auf und deutete auf das Haus hinunter. Dort war jemand aus der Tür getreten und wollte feststellen, was der Tumult zu bedeuten hatte. „Entweder packt Hans es jetzt oder er muss den Rückzug antreten.“

      Sie sahen, dass Hans wie unter einem unsichtbaren Schlag zusammenzuckte, aber sie hatten keinen Schuss gehört. Ihr Jüngster blieb stehen und rieb sich den Arm. Der Mann vor dem Haus trat auf ihn zu. Nein, kein Mann.

      „Herr im Himmel“, seufzte Friedrich. „Das ist ja noch ein Knirps.“

      Der Junge mochte acht Jahre alt sein. Aber er schien keinerlei Furcht vor dem größeren Hans zu haben. Sie sahen, wie die beiden miteinander sprachen, konnten jedoch nichts verstehen. Karl nahm missmutig einen kleinen Zweig und zerbrach ihn. „Er bräuchte dem Kleinen nur einen ordentlichen Schubs zu geben und wir hätten das Huhn.“

      „Sich mit dem Burschen prügeln?“ Friedrich sah seinen Bruder vorwurfsvoll an. „Was ist mit dir los, Karl? Soll Hans sich an einem Wehrlosen vergreifen?“

      „Er oder wir“, sagte Karl bestimmt. „Wir brauchen was zu essen.“

      „Gott im Himmel, bist du wahnsinnig?“ Friedrich wollte es kaum fassen. Sicher, Karl und Hans waren immer ein wenig heißblütig, doch der Gedanke, sich an einem Kind oder einer Frau zu vergreifen, war ihm unvorstellbar. Er wies mit einer ausholenden Geste um sich. „Wir haben Pilze, Beeren, essbare Blätter und Wurzeln. Wir müssten nicht verhungern.“

      Das Wild erwähnte Friedrich nicht. Wild gehörte immer zu irgendeinem Herrschaftlichen, der das Jagdrecht hatte. Und bei Wilderern machte man noch immer kurzen Prozess. Da waren die Herren unnachgiebig.

      „Die gehen ins Haus“, stellte Karl fest.

      „Was?“ Friedrich blickte wieder hinunter zum Hof und sah gerade noch, wie Hans und der Junge im Haus verschwanden. „Herr im Himmel, was ist denn nun los?“

      Karl erhob sich. „Wir müssen runter und ihm helfen.“

      „Warte noch.“ Friedrich beobachtete einen Mann, der aus dem Heuschober trat und nun kopfschüttelnd zum Haus hinüber ging. Der Mann sah kräftig aus und trug eine Forke, die selbst auf diese Entfernung beunruhigend aussah. Doch der Mann stellte sie neben den Eingang des Hauses, bevor er eintrat.

      Eine ganze Weile später trat Hans aus dem Haus, blickte zum Hang hoch, wo seine Brüder warteten und winkte unbefangen. Dann kam er zu ihnen herauf. Seine Brüder bestürmten ihn mit Fragen. Hans grinste sie an und öffnete seinen Schnappsack. Er hatte einen frischen Laib Brot darin und auch eine halbe Wurst und etwas Käse.

      „Der Junge hat dir wohl den Schneid abgekauft“, sagte Karl und biss herzhaft in ein Stück Wurst. „Was war da los?“

      „Der Bursche hat eine Schleuder und weiß damit umzugehen“, sagte Hans lachend. „Aber wir haben Glück. Sie haben einen Sohn, der war bei Struves Freischärlern.“

      „Ist nicht wahr.“ Karl sah auf den Hof hinunter. „Gott, ich hätte selbst hinunter sollen.“

      „Ja, mit deinem Zweispitz“, bestätigte Friedrich. „Beim nächsten Hof sollten wir das vielleicht machen.“

      „Beim nächsten Hof sind es vielleicht Königstreue“, warf Hans ein. „Dann würde es kein Brot geben, sondern Keile.“

      Friedrich leckte sich die Finger ab. „So, Brüder. Jetzt gehen wir hinunter zu ihnen und bedanken uns. Vielleicht können wir ihnen ein wenig zur Hand gehen.“

      Hans und Karl sahen ihn verwundert an. Doch dann nickten sie.

      So schlugen sie sich durch. In stillem Einvernehmen war der Vorsatz, notfalls zu stehlen, aufgegeben worden. Irgendwie schafften sie es immer, für Tagelohn zu arbeiten und eine Mahlzeit zu bekommen. Notfalls ernährten sie sich von den Früchten des Waldes und manchmal hungerten sie auch.

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