Grüße von Charon. Reinhold Vollbom
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»Bringen Sie ihn erst mal auf’s Revier, um die Fingerabdrücke zu nehmen.« Kommissar Barlocki wies einen der Beamten an, George Talgar mitzunehmen. Beide waren im Begriff die Villa zu verlassen, da wären sie fast mit einer anderen Person zusammengestoßen.
»Henning!«, stieß George Talgar fassungslos aus.
Der Angesprochene sah ihn mit bedeutungsvoller Miene an. »Ich weiß, dass ich Henning sehr ähnlich sehe. Ich bin sein Bruder Hilmar.«
George Talgar ist der Glanz in den Augen des anderen nicht entgangen. So glänzen nur die Augen von Siegern.
Die Zwillingsschwestern
»Du? Was willst du denn hier?!« Die Augen von Margot Pulsek weiteten sich verdutzt bei diesen Worten. Ihr ein wenig angegrautes braunes Haar hob die scharfen Gesichtszüge besonders hervor. Die Person, die ihr wie ihr eigenes Spiegelbild gegenüberstand, hatte Schwierigkeiten mit einer Antwort.
»Ich dachte, Schwestern müssen doch zusammenstehen …«
»Komm rein«, erklang es knapp und konsequent.
Gehorsam betrat Helene Gratmeyer die großzügig ausgestattete Villa ihrer Zwillingsschwester. Ein flüchtiger Blick genügte ihr, um zu erkennen, dass sich in den letzten fünf Jahren nichts geändert hatte. So lange war es her, dass ihre Schwester sie hier rausschmiss. Kurz nachdem ihr Schwager starb, hatte sich das Verhältnis der beiden zunehmend verschlechtert. Margot Pulsek, die nach dem plötzlichen Tod ihres Ehemannes wirtschaftlich unabhängig war. Und sie, dass geruhsame Mauerblümchen, das um jeden Krümel von ihr bettelte.
»Wie viel?« Margot Pulsek sah ihre Schwester mit durchdringendem Blick an.
»Ich verstehe nicht …?«
»Tu nicht so, Helene. Dir liegt doch nichts an unserer geschwisterlichen Beziehung. Ich kenne dich lang genug. Das Geld, das ich dir damals gab, nachdem du auszogst, ist sicherlich aufgebraucht. Also sag mir wie viel und verschwinde wieder.«
Hierfür hasste sie Margot über alles. Dieses Kluge, Besserwisserische das sie von sich gab. Noch mehr bereitete ihr Verdruss, dass ihr klar war, dass Margot recht hatte. »Er hat mich sitzen lassen, der Schuft.« Helene fiel es schwer, diese Worte hervorzubringen. Aber sie war nicht in der Lage ihr etwas zu verheimlichen.
»Habe ich dir damals nicht gleich gesagt, lass diesen Taugenichts sausen?! Aber nein, meine Schwester war pikiert, wie ich so über ihre große Liebe reden konnte. Du lernst es nie!«
Helene hatte mit einer Standpauke gerechnet. Die Worte schmerzten sie aus diesem Grunde nicht. »Er hat einen Haufen Schulden gemacht und ist mit meiner Freundin durchgebrannt.« Gleich darauf nannte sie ihrer Schwester die Summe, die sie benötigte.
Sekundenlang war es totenstill im Zimmer. Schließlich antwortete ihr Margot Pulsek mit verhaltener, aber hartnäckiger Stimme. »Das ist ja ein Vermögen, mit dem er sich abgesetzt hat. Wie ist er denn an so viel Geld herangekommen?«
»Das weiß ich auch nicht. Höchstwahrscheinlich erschwindelt. Nachdem ich seinerzeit für ihn eine Bürgschaft unterschrieben hatte, hält die Bank sich nun an mich. Entweder ich kann zahlen oder ich kann mir bei dieser Summe gleich einen Strick nehmen.«
»Liebe Helene, ich will es kurz machen. Du wirst einsehen, dass ich mich nicht für meine Warnungen über diesen Faulpelz umsonst beschimpfen ließ. Andererseits dafür auch noch bezahle, dass ich recht hatte. Das haut nicht hin. Ein wenig Geld würde ich dir zur Verfügung stellen. Nur wäre die Summe, die ich dir geben könnte, ein Bruchteil dessen, was du benötigst. Das macht keinen Sinn. Also bekommst du gar nichts.«
Helene war außer sich. Hiermit hatte sie nicht gerechnet. Mit Beleidigungen, Beschimpfungen und dergleichen schon, aber nicht mit einer derart kaltschnäuzigen Abweisung. Nein, damit hatte sie nicht gerechnet.
Margot Pulsek sah das panikhafte Flackern in den Augen ihrer Schwester. Sie hatte ihre Lehre weg. Dieser Schock würde ihr guttun. Kurz darauf drehte sie ihr behäbig den Rücken zu. Ein Zeichen, für jeden der sie kannte, dass das Gespräch beendet war.
Helene Gratmeyer würgte nach Luft. Vor ihren Augen tanzten winzige schwarze Punkte. Jetzt und hier das Bewusstsein verlieren? Nein, niemals die Blöße vor dieser eiskalten Bestie ... War es möglich, für ihre Schwester noch irgendein Gefühl aufzubringen? Die Antwort gab sie sich selber, indem ihre rechte Hand, wie von Geisterhand geführt, zur Buchstütze aus Marmor auf dem Kaminsims griff. Ein Schlag, ein einziger Schlag und da lag sie vor ihr: regungslos.
Sie hatte keine Erinnerung daran, wie lange sie schon so dastand, mit der schweren Buchstütze in der Hand. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Dann kniete sie sich neben die am Boden Liegende. War sie tot? Nein, ein ganz leises Röcheln drang noch aus ihrem Hals. Jetzt, wo sie so da lag, kam ihr ihre Schwester hilflos vor, wie sie selber. Für sie war es, als würde sie selber, Helene Gratmeyer, vor ihr liegen.
Kaum, dass sie diesen Gedanken gedacht hatte, reifte eine Idee in ihr heran: Helene Gratmeyer war tot, aber Margot Pulsek lebte.
Es dauerte nicht lange und aus der blitzartigen Idee entstand ein Konzept. Sie übernahm die Rolle ihrer Schwester! Was gab es zu beachten? Cyril, der Diener, schoss es ihr durch den Kopf. Er hatte heute Ausgang. Freitag war sein freier Tag. Allerdings war Cyril schon betagt und würde nicht sofort bemerken, dass mit seiner Herrin unter Umständen etwas nicht stimmte. Außerdem hatte sie die Möglichkeit ihn kurzfristig, mit einer Abfindung, auf das Altenteil zu schicken.
Nun galt es Margot in ihre Wohnung, am anderen Ende der Stadt, zu bringen. Sie beugte sich zu ihr herunter. Es war ein leises Röcheln zu vernehmen. Helene Gratmeyer sah sich suchend im Zimmer um. Der Cognac, er stand wie immer an seinem vorgesehenen Platz. Flugs ergriff sie die Flasche und hielt sie ihrer Schwester an den Mund. Nachdem sie ihr eine größere Menge eingeflößt hatte, begab sie sich zum Hintereingang des Hauses. Wie früher, schmunzelte sie. Der Wagen stand ebenfalls an der gewohnten Stelle. Nachdem sie zurückkam, war ihre Schwester erwartungsgemäß tot. Sie hatte lange genug im Krankenhaus gearbeitet, um derartiges korrekt einzuschätzen.
Mit einem Erste-Hilfe-Griff zog sie ihre Schwester zum Hintereingang und verstaute sie auf dem Rücksitz des Fahrzeugs. Gleich darauf begab sie sich wieder ins Haus. Sie holte die Schuhe der Toten, die sie beim Herausschleppen verlor. Wenige Minuten später war sie mit dem Auto unterwegs zu ihrer Wohnung.
Auf dem Parkplatz des Mietshauses angekommen, hielt sie mit dem Wagen neben der Kellertreppe. Ein Blick in die Runde. Niemand beobachtete sie. Kurz darauf schleppte sie die Tote die Treppe hinunter zum Aufzug. Im zweiten Stock angekommen, horchte sie in das Dunkel des Treppenflurs hinein: Nichts. Es war nahezu lautlos. Nur die nichtverständlichen Worte eines lärmenden Fernsehers waren zu hören.
Helene Gratmeyer legte ihre tote Schwester nahe der geöffneten Badezimmertür ab. So ähnlich hatte sie vor einigen Tagen hier ebenfalls gelegen. Sie kam aus dem Bad und rutschte im Türrahmen aus. Und die Obduktion bei Margot würde obendrein einen erhöhten Alkoholpegel im Blut bestätigen. Sie war demnach ein wenig unaufmerksam, glitt aus und schlug mit dem Hinterkopf auf. Ein bedauerlicher Unglücksfall, wäre die wahrscheinlichste Diagnose.
Bevor sie gleich darauf die Wohnung verließ, platzierte sie die Flasche Cognac auf den Tisch. Daneben stellte sie ein Glas, in dem sie einen Fingerbreit Weinbrand füllte. Daraufhin schaltete