Merveille du monde - Das Geheimnis der zweiten Welt. Yvonne Tschipke

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Merveille du monde - Das Geheimnis der zweiten Welt - Yvonne Tschipke

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gespürt – oder gewusst. Wie auch immer.

      Ob ungewohnt oder nicht, Tara gefiel ihr Leben hier in dieser Welt. Und eigentlich hätte sie es für nichts, aber auch wirklich gar nichts jemals wieder aufgegeben.

      Kapitel 10

      Die Tage vergingen und es schien so, als ob Taras anderes Leben in ihrem Bewusstsein immer mehr verblasste. Sie fühlte sich sehr wohl in ihrem Leben hier, dem Leben hinter der gläsernen Tür, die dieses Geheimnis verborgen hielt. Es war so ganz anders, als ihr richtiges Leben. Obwohl, Tara konnte noch immer nicht so genau sagen, welches nun das wirkliche und welches das unwirkliche war. War ihr Leben in Merveille du monde, wie die andere Welt genannt wurde und in der sie nun lebte – oder auch immer schon gelebt hatte - nur erträumt? Etwas, das Tara sich so sehr wünschte, dass es ihr schien, als wäre es Wirklichkeit geworden? Dann musste es ein langer und tiefer Schlaf sein, in dem sie sich befand. Aber, wenn es ein Traum war, dann war es ein wunderschöner und Tara wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er hoffentlich nie enden würde.

      Doch wenn dieses Leben hier kein Traum war, warum gab es dann das andere – das Leben jenseits der Hütte im Wald? Das Leben, in dem Tara nie so glücklich gewesen war, wie jetzt hier. Weshalb hatte sie dann diesen langen Ausflug, wie ihre Mutter es nannte, in diese andere Welt unternommen und war nicht schon viel eher zurückgekehrt? War sie nur aus Versehen dorthin gelangt? Oder in vollem Bewusstsein? Und warum hatten ihre Mutter Marie, ihr Vater Felix und Josia ebenfalls Portale in ein anderes Leben?

      Fragen, Fragen, Fragen – auf die Tara noch keine Antwort gefunden hatte.

      Doch sie versuchte, nicht so oft über ihr anderes Leben nachzudenken. Überhaupt geschah das meist nur dann, wenn sie sich in ihrem Zimmer befand und die gläserne Tür sah. Sie vermisste nichts von dem, was da draußen war.

      Außer vielleicht Nina.

      Tara fragte sich oft, wie es ihr gehen würde. Vermisste Nina sie? Oder vermisste sie überhaupt irgendjemand? Immerhin musste all den anderen doch ganz sicher bereits aufgefallen sein, dass Tara verschwunden war. Suchten sie noch nach ihr?

      Am Abend, nachdem Tara durch die Tür nach Merveille du monde gekommen war, hatten Leute die Gegend im Wald bei den Drachenfelsen abgesucht. Mit hellen Taschenlampen leuchteten sie jeden Winkel des Felsens aus. Tara hatte sie eine ganze Weile dabei beobachtet. Irgendwann ließ sie allerdings die dunkelgrüne Jalousie herunter, weil sie das Blenden der Taschenlampen nervte – und beunruhigte. Dabei wusste Tara doch ganz genau, dass die Menschen da draußen nur die kleine alte Hütte sehen konnten, wenn sie überhaupt noch dort stand.

      Ob ihre Eltern da draußen sie vermissten? Ob sie traurig waren? Vielleicht – aber eher wohl nicht. Sie hatten sich sowieso nie dafür interessiert, ob Tara da war oder nicht. Es war ihnen egal, wann und wohin sie ging oder was ihre Tochter tat, Hauptsache sie war ihnen nicht im Weg. Sie waren nur mit sich beschäftigt. Mit sich und ihrer Art zu leben. Sicher, früher einmal muss da so etwas wie Liebe oder Zuneigung und Geborgenheit gewesen sein. Tara konnte sich wohl nur nicht mehr daran erinnern. Das war zu lang her. Vielleicht war sie da auch noch ein Baby gewesen. Doch inzwischen war da nichts mehr als ein unüberwindbarer Graben. Und unten lauerten Sorgenkrokodile, die jeden auffraßen, der beim Versuch, den Graben zu überwinden, hinab in die Tiefe stürzte. Ihre Eltern in dem anderen Leben waren in ihren eigenen Sorgen und Problemen ertrunken, die sie wiederum versuchten, gleichermaßen zu ertränken. Den lieben langen Tag. In klebrigem Likör und bitterem Bier.

      Marie und Felix waren da ganz anders. So herrlich normal, wie Eltern eben sein sollten. Am Tag, wenn Tara und Josia in der Schule waren, gingen sie zur Arbeit. Marie war Arzthelferin in einer Kinderpraxis. Felix arbeitete als Computerexperte in einer Firma, die irgendwelche Bauteile für Autos herstellte. Am Abend trafen sie sich alle in der Küche. Sie aßen gemeinsam und erzählten von ihrem Tag. Gut, es gab natürlich auch hin und wieder Streit und Probleme. Warum auch nicht? Sie waren eben eine völlig normale Familie.

      Die Menschen hier in Merveille lebten nicht anders als die Menschen da draußen. Es war die gleiche moderne Welt. Dieselben Menschen, dieselben Landschaften, dasselbe Geld – völlig gleich und doch auf eine besondere Art ganz anders.

      Nein – Tara vermisste das andere Leben nicht im Geringsten. Und wie war es bei Josia? Dachte er noch oft an sein Leben hinter der Tür? Wie sah sein anderes Leben eigentlich aus? Was hatte er erlebt?

      Tara nahm sich vor, ihren Bruder danach zu fragen. Doch das war gar nicht so einfach. Die meiste Zeit hing er mit seinem besten Freund Yaris zusammen. Die beiden waren fast unzertrennlich. Tara fand das nicht schlimm, sie konnte Yaris sehr gut leiden. Zugegeben, sie fand den Freund ihres Bruders noch dazu sehr hübsch – seine blauen Augen und sein kurzes blondes Haar, das immer wild in alle Richtungen zerstrubbelt war, hatten es ihr angetan. Und nicht nur ihr. Wenn Yaris über den Schulhof ging – er und Josia waren ein Jahr älter als Tara und ihre Freundinnen - steckten die Mädchen tuschelnd und kichernd ihre Köpfe zusammen und sahen ihm, wenn er vorbei war, mit großen verzückten Augen hinterher.

      Jedenfalls war es nicht leicht, Josia wirklich mal alleine anzutreffen. Außer am Abend, aber da blieb oft keine Zeit, ihn nach seinem Leben hinter dem Portal auszufragen. Eigentlich wurde in ihrer Familie auch kaum über die Portale gesprochen. Die Türen waren eben da, wurden aber nicht mehr oder weniger beachtet, als sonst irgendein Fenster in der Wand. Nur mit dem Unterschied, dass sie niemals oder nur ganz selten geöffnet wurden. Und auch Tara hatte ihre Tür, seit sie hier hergekommen war, immer verschlossen gehalten. Vielleicht aus Angst, nie mehr zurückkehren zu können, wenn sie diese noch einmal durchschritt.

      Doch Taras Neugier, dem Geheimnis von Josias Portal auf die Spur zu kommen, wurde mit der Zeit immer größer. Sie wurde so groß, dass Tara an einem Nachmittag in sein Zimmer schlich. Josia war nicht da. Er war mit Yaris verabredet und würde ganz sicher erst später nach Hause zurückkehren.

      Vorsichtig öffnete Tara die Tür zum Zimmer ihres Bruders. Noch einmal schaute sie sich um, ob sie auch niemand beobachtete. Dann trat sie ein und drückte die Tür hinter sich wieder zu. Josias Zimmer sah ein wenig chaotisch aus. Naja, schließlich war er ein Junge. Auf dem Fußboden neben dem zerwühlten Bett stapelten sich Zeitschriften. Der Schreibtisch sah nicht viel besser aus. Und alle Klamotten, die Josia einmal getragen hatte und die danach für die Waschmaschine im Keller bestimmt waren, türmten sich wie ein expressionistisches Kunstobjekt neben der Tür auf. Mama würde toben, wenn sie es sehen würde, dachte Tara amüsiert. Vielleicht mochte er deshalb nicht, wenn jemand ungefragt sein Zimmer betrat. Nunja, jetzt verstand Tara das - absolut.

      Die dunkle blaue Jalousie an Josias Portal war herunter gelassen. Zögernd ging Tara auf die Tür zu. Einige Sekunden blieb sie unschlüssig davor stehen. Sollte sie wirklich? Doch dann siegte die Neugier, die das Mädchen schon seit Tagen gefangen hielt. Tara griff nach der Schnur und zog daran. Die Lamellen der Jalousie schoben sich langsam nach oben zusammen und gaben nach und nach den Blick auf Josias Portal frei.

      „Was soll das? Tara!“ Erschrocken fuhr das Mädchen herum. An der Zimmertür stand Josia und sah sie mit großen Augen an. Doch dann zog er die Augenbrauen fest zusammen. So wütend hatte Tara ihren Bruder noch nie erlebt. Blitzschnell kam er mit langen Schritten auf Tara zu und schlug ihr die Schnur aus der Hand. Die Jalousie, die Tara schon fast bis ganz nach oben gezogen hatte, sauste mit einem zischenden Geräusch wieder bis zum Boden.

      „Was machst du hier?“, fragte Josia ärgerlich. Taras Herz klopfte wie wild. Sie spürte, wie ihr die Hitze von den Fußzehen bis hinauf zu den Haarspitzen kroch. Sie wollte etwas sagen, doch der Schreck hatte ihr die Stimme geraubt.

      Josia sah, dass er Tara mit seiner Wut ziemlich erschrocken hatte. Es tat ihm augenblicklich leid. Deshalb atmete er ein paar

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