Merveille du monde - Das Geheimnis der zweiten Welt. Yvonne Tschipke

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Merveille du monde - Das Geheimnis der zweiten Welt - Yvonne Tschipke

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nicht, weshalb das so war. Draußen im Wald – da liebte sie die Einsamkeit. Aber gleichzeitig sehnte sie sich auch nach jemandem, der hier in der Wohnung auf sie wartete und dem sie davon erzählen konnte, was sie den Tag über erlebt hatte. Sie sehnte sich nach jemandem, dem sie von ihren Ängsten erzählen konnte. Tara sehnte sich nach jemandem, der stolz auf sie war, wenn sie was Tolles erreicht hatte. Und auf den sie stolz sein konnte. Ja, Tara sehnte sich so sehr danach, dass es in ihr drin richtig schmerzte. Und es tat auch weh, wenn die anderen in der Klasse sie mieden. Wenn sie einen Bogen um sie machten und heimlich – oder auch nicht ganz so heimlich – hinter ihrem Rücken tuschelten und lachten.

      Endlich beachtet, endlich wahrgenommen werden, endlich dazu gehören – Tara konnte sich schon nicht mehr entsinnen, seit wann sich dieser Wunsch in ihrem Herzen festgesetzt hatte. Interessant für andere zu sein, nicht durch das, was sie hatte, sondern einfach dadurch, w e r sie war – dieser Gedanke erfüllte ihren Körper mit einem prickelnden warmen Gefühl. Nachts, wenn sie mal wieder nicht einschlafen konnte, dann stellte sie sich vor, jemand ganz anderes zu sein. In ihren Gedanken bastelte sie sich ein Leben, in dem sie glücklich sein konnte. In dem sie beliebt war. Ein Leben, in dem sie als Regisseur bestimmen konnte, was als nächstes passieren würde.

      Doch leider war es ganz anders. Scheinbar war nach wie vor Nina der einzige Mensch in ihrer Nähe, der sich wirklich für sie interessierte. Jemand, der die Frage „Wie geht es dir?“ nicht einfach so dahin sagte, sondern ernst meinte. Jemand, der auch wirklich eine ehrliche Antwort darauf erwartete.

      Menschen stellen diese kleine Frage tagtäglich viele Male. Oft mit einem Lächeln im Gesicht – ob aufrichtig oder aufgesetzt, wer weiß das schon. Doch wenn ihr Gegenüber zur Antwort ansetzt, sind sie mit ihren Gedanken schon längst weiter gezogen.

      Keiner will wirklich hören, wie es dem anderen geht. Keiner will etwas von Schmerzen, ganz gleich ob körperlich oder seelisch, erfahren. Niemand will seinen Kopf und schon gar nicht sein Herz mit Problemen des Anderen belasten. Anscheinend genügte ein „Danke, gut“ als Antwort in den allermeisten Fällen, um das Gewissen des Fragestellers zu beruhigen.

      Tara hatte das gelernt, schon sehr früh. Selbst, wenn einer der Lehrer in der Schule das ständig müde wirkende Mädchen fragte, ob denn mit ihr alles in Ordnung sei, vermied sie es, die Wahrheit zu sagen und beließ es im Normalfall bei einem „Ja, es geht schon. Alles okay.“

      Dass zu Hause, was auch immer das in ihrem Fall bedeutete, sich keiner so recht dafür interessierte, wie es ihr ging, auch daran hatte sich Tara inzwischen gewöhnt. Ihre Eltern wollten nichts mit Tara zu tun haben. Und sie eigentlich auch nichts mit ihnen. Das war ungefähr seit der Zeit so, als Tara es gewagt hatte, die Art, wie ihre Eltern die Tage verbrachten, zu hinterfragen. Es war zwar nicht leicht in der viel zu engen Wohnung, doch Tara versuchte, so gut es eben ging, ihren Eltern aus dem Weg zu gehen. Dieses unausgesprochene Arrangement fanden wohl beide Seiten äußerst zufriedenstellend.

      Trotzdem wünschte sie sich viel mehr Normalität in ihrem Leben. Oder vielmehr das, was sie bei anderen Familien in ihrem Umfeld für Normalität hielt. Denn wer konnte schon durch die vorgezogenen Gardinen und bunt gestrichenen Fassaden sehen und erkennen, wie es dahinter wirklich war.

      Tara schloss die Tür ab, angelte auf dem kleinen Wandregal nach den Streichhölzern und zündete die kleine orangefarbene Kerze auf dem Tisch an. Das warme flackernde Licht breitete sich in Windeseile im ganzen Zimmer aus, es kroch in alle Ecken und verlieh dem Raum mit den alten schäbigen Möbeln so etwas wie Gemütlichkeit. Dann öffnete das Mädchen den alten Schrank, griff tief in eines der Fächer und zog unter den zerknitterten Klamotten schließlich ein kleines gelbes Büchlein heraus. Taras Tagebuch. Dem konnte sie anvertrauen, was sie erlebt hatte. Ihm konnte sie ihre Wünsche und Sehnsüchte verraten. Ihm konnte sie ihre Tränen zeigen. Es konnte zwar nicht antworten, dafür aber hervorragend zuhören. Doch Tara musste das kleine gelbe Buch gut verstecken. Man konnte nie wissen, wer am Tag hier herein schneite. Das Zimmer ließ sich nur von innen verschließen.

      „Heute ist mir etwas Komisches passiert“, schrieb Tara auf die nächste freie Seite, als sie es sich auf ihrem Bett bequem gemacht hatte. „Bei den Felsen stand plötzlich eine Hütte. Ich bin mir sicher, dass sie da noch nie war. Oder habe ich sie bisher übersehen, weil sie gut versteckt im Gebüsch steht? Und dann das Rauschen – ich weiß nicht, woher das kam. Aber irgendwie hatte ich das komische Gefühl, dass ich ganz glücklich war da draußen an der Hütte. Dass ich genau dort hingehöre. Dass das mein Platz in dieser Welt ist.“

      Kapitel 3

      Es wurde eine unruhige Nacht für Tara. Irgendwann war ihr Vater vor dem Fernseher wieder aufgewacht und hatte das Gerät lauter gestellt. Und auch ihre Mutter, wie schon so oft am späten Nachmittag für ein längeres Nickerchen im Schlafzimmer verschwunden, war zurück ins Wohnzimmer gegangen. Die beiden sprachen laut miteinander, ja, wahrscheinlich stritten sie sogar. So genau konnte Tara das nicht erkennen.

      Das verwaschene Wörter–Knäuel ließ sie einfach mal wieder nicht einschlafen. Selbst wenn sie sich das Kopfkissen auf die Ohren presste – das unangenehme Gemurmel vermochte sie nicht zu dämpfen.

      Doch dann – mitten in der Nacht - wurde es wieder still und Taras Gedanken glitten hinüber ins Reich der Träume.

      Tara kämpfte sich durch das stachlige Gebüsch. Die Dornen zerkratzten ihr Arme und Gesicht. Doch das machte ihr nichts aus – ganz im Gegenteil. Die Vorfreude auf das, was die dichten Zweige verbargen, ließ sie die Schmerzen ertragen.

      Dann sah sie sie. Die Hütte. Sie stand noch immer da, genauso wie am Nachmittag. Aber nun begann der windschiefe Holzhaufen sich zu drehen, solange, bis Tara vor der Tür stand. Sie wollte darauf zugehen, aber sie stolperte und landete auf den Knien. Tara hörte ein Knarren. Sie sah auf. Vor sich erblickte sie die kleine Tür, die im selben Augenblick wie von Geisterhand geöffnet wurde. Und da war auch wieder dieses Rauschen. Es hörte sich fast so an, als ob ein starker Wind durch den Wald peitschte. Tara schoss ein gleißender Lichtstrahl entgegen. Sie musste sich die Augen mit den Händen bedecken, um nicht geblendet zu werden. Gerade in dem Augenblick, als sie die Hütte betreten wollte, hörte sie von irgendwoher ihr Lieblingslied.

      Mühsam öffnete Tara die Augen.

      Sie rieb sich mit den Händen ein paar Mal kräftig über das Gesicht und sah sich gähnend um. Sie lag in ihrem Bett. Und das stand nach wie vor in ihrem Zimmer.

      Ihr Lieblingslied war echt – der Weckton auf ihrem Handy. Alles andere war ein Traum. Tara seufzte.

      Ein Sonnenstrahl tanzte durch das Zimmer und machte die kleinen Staubkörnchen sichtbar, die durch die Luft schwebten. Die kleine Uhr über dem Bücherregal an der gegenüberliegenden Wand sagte ihr, dass es bereits halb sieben war. Höchste Zeit aufzustehen. Tara streckte und reckte sich seufzend. Die Nacht war alles andere als erholsam. Genau wie auch schon die Nächte vorher. Am liebsten wäre sie liegen geblieben. Und noch viel lieber hätte sie den Traum weiter geträumt. Vielleicht hätte er ja auch das Geheimnis der kleinen Hütte preisgegeben.

      So ein Quatsch, dachte Tara nur einen Augenblick später und schüttelte den Kopf über ihre eigene Dummheit. Es war und bleibt ein Traum, sagte sie sich in Gedanken und seufzte, während sie schwungvoll die Decke zurückschlug, sich aus dem Bett schob und hinüber ins Bad schlurfte.

      Viertel Acht klingelte es unten an der Tür. Tara schnappte sich ihren Rucksack und zog die Wohnungstür hinter sich zu. Es war wohl besser, wenn Nina nicht bis hier herauf kam. Der scharfe Geruch, den die Armee leerer Bierflaschen im Flur verströmte, zog so langsam aber sicher auch ins Treppenhaus. Das war Tara ziemlich peinlich, denn bei Nina zu Hause duftete es nach Rosen, Veilchen und Lavendel. In jeder Ecke!

      „Morgen“,

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