Von den Göttern verlassen II. Sabina S. Schneider
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Die Fenster in Magrem waren nie behangen, denn sie ließen das lebensnotwendige Licht hinein. Nie völlig dunkel, schwamm die Stadt in einem Zwielicht, in einem stets andauernden Dämmerungszustand, der nur bei solch einer Edelsteinansammlung heller erleuchtet schien als der Tag selbst.
Serena sehnte sich nach der Dämmerung. Nicht dunkel, nicht licht. Die meisten Streitigkeiten der Klans entstanden, wenn die lichtempfindlichen Augen der Airen in dem Regenbogenkonzert des Lichts sich blind anrempelten, da war sich Serena sicher. Zu stolz, sich zu entschuldigen, blieb nur die Konfrontation.
Serenas Blick verfing sich dankbar in dem dumpfen Brokatstoff, fand Frieden in dem Kampf der Edelsteine. Die Anspannung fiel von ihr ab, ihre Glieder relaxten ein wenig unter der schweren Airenkleidung. Fell und Edelsteine. Serena hatte jeden Spiegel gemieden, um nicht zu erblinden und sehnte sich nach einer einfachen, erdfarbenen Tunika. Eins werden mit dem Wald, sich dort verlieren.
Doch im Moment fühlte sie sich aufdringlich, aggressiv. Ihre Kleidung schrie nach Herausforderungen. Wenn sie die Hallen in diesem Aufzug verließe, würde sie von einem Duell zum nächsten stolpern. Dass sie die meisten Airen um drei Köpfe überragte, spitzte die Situation nur unnötig zu. Die Airen waren ein neidische Volk und ein grummeliges.
Während Serena an den Frieden des Waldes dachte und ihren Augen eine Ruhepause gönnte, schloss sie den Lärm, der sich wie Gezanke von Waschweibern anhörte, aus ihrer Welt. Bis ihr Unterbewusstsein bei einem Namen aufhorchte und sie zur Konzentration zwang: Zorghk. Mit Verachtung ausgesprochen, als wäre es etwas widerwertig Schmutziges.
„Bei der Übergabe, damals. Alle gestorben. Nur Zorghks Leiche wurde nie gefunden. Man hat ihn gesehen. Mehrere Male erkannt. Jetzt, wo Zerelf zurück ist, soll er hier aufgetaucht sein.“
Serena machte die Sprecher aus. Sie hatten sich vom Tisch zurückgezogen, standen abseits, wie Serena. Sie versuchte, ihre Gesichtszüge zu erkennen. Doch ihre Augen schmerzten und suchten, sich nach Erleichterung sehnend, wieder nach dem dunklen Stoff des Vorhanges.
„Als Führer der Leibgarde und Beschützer der Diplomatin darf man nicht überleben. Man stirbt als erster.“
Serena hörte schweren Stoff rascheln.
„Überleben tun nur die Feiglinge.“
„Und Verräter!“ Die kleinen Männer grummelten sich selbst zustimmend an.
„Das Mädchen. Ist sie die Tochter von Diplomatin Marihanna?“
„Sie hat den Talisman bei sich.“
Serena wusste nicht, welche Worte aus wessen Mund flossen, doch sie vernahm sie deutlich.
Zerelf – allein diesem Anhänger hatten sie es zu verdanken, dass man sie in den Mauern von Magrem willkommen geheißen hatte. Die Festung in den Bergen war uneinnehmbar. Wen die Airen nicht in ihr Land hineinlassen wollten, der hatte nur die Wahl geschlagen wieder abzuziehen.
Leichen wurden den Berggeiern überlassen. Riesige Aasfresser, die sie den ganzen Weg hoch in das Gebirge begleitet hatten, darauf wartend, dass einer umkippte. Gier in ihren Augen glänzend, und Hunger. Grässliche Vögel.
„Aira. Das ist doch kein Name für eine Airin“, schimpfte der eine und der andere grunzte zustimmend.
Serenas Wangen röteten sich ein wenig. Sie mochte den Namen. Sie hatte ihn Aira gegeben.
Die beiden Airen rollten mehr, als sie gingen, aus Serenas Hörweite.
Serena zwang ihre Augen wieder zum Kernpunkt des Geschehens. Der Schmerz war nicht mehr ganz so stechend. Langsam gewöhnte sie sich an die glitzernde Farbenvielfalt. Ihr Blick suchte tastend die Halle ab und fand, was er begehrte.
Aira saß an dem langen U-förmigen Tisch, nicht weit vom Kopfende. Sie war umzingelt von Airen, die wild durcheinander versuchten, Aira die verschiedenen Clanoberhäupter, ihre Debütanten, Verschwägerungen und Konfliktpotentiale zu erklären. Stoisch, doch mit Panik in den Augen, blickte sich Aira um, versuchte sich Namen zu merken, Gesichter und Ränge.
Serena hatte Mitleid. Seit dem ersten Tag wurde Aira gequält mit Geschichte, Traditionen, Namen, Aussprache und Etikette. Andauernd schwirrte jemand um sie herum, sagte ihr, was sie tun musste, wie sie denken sollte und was sie wie auszusprechen hatte.
Serena hatte nicht vor, Aira zu verheimlichen, was sie gerade gehört hatte. Sie brauchte Sicherheit und mehr Informationen. Wenn sie genaueres herausgefunden hatte, würde sie mit Aira sprechen, alles andere würde nur Zeit kosten.
Serenas Blick glitt zur anderen Seite der Tischreihen. Dort saß Malhim, tief verstrickt in ein Gespräch mit mehreren Airen. Nicht weit von ihm standen Mof und Aragar, ihren Kronprinzen nicht aus den Augen lassend. Die Senjyou trugen ihre Tuniken, hatten jedoch einen edelsteinbesetzten Pelzumhang wie alle um. Fast doppelt so groß wie ein durchschnittlicher Airen, überragten sie die Gesellschaft. Ein Grund, warum Malhim immer saß und nur aufstand, um von A nach B zu gelangen.
Serena bewunderte seine Hingabe. Seit sie die Stadt betreten hatten, war er von einem Treffen zum nächsten rotiert. Ob er aß oder schlief, wusste sie nicht. Doch seine Schatten würden schon über ihn wachen.
Vor allem Haril.
Haril versuchte sein Unbehagen zu verbregen, doch das Zucken seiner Augenbrauen, wenn ein Airen ihn ansah, anrempelte oder schlimmer noch ansprach, verriet seinen inneren Aufruhr. Der Hofmagier war in Elemir, der Hauptstadt der Senjyou, für seine Abneigung gegenüber Airen bekannt.
Mof und Aragar dagegen waren wie Statuen, standen still da und schienen nicht einmal zu atmen. Kein Necken, kein Lächeln, kein Zwinkern in den Augen. Nur Härte. Doch es gab ja auch nichts zum Lachen.
Salmon und Garif konnten nicht über den Prinzen wachen.
Serenas Herz krampfte sich zusammen. Auch wenn sie sich nicht daran erinnerte, was passiert war und die Helden nicht hatte fallen sehen, marterte sie der Anblick der leblosen Körper, kurz bevor ihre leeren Hüllen nach Senjyou-Brauch dem Feuer übergeben worden waren.
Serena atmete schwer und beruhigte sich erst, als ihr Blick auf Mikhael fiel. Er saß ganz außen am Rand. Alleine. Wie Serena, hatte er hier keine Aufgabe und keinen Platz. Doch ihn schien dies nicht zu stören. Er genoss die Rolle des Beobachters und meist beobachtete er sie.
Auch jetzt trafen sich ihre Blicke. Intensiv und fordernd, lag Sehnsucht in seinen Augen.
Nach was sehnte er sich?
Was forderte er?
Sein Mund sprach die Botschaft, die seine Augen andeuten, nicht aus und Serena kannte die richtige Frage nicht. In seiner Gegenwart wurde sie nervös und unruhig. Und doch zog er sie an. Sie konnte nicht lange von seiner Seite weichen. Seine Anwesenheit war für Serena notwendig geworden, wie die Luft zum Atmen.
Noch bevor sie den Beschluss gefasst hatte, trugen ihre Beine sie zu ihm. Bevor sie wusste,