Ardantica. Carolin A. Steinert

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Ardantica - Carolin A. Steinert Ardantica

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hatte Majik nicht in diese sonderbare Welt gehen können. »Komm schon, liefere ihm ein wenig Stoff für seine neue Geschichte«, sprach sie sich selbst Mut zu. »Oder nähere dich wenigstens ein bisschen seinem Bild von dir an«, fügte sie hinzu. Sie hatte den Comic, den er ihr geschenkt hatte, durchgelesen und war beeindruckt. Es war faszinierend zu sehen, wie er sie sah. So viel mutiger und intelligenter als sie war. Sie bemerkte, dass sie mittlerweile auf Zehenspitzen zu der Tür schlich.

      Vorsichtig linste sie um die Ecke. Der Raum war riesengroß, halbrund und – das Wichtigste – er war leer. Leyla stieß die Luft aus, die sie unbewusst angehalten hatte und trat ein. Es schien ein Gemeinschaftsraum zu sein. Die kleinen Fenster an der gerundeten Seite waren sehr dunkel, was sich auf den Raum auswirkte. Aber sie konnte trotzdem genug erkennen. Sessel, die, wenn sie aus Polster und nicht aus Stein bestehen würden, sicherlich durchaus gemütlich wären, standen überall verteilt. Sie standen auf hauchdünnen Podesten oder … Nein, es sollten wohl Teppiche sein! An zwei Wänden hingen gerahmte Bilder, die allesamt schwarz schienen und von erloschenen Fackelstäben flankiert waren. Die dritte Wand war gefüllt mit Regalen voller merkwürdiger Dinge wie Kugeln, undefinierbare Klumpen und Schreibutensilien, zum Beispiel steinerne Federn. Auch zwei Bücher standen dort. Sie trat näher. Die Buchrücken trugen gestanzte Titel. Leyla kniff die Augen zusammen, fuhr dann behutsam mit dem Finger hinüber und versuchte zu ertasten, was dort stand. Hinausziehen konnte sie die Bücher nicht. Es waren Steinquader, die mit dem Regal oder miteinander verbunden waren. Sie zog ihr Handy aus der Tasche und seufzte. Es war aus. Wieder einmal hatte sie vergessen, den Akku zu laden. Plötzlich kam ihr eine Idee. Sie griff nach ihrer Umhängetasche und begann in der Außentasche zu kramen. Tatsächlich wurde sie fündig. Triumphierend zog sie eine Packung Streichhölzer hervor. Sie war Nichtraucherin, hatte sich aber angewöhnt, eine Packung mit sich herumzutragen, da es in Berlin gang und gäbe schien, fremde Leute anzuquatschen und nach Feuer zu fragen. Und insgeheim hoffte Leyla dadurch vielleicht tatsächlich neue Leute kennenzulernen. Nun hatten die Hölzchen endlich einen sinnvollen Zweck zu erfüllen. Sie entzündete ein Streichholz und hielt es an die Buchrücken. »Kraftrückzug« stand auf dem einen und »Elementare Grundlagen der Feuerkraft« auf dem anderen. Nun, das waren wirklich mal sonderbare Titel. Sie pustete das Holz aus, bevor es ihr die Finger verbrannte und entzündete rasch ein neues. Irgendwie gab ihr das kleine Licht ein wenig Sicherheit. Sie wandte sich um, um den Rest des Raumes genauer in Augenschein zu nehmen. Ihr Blick fiel auf die Tür, durch die sie gekommen war.

      Unweit dieser, am Boden, waren zwei leuchtend gelbe Augen. Sie gehörten zu einer gigantischen Raubkatze, die sich nun aus ihrer geduckten Haltung aufrichtete, fauchte und auf samtenen Pfoten auf Leyla zu marschierte.

      Leyla hielt kurz den Atem an. Dann stieß sie einen gellenden Schrei aus. Die Katze fauchte erneut. Das Streichholz entglitt ihren zitternden Fingern, fiel auf den Boden und erlosch sofort. Es war eigentlich nur ein kleines Licht gewesen, aber durch den Blick in die Flamme und das plötzliche Halbdunkel konnte sie für Sekunden kaum etwas sehen. Intuitiv duckte sie sich und wich zurück. Hart prallte sie gegen das Regal. Sie drückte sich mit dem Rücken dagegen und riss die Arme abwehrend hoch. Das Letzte, was sie zwischen den Nachbildern und der Schwärze sah, war, wie das Raubtier zum Sprung ansetzte. Dann schloss sie die Augen, kreischte und betete innerlich aus diesem Albtraum aufzuwachen.

      Es passierte nichts. Leyla wartete ein paar Augenblicke, dann senkte sie die Arme, öffnete die Augen und sah sich im Halbdunkel um. Keine Katze. Dafür standen zwei Beine vor ihr. Sie hob langsam den Kopf und blickte nach oben. Ein junger, sehr großer Mann stand dort. Er passte perfekt in die Umgebung, denn nicht nur seine Kleidung und Haare waren schwarz, auch seine Haut hatte einen dunklen Teint. Man hätte ihn sicherlich glatt übersehen, wären da nicht diese furchtbaren gelben Augen, die bedrohlich auf sie hinabstarrten. Leyla zuckte abermals zusammen.

      »Wenn das ein Teppich gewesen wäre, hättest du ihn anzünden können«, sagte er mit tiefer Stimme leise und drohend. Mit dem Fuß schnippte er das Streichholz weg, das Leyla fallen gelassen hatte. Er hatte keine Schuhe an. »Steh auf!« Er hielt ihr eine Hand oder bessergesagt eine Pranke hin. Mit zitternden Fingern griff sie danach und er zog sie hoch. Sie reichte ihm nicht einmal bis zu den Schultern.

      »I-i-i-ch …«, stotterte sie, nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Sie lugte um ihn herum. »D-d-die Katze!«

      Er wandte sich um.

      »Ich sehe keine.« Wieder sprach er leise und doch mit einer ungeheuren Kraft in der Stimme. »Du etwa?«

      Er grinste und entblößte dabei ein schneeweißes Gebiss, dass dem eines Raubtieres viel zu ähnlich war. Die Eckzähne waren spitz und scharf. Sie versuchte noch weiter zurückzuweichen, hatte aber das Regal bereits im Rücken. Er grinste noch breiter, dann wich er von ihr und ließ sich in einen der nahegelegenen Sessel fallen, mit dem er farblich fast verschmolz. Er lehnte sich entspannt an und musterte sie eingehend. Er war ihr unheimlich. Ihr Blick flackerte zur Tür. Wie lange sie wohl hinauf in den zweiten Stock brauchte – zu dem Flimmern? Was, wenn draußen noch diese gigantische Katze wartete? Ihr Blick huschte zurück zu dem Mann.

      »Dich habe ich schon einmal hier gesehen. Letzte Woche.« Er betrachtete seine sehr spitzgefeilten Fingernägel.

      »Ich … ich … Es tut mir leid, ich wollte hier nicht eindringen.«

      Er winkte ab und schwang die Beine über die Sessellehne, sodass er nun fast lag.

      »Mich stört das nicht. Ich bin ja auch hier.« Er lachte, aber es klang nicht fröhlich.

      »Duu – wohnst hier nicht?« Immer noch zitterte ihre Stimme. Er ließ seine Aufmerksamkeit von den Fingernägeln wieder ab und sah sie an.

      »Wenn du nur drei Fragen hättest – wäre deine erste ziemlich dumm gewesen.«

      »Habe ich nur drei Fragen?«

      »Nein. Du kannst so viel fragen, wie du willst. Aber das wäre deine zweite dumme gewesen.« Wieder grinste er und zeigte dabei seine abscheulichen Zähne. »Ich wohne nicht hier. Eher dort drüben.« Er deutete mit einer nicht zu identifizierenden Handbewegung Richtung Fenster. »Aber momentan ist es zu ungemütlich zum Wohnen. Findest du nicht?«

      »Ich denke schon?«

      »War das eine Frage? Es wäre deine dritte gewesen.«

      Langsam versiegte ihre Panik und machte stattdessen Unverständnis und einem leichten Hauch von Wut Platz.

      »Du hast gesagt, ich könnte so viele Fragen stellen, wie ich will.« Es klang fast patzig.

      »Darfst du. Aber vielleicht beantworte ich dir nur drei.« Seine Aufmerksamkeit galt nun den Staubflocken, die bedächtig durch den Raum schwebten. »Jetzt frage ich. Wie heißt du?«

      »Leyla.«

      »Nun Leyla, warum setzt du dich nicht?«

      ›Weil ich zu viel Schiss habe und gerne zurück nach Hause möchte‹, dachte sie, sagte aber nichts. Er nickte nur, als hätte er keine Antwort erwartet.

      »Was machst du hier?«, fragte er stattdessen.

      »Wo bin ich denn?«

      »Ah! Eine gute Frage. Du mit deinen komischen Feuerhölzchen. Du kommst nicht von hier, richtig? Sonst hätte ich dich wohl auch schon einmal gesehen. Also, wo kommst du her?«

      »Du hattest deine drei Fragen schon, jetzt bin ich wieder dran.« Sie war sich gerade ziemlich sicher, dass das ihr Untergang war, aber dann konnte sie wenigstens schlagfertig untergehen. Ihre Antwort schien ihn zu überraschen.

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