Iska - Die Flucht. Jürgen Ruhr
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Читать онлайн книгу Iska - Die Flucht - Jürgen Ruhr страница 4
„Dann sollst du nun mein Geheimnis erfahren!“ Wiborg sprach jetzt mit leiser Stimme und wieder einmal fiel Iska auf, dass ihr Bruder zum Mann wurde, dass er herangereift und kein Kind mehr war. So wie sie allmählich zur Frau wurde.
„Von Zeit zu Zeit streifen Männer von der anderen Seite des Flusses Rhenus durch unsere Wälder. Sie erkunden regelmäßig, wie wir leben und beobachten die Römer. Einmal bin ich durch Zufall auf einen von ihnen gestoßen und es war die Fügung der Götter, dass er mich nicht sofort umbrachte. Aber er war verletzt als ich ihn fand und ich konnte ihm helfen. Aus Dankbarkeit erzählte er mir von sich und unseren Brüdern und den Römern. Wir haben uns regelrecht angefreundet und alle paar Monde treffen wir uns erneut. Sein Name ist Sigmar. Das ist alles.“
Wiborg beendete hier seine Erzählung. Natürlich war das nicht alles, Iska brauchte ja nicht die volle Wahrheit zu erfahren. Deshalb schaute er seiner Schwester nun auch nicht ins Gesicht, sondern zu Boden.
Aber Iska kannte ihren Bruder und obwohl sie erst sechzehn Jahre alt war, entwickelte sie doch schon ein feines Gespür für Menschen. „Wiborg - schau mich an. Das war doch noch nicht alles?“
Wiborg schaute auf. „Doch, doch wirklich, mehr gibt es nicht zu berichten.“
„Wiborg - ich sehe mich nicht an unseren Schwur gebunden, wenn du mich belügst.“
Ihr Bruder wurde rot. „Nun, ja, hmm. Es gibt noch ein Geheimnis, aber ...“
Durch die ganze Heimlichtuerei wurde seine Schwester allerdings nur noch neugieriger. Jetzt bedrängte sie ihn: „Aber? Nun erzähle schon.“
„Sie werden mich töten, wenn ich darüber spreche! Ich habe versprochen, es niemandem zu erzählen.“
Iska nahm Wiborgs Hand und sah ihn fest an: „Aber sie werden niemals erfahren, dass du mit mir darüber gesprochen hast, Wiborg. Denk an unseren Schwur. Ich erzähle unser Geheimnis bestimmt keiner Menschenseele. Das habe ich doch bei Donar geschworen. Und dazu gehört auch, dass du mir die volle Wahrheit sagst!“
Wiborg gab sich geschlagen. Jetzt war er an einem Punkt angelangt, da er nicht mehr zurückkonnte. Wieder einmal schalt er sich dafür, überhaupt etwas angedeutet zu haben. Dann begann der Junge zu erzählen; zunächst stockend, nach und nach aber immer flüssiger: „Ja, also: Im Wald nahe unserem Dorf am kleinen Bach gibt es eine Lichtung auf der drei Bäume stehen, die sich zueinander neigen. Du kennst diese Stelle.“ Iska nickte bejahend. „Zwischen zwei Bäumen, genau in der Mitte, befindet sich eine Grube, die mit Baumstämmen, Erde, Laub und Sträuchern verschlossen ist.“
Iska schaute ihren Bruder fragend an: „Ja - und?“
Wiborg druckste ein wenig herum, sah aber ein, dass er jetzt alles erzählen musste. „In dieser Grube befinden sich Waffen und Schilde. Waffen der Römer und Waffen unserer germanischen Brüder. Und nicht nur Messer, wie wir sie tragen. Nein, Schwerter und Dolche, Schilde und Helme, aber natürlich auch Messer und Pfeile für Bögen. Teilweise Beutestücke von den Römern und teilweise Waffen, die über den Rhenus gebracht wurden. So und das ist nun wirklich alles!“
Iska sah ihren Bruder ernst an: „Du hast doch mit diesen Waffen nichts zu tun - oder?“
„Nein, bestimmt nicht. Ich weiß das nur von Erzählungen!“
Iska überlegte. Ihr Bruder sagte ihr die Wahrheit, soviel war gewiss. Bestimmt aber auch nicht die ganze Wahrheit. Dafür kannte sie Wiborg zu gut. Aber sie sah ein, dass es auch keinen Sinn machte, jetzt noch weiter in ihn zu dringen. Sie schaute zum Himmel. Sunna mit ihrem Sonnenwagen war mittlerweile ein ganzes Stück weitergewandert und bald würde es Zeit sein, heimzukehren. Wollte sie ihr eigentliches Vorhaben noch ausführen, so wurde es dafür langsam Zeit. Wieder überlegte sie, wie Wiborg am einfachsten zu überzeugen sei. Auf keinen Fall wollte sie Guntram heiraten, egal was sie dafür auch alles noch anstellen musste.
II. Das Versprechen
„Du hast es versprochen!“
„Was versprochen?“
„Na, dass du mein Haar kürzt, so dass ich wie ein Junge aussehe.“
Wiborg erkannte, dass Iska ihren Plan nicht aufgeben wollte. Wie sollte er ihr klarmachen, dass diese dumme Idee doch nur Ärger einbringen konnte? Das ganze Dorf würde sich über sie lustig machen und am Ende müsste sie Guntram doch heiraten. Was beschlossen war, das war halt beschlossen. Jeder wusste das, nur seine kleine, dumme Schwester nicht. Oder sie wollte es einfach nicht wissen!
Noch einmal versuchte er Iska von dem unsinnigen Plan abzubringen: „Iska, sei doch vernünftig. Es hat keinen Sinn. Vater und das ganze Dorf haben beschlossen, dass du Guntram heiratest. Guntram wird dir ein guter Mann sein, glaube mir. Und die Familie von Guntram ist nicht arm. Es wird dir also gutgehen. Dein dummer Plan, die Haare zu kürzen, wird an der Hochzeit nichts ändern!“ Versonnen betrachtete er ihre wunderhübsche Lockenpracht. Es wäre eine Schande diese schönen Haare einfach abzuschneiden. Iska war wirklich ein hübsches Mädchen und Guntram könnte sich eigentlich glücklich schätzen, solch eine hübsche Frau zu bekommen. Andererseits ...
„Es ist kein dummer Plan“, unterbrach Iska seine Gedanken. „Wenn Guntram erkennt, dass ich mehr ein Junge als eine Frau bin, dann wird er mich nicht mehr heiraten wollen! Auch wenn ich zum Gespött des ganzen Dorfes werde.“
„Das bildest du dir nur ein, Iska. Schau dich an, du bist ein hübsches Mädchen und wirst ihm eine gute Frau sein! Deine Haare werden nachwachsen und das Einzige, was dir die Sache einbringen wird, sind Prügel von Vater. Das ganze Dorf wird über dich lachen. Und man wird sich die Geschichte von der kleinen, dummen Iska noch in vielen, vielen Monden am Feuer erzählen. Niemand hat Verständnis für deinen Wunsch, Guntram nicht zu heiraten.“
Iska schaute trotzig an Wiborg vorbei. „Sollen sie lachen, vielleicht gehe ich so einer Heirat aus dem Weg. Wenn erst einmal alle mit dem Finger auf mich zeigen, nimmt Guntram bestimmt Abstand von der Hochzeit. Wiborg, du hast es versprochen! Willst du dein Versprechen jetzt brechen?“
Wiborg überlegte. Seine Schwester brachte ihn in eine schwierige Situation, denn sein Versprechen galt. Das konnte er jetzt nicht einfach zurückziehen. Andererseits wären die Prügel wohl kaum auf Iska beschränkt, denn Vater würde schon erfahren, dass er seiner Schwester geholfen hatte, sich zu verunstalten. Wiborg überlegte hin und her. Es musste doch eine Lösung geben! Wie konnte er es schaffen, seine Schwester zur Vernunft zu bringen? Endlich meinte er einen Ausweg gefunden zu haben und ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. „Gut, du sollst deinen Willen haben. Ich werde dir das Haar kürzen.“ Dann sah er sich suchend um. „Aber ach, ich sehe gar kein Messer. Soll ich dir die Haare einzeln ausreißen?“ Siegessicher lachte Wiborg seine Schwester an. „Also, vergiss die Sache und lass uns endlich zum Dorf zurückkehren.“
„Nein, warte.“ Iska rannte über die Lichtung und verschwand kurz darauf im Wald. Es dauerte nicht lange, schon kam sie mit einem Beutel in der Hand zurück. Schwer atmend blieb sie vor Wiborg stehen. „Schau her, ich habe ein Messer. Und nicht nur das. Ich habe auch Beinkleider und einen Hemdenkittel. Hier sieh!“ Iska öffnete den Beutel und zog die Sachen heraus.
Wiborg