Iska - Die Flucht. Jürgen Ruhr
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Das Versteck war einigermaßen sicher, denn nur derjenige, der auf den Baum kletterte, konnte den Eingang in den hohlen Stamm finden. Aber lange würde sie sich hier nicht aufhalten können. Ihr Bruder erzählte ihr einmal, dass die Römer blutrünstige Hunde hielten, um damit Menschen zu verfolgen. So richtig glauben wollte sie es eigentlich nicht. Sie selbst hatte keine besondere Beziehung zu den von Menschen gezähmten Wölfen. Die Wölfe, die sich hier in den Wäldern herumtrieben, waren schon genug der Plage. So manches Schaf und so manche Ziege wurden ein Opfer dieser Tiere und immer wieder erzählte man sich Geschichten von Menschen, die im Kampf mit diesen Kreaturen ihr Leben lassen mussten. Iska konnte gut auf die Bekanntschaft mit diesen Wesen verzichten. Sie machte sich keine Illusionen. Wenn nicht die Römer sie fangen würden, so blieben noch genug Gefahren. Und sie müsste essen und trinken, also ihr Versteck verlassen. Oder verhungern und verdursten. Aber würde sie nicht sowieso sterben, von römischen Soldaten gefangen und gefoltert? Dann doch lieber hier in ihrem Versteck verhungern!
Die Zeit verging nur schleichend und Iska lauschte immer wieder angespannt, ob sie noch Stimmen vernehmen konnte. Aber alles war ruhig. Immer wieder wandte sie den Blick nach oben, dort wo sich der Einstieg in den Baum befand. Sie konnte jedoch keinen Lichtschimmer entdecken. Hatte Sunna ihre Reise am Himmel noch nicht begonnen? Iska überlegte. Wenn die Römer mit ihren Hunden kämen, könnten sie den Eingang zum Versteck finden. Sicher würden die Tiere sie hier drinnen wittern und ihre kleine Baumhöhle verraten. Dann säße sie in der Falle. Vielleicht sollte sie ihr Glück versuchen und während der Dunkelheit fliehen? Aber wohin?
Sie kannte die Umgegend des Dorfes sehr gut, aber viel weiter war sie noch nie fort gewesen. Ja, aus Erzählungen - insbesondere vom Dorfältesten Thoralf - wusste sie vom großen Fluss, von der Römerstadt Novaesium oder der Siedlung, die die Römer Colonia Ulpia Traiana nannten. Und auch von dem römischen Grenzwall, der entlang des Flusses verlaufen sollte. In zahlreichen Gesprächen erzählte ihr Thoralf von den Siedlungen der Römer, von Dingen, die für die Römer selbstverständlich waren; aber eine richtige Vorstellung, um was es sich bei all dem handelte, bekam Iska dabei nicht. Viel zu fremd und zu anders waren all diese ‚Errungenschaften‘ der Römer.
In welcher Richtung sollte sie fliehen? Über den Fluss? Iska konnte nicht schwimmen, alle Bäche hier waren flach genug, dass sie so durchschritten werden konnten. Nie gab es die Notwendigkeit, sich wie ein Fisch fortzubewegen. Wie weit würde sie fliehen müssen, um vor den römischen Soldaten in Sicherheit zu sein? Thoralf sprach einmal während einer ihrer Unterhaltungen davon, dass die Römer die ganze Welt beherrschten. Und wie groß war die ‚ganze Welt‘? Iskas Welt spielte sich bisher immer um das Dorf herum ab und das genügte ihr schon vollkommen. Sie war zufrieden gewesen und es gab nie eine Notwendigkeit nach anderem zu streben. Gab es überhaupt ein Entkommen vor den römischen Soldaten?
Iska war verzweifelt. Ihre Füße brannten und juckten gleichzeitig und wenn sie sich mit ihren Händen durch ihr Gesicht fuhr, spürte sie die Risse und Striemen von den Ästen. War das die Strafe der Götter für ihren Frevel? War das die Strafe, dass sie Guntram nicht heiraten wollte? Sie hatte die festgelegten Abläufe durch ihr Verhalten ändern wollen. Wie dumm und verbohrt war sie eigentlich gewesen? Sie, die kleine Iska, wollte das von den Göttern und dem Dorf Vorbestimmte ändern oder umgehen? War sie es, die das ganze Dorf in Schwierigkeiten gebracht hatte?
‚Odin‘, dachte sie im stillen Gebet, ‚verzeih mir und hilf mir. Ich wäre mit Guntram nicht glücklich geworden, aber stünde ich noch einmal vor dieser Entscheidung und könnte ich damit das Geschehene rückgängig machen, ich wäre bereit mich zu fügen.‘
V. Die Flucht
Mutlos schaute das Mädchen erneut nach oben. Ein leichter Wind kam auf und plötzlich sah sie durch die Öffnung das Licht des Mondes. Nur ein schwacher Schein, aber war dies vielleicht ein Zeichen Odins? Sollte dieses Licht ihr die Richtung deuten? ‚Flieh, Iska, flieh‘, schien es zu sagen. Der Wind flaute wieder ab und Blätter verdeckten erneut den Mond.
Langsam richtete sie sich auf. Der Baum war eng und jemand, der nicht so schlank war wie sie, würde darin stecken bleiben. Vorsichtig kletterte sie aus ihrem Versteck. Hier oben in der Baumkrone ließ sich die nähere Umgegend gut einsehen. Wie ein Tier, das gejagt wird, sicherte sie in alle Richtungen. Wieder auf dem festen Boden, ging Iska in die Hocke und lauschte angestrengt. Bis auf ein leises Rauschen des Windes konnte sie nichts vernehmen. Fast lautlos bewegte sie sich fort. Hinter jedem Baum konnte ein römischer Soldat lauern und ihr Herz pochte vor Angst. Die Richtung stand nun fest: es war der Mond, der ihr mit seinem fahlen Licht beschied, hier entlang zu gehen. Iska stellte fest, dass der Weg in dieser Richtung sie geradewegs in das Dorf führen würde. Dorthin könnte sie aber auf gar keinen Fall zurückkehren. Sie müsste also erneut einen Bogen um die Hütten schlagen. Danach kam der kleine Wald und dahinter lag Sumpfland, das von den Menschen stets gemieden wurde. Zu groß war die Gefahr, dort im Morast stecken zu bleiben und elendig zu ertrinken oder zu ersticken.
Wollte ihr Odin diesen Weg zeigen? Durch den Sumpf hindurch? Aber was erwartete sie dahinter? Iska kannte einige Wege in dem morastigen Gebiet, die halbwegs sicher waren, doch niemals hatte sie es komplett durchquert. Nahm der Sumpf überhaupt ein Ende?
Mittlerweile lag das Dorf fast hinter ihr, auch wenn sie einen großen Bogen darum machen musste und sehr vorsichtig war. Sie achtete immer darauf, genügend Abstand zu den Hütten zu halten, kam aber trotzdem recht gut voran. Die ersten Büsche als Vorboten des nahen Waldes gaben ihr Schutz, nahmen aber auch die Sicht. Iska wurde noch vorsichtiger. Streiften die römischen Soldaten hier herum oder hatten die sich zur Ruhe begeben? Immer wieder verharrte sie und lauschte angestrengt. Vor jedem Schritt den Boden absuchend, um auch ja nicht auf einen morschen Ast zu treten, schlich Iska langsam vor. In der Ferne heulte ein Wolf und bei dem Gedanken an die Gefahr, die von diesen Tieren ausging, musste das Mädchen erschauern. Eine Gänsehaut lief ihr den Rücken herunter. Erneut blieb sie stehen.
Da, ein Geräusch! Iska war der festen Überzeugung, ein Geräusch zu hören. Langsam drehte sie sich um ihre eigene Achse. Aber so sehr sie ihre Augen auch anstrengte, es war nichts zu sehen. Eine Wolke verdunkelte den Mond, es wurde stockfinster.
Plötzlich legte sich eine Hand auf ihren Mund und jemand riss sie unsanft zu Boden. Fast bekam sie keine Luft mehr, so fest wurde ihr Mund verschlossen. Iska wollte sich wehren, doch wer auch immer sie festhielt, war kräftiger und gewandter als sie. ‚Ein geübter Krieger‘, ging es ihr durch den Kopf, ‚das sind die römischen Soldaten. Es ist alles vorbei, sie haben dich doch noch gefangen. So schnell endet also deine Flucht!‘
Schwer lastete ein Knie auf ihrem Brustkorb. Allmählich gab sie ihre Gegenwehr auf. Gegen die schwer bewaffneten Römer hatte sie keine Chance.
„Wehr dich nicht und sei ruhig! Gib keinen Ton von dir, wenn ich meine Hand fortnehme, sonst muss ich dich töten!“ Der römische Soldat redete sie in ihrer Sprache an. Iska konnte jedes Wort verstehen.
„Hast du meine Worte verstanden?“ Iska versuchte zu nicken. Langsam zog der Soldat seine Hand fort. Der Druck des Knies auf ihrer Brust verringerte sich. „Wer bist du?“
Iska fragte sich,