David Schrenker ist kein Selbstmörder!. Markus Mayer

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David Schrenker ist kein Selbstmörder! - Markus Mayer

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und nicht erkennen können, dass sie gebündelt viel mehr Macht haben, als jeder Vorstand oder Firmendirektor. Dafür brauche ich nicht in der Gewerkschaft sitzen! Wie geprügelte Hunde duckt ihr euch durchs Leben und je mehr dabei eure Seele stirbt, desto weiter entfernt ihr euch vom Glück!

      Tagebucheintrag vom 26. Dezember 2009

      Weihnachten, das Fest der Familie, verstärkt meine Furcht davor, selbst bald Familienvater zu sein. Es war mir nicht klar, dass ein Mensch so viel Angst empfinden kann. Seit dem ersten Tag, an dem ich erfuhr, dass ich Vater werde, habe ich Angst. Seit ich weiß, dass wir einen Sohn erwarten, konkretisiert sich meine Furcht – als es noch „nur“ ein Baby war, wirkte sie in so weiter Ferne.

      Wie halte ich ihn, ohne ihm wehzutun? Was, wenn ich ihn falsch berühre und irgendetwas verletze? Was, wenn er mir durch die Hände rutscht? Was, wenn ich krank bin und ihn anstecke? Was wenn er nicht aufhört zu schreien? Was, wenn er auf der Couch liegt und die Türklingel läutet, ich aufmache und irgendwas Schlimmes passiert ist, wenn ich zurückkehre? Was, wenn er bei uns im Bett schläft und ich ihn mit meinem Gewicht erdrücke. Was, wenn ich am Frühstückstisch sitze, er auf meinem Schoß sitzt und die Kaffeetasse über sich drüber kippt? Was, wenn er uns nie schlafen lässt und ich ihn deshalb zu hassen beginne? Wie schneiden wir seine winzigen Fingernägel, ohne ihn zu verletzen? Wie bade ich ihn, ohne ihn versehentlich ertrinken zu lassen. Wie ziehen wir ihn nicht zu warm und nicht zu kalt an? Woher soll ich wissen, was er essen darf und was nicht? Kann ich je mit ihm auf den Spielplatz gehen und ihn allein auf die Rutsche steigen lassen? Wird er früh laufen und reden oder so hinterher sein, dass schon früh der Gedanke in mir gedeiht, ein Trottelkind zu haben? Können wir ihn uns überhaupt leisten? Wird es keine Freunde im Kindergarten haben, nur weil wir ihm Second-Hand-Laden Klamotten kaufen müssen? Werde ich ihn überhaupt schimpfen können? Werde ich je nicht nachgeben können, wenn er etwas von mir möchte?

      Ich weiß, vieles ist Routine, aber ich weiß auch, dass ich Fehler machen werde, vor allem am Anfang! Und ich habe Angst, dass mein Kind genauso verkorkst sein wird wie ich!

      Kommentar von Pascal Schrenker

       Ich kann dir kaum vorwerfen, dass du Angst vor solchen Dingen hattest. Jeder Mann hat wahrscheinlich Angst vor der Vaterschaft. Die wenigsten werden es zeigen und auch bei dir habe ich niemals Anzeichen von Ängstlichkeit beobachtet. Allerdings bin ich der Meinung, dass du aktiv nach Antworten auf deine Fragen hättest suchen können: Bekannte mit Kindern um Tipps bitten, Bücher kaufen, Lehrvideos anschauen, die Hebamme anrufen oder oder… Du hast das nicht gemacht, oder? Falls doch, habe ich davon zumindest nichts mitbekommen, nichts gehört, nicht von dir, nicht von Dritten. Und in diesem Tagebuch steht dazu auch kein Wort… Bereits zum Zeitpunkt dieses Eintrags, also schon zwei Monate vor Luis Geburt, hast du aufgegeben, bevor es überhaupt losging, die Flinte ins Korn geworfen.

      Tagebucheintrag vom 11. Januar 2010

      Heute habe ich eine Lebensversicherung abgeschlossen. Wenn mir etwas passiert, weiß ich, dass es meinem Sohn und Karina gut geht. Ich habe Karina nichts davon erzählt. Nicht weil es mir an Vertrauen mangelt, sondern da ich weiß, dass sie mir nicht so danken würde, wie ich es erwarte. Sie wäre eher geschockt und würde fragen, ob ich mich umbringen wolle und sagen: „Ich will gar nicht dran denken!“

      Deshalb habe ich es verschwiegen. Sie wird es eh nicht merken, denn die 300 Euro werden nicht von unserem Gemeinschaftskonto abgehen, sondern von meinem eigenen. Ich werde es dagegen schon merken, denn viel bleibt dann jeden Monat nicht mehr übrig.

      Nachdem ich bei der Versicherung fertig war, geisterte ich noch ein wenig in der Stadt umher. Karina dachte, ich sei beim Knoll, Playstation zocken. Sie erwartete mich erst spätabends zurück. Ich hatte keine Lust nach Hause zu kommen – sie ist zurzeit sehr reizbar. Wobei ich mich nicht beschweren kann! Man stelle sich nur mal vor, mit der Alten vom Knoll zusammen sein zu müssen… Der muss um Erlaubnis fragen, wenn er Playstation zocken will. Die dreht ihm ja fast den Kragen rum, wenn sie ihn mit dem Controller in der Hand erwischt: „Du bist kein kleines Kind mehr! Werd‘ erwachsen!“

      Besonders scharf drauf, bei ihm zu Hause rumzuhängen, war ich also eh nicht, weshalb ich einfach so durch den Stadtpark schlenderte. Am Fluss genoss ich die letzten Züge des Altweibersommers. Sonnenschein, vereinzelte goldene Blätter an den Bäumen, milde 20 Grad und jungen Frauen, die ihre kurzen Röcken ein letztes Mal für dieses Jahr ausführten. Nach einer halben Stunde machte ich mich auf den Heimweg.

      Noch bevor ich einen Fuß in die Wohnung setzte, roch ich den Gestank von Sandelholz und hörte den dumpfen Klang des Fernsehers. „Warum nimmst du denn die Meditations-Stäbchen, wenn du nicht mal meditierst?", ist eine Frage, die ich früher gestellt habe. Jetzt nicht mehr. Auch „Warum läuft der Fernseher eigentlich, wenn du nicht reinschaust?“, frage ich nur noch ganz still in meinem Inneren, während mein Blick auf den Fortschritt ihres Sudoku-Rätsels schweift. Wir haben uns da ganz bequem arrangiert. Ich pisse ihr nicht auf den Fuß und sie mir nicht. So streiten wir nicht mehr. Das ist gut. Wahrscheinlich…

      Kommentar von Pascal Schrenker

       Hier finden wir das erste große Indiz dafür, dass dein Verschwinden von langer Hand geplant war: Mein Bruder denkt an Altersvorsorge? Ich bitte dich! Du bist immer schon ein Kerl gewesen, der Dokumente, wie Kontoauszüge oder Lohnabrechnungen lose in einem College-Block sammelte, der grundsätzlich zu allen Terminen zu spät kam und manchmal sogar Verabredungen komplett vergaß. Nie hattest du ein Geburtstagsgeschenk und wenn wir Filme anschauten, ist dir erst nach einer halben Stunde aufgefallen, dass du ihn bereits gesehen hast.

       Du bist keiner von der organisierten Sorte, keiner, der, bevor er dreißig ist, eine Lebensversicherung abschließt, vor allem dann nicht, wenn er eh so wenig verdient wie du… Das einzige, das du in deinem Leben je an Organisatorischem gestemmt hast, war das Vortäuschen deines eigenen Todes. Das ist wahrscheinlich genau der Trick an der Sache. Kein Mensch, der dich kennt, traut dir so einen Coup zu!

      Tagebucheintrag vom 04. März 2010

      Vor vier Tagen, am 28. Februar kam mein Sohn zur Welt, zwei Tage nach dem geplanten Termin. Wir gaben ihm den Namen Luis, nach Karinas kürzlich verstorbenen Großvater Lutz. Mir war der Name egal, ich hab nur gesagt: „Hauptsache, er ist gesund!“

      Von vielen Menschen wird so eine Geburt als Wunder bezeichnet. Ich bin mir da nicht so sicher, schließlich kommen auf der Welt täglich ca. 15.000 Babys zur Welt – ich hab‘s gegoogelt… Weil man jedoch selbst eher selten Vater oder Mutter wird, empfindet man die Vorstellung an eine Geburt vielleicht als ein Wunder. Oder die Leute, die von Wunder sprechen, sehen nur die abstrakten Aspekte einer Geburt: Zwei Leben verbinden sich und schaffen neues Leben… oder so was in die Richtung.

      Wenn man aber ganz konkret eine Geburt erlebt, das Blut und den Schleim, das Scheppern der Instrumente, die Schreie, die Schweißausdünstungen, der Eisengeruch, die Unruhe, die Hektik… Schwer zu glauben, dass sich so ein Wunder anfühlt! Zum Glück verlief alles ohne Probleme, nach zwei Tagen wurden die beiden schon nach Hause geschickt. Er schreit wenig und schläft so gut wie immer. Wenn ich ihn auf meinen Arm nehme, muss ich seinen Kopf halten, damit dieser nicht nach unten kippt. Seine geschürzten Lippen und die dicken Backen scheinen mich jeden Moment anprusten zu wollen. Ich kann trotzdem nicht sagen, dass ich ihn süße finde. Er hat ganz verkrustete Äuglein und seine Kopfhaut ist schuppig, was nicht ungewöhnlich ist, wie die Hebamme sagt. Ein frisch geschlüpftes Baby ist doch nie wirklich niedlich, da müssen doch erst ein paar Wochen vergehen. Obwohl seine Haut so weich ist und die Finger so winzig, dass man schon

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