Wind über der Prärie. Regan Holdridge

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Wind über der Prärie - Regan Holdridge

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Hugh atmete tief durch und schloss für eine Sekunde die Augen. Wie hasste er diesen Beruf seit dem Überfall! Wie hasste er es, jeden Morgen das Schulhaus betreten zu müssen und auf den leeren Platz in der dritten Reihe starren zu müssen, auf den Platz, wo noch vor wenigen Tagen sein kleiner Bruder gesessen und neugierig und wissbegierig seinen Worten gelauscht hatte.

      Aus dem Fenster der Arztpraxis fiel schwaches Licht auf die Straße und Hugh bremste ab. Er überlegte einen Moment, dann trat er unter den Vorbau. Stimmen drangen durch die Tür zu ihm heraus. Das eine war Julie und das andere – nun, er wusste nicht, wer das hätte sein können. Entschlossen schlugen seine Fingerknöchel gegen das Holz. Er wartete nicht ab, bis jemand antwortete. In der Praxis war es warm und es roch nach Medikamenten.

      „Oh! Guten Tag, Hugh!“, hörte er seine Schwester erstaunt sagen und er schob sich ins Innere. Seine braunen Augen erfassten die Situation sofort und er runzelte die Stirn. Julie lehnte am Schreibtisch und neben ihr stand der Sergeant, der seit drei Tagen in der Siedlung stationiert war und zusammen mit ein paar anderen Soldaten aufpassen sollte, dass die Indianer nicht noch einmal zuschlugen. Als er Hugh bemerkte, nickte er ihm kurz und grüßend zu, ehe er sich von Julie verabschiedete und die Praxis verließ. Lächelnd wandte Julie ihre Aufmerksamkeit ihrem großen Bruder zu.

      „Heute schon fertig mit dem Unterricht?“

      „Hmm“, machte Hugh und deutete hinter sich. „Was wollte er?“

      „Ach!“ Julie zuckte die Schultern und lächelte. „Nichts Besonderes, nur ‚Guten Tag‘ sagen.“

      „So, so!“, erwiderte ihr Bruder gedankenverloren und seufzte. „Bist du dir sicher?“

      „Hubert Kleinfeld!“, fuhr Julie ihn entrüstet und verärgert zugleich an. „Ich sage immer die Wahrheit! Er hat sich nur mit mir unterhalten...und mich für Samstagabend zum Tanz eingeladen!“

      „Zum Tanz?“, wiederholte Hugh verwundert. „Die Soldaten gehen so schnell über zur Normalität? Und du schließt dich ihnen an, nach allem, was geschehen ist?“

      „Ja, das tun sie!“ Julie blinzelte ein wenig beschämt. „Und ich möchte diesen Tanz unter keinen Umständen verpassen!“

      Hugh seufzte. „Ich verstehe.“

      „Was gibt es da zu verstehen?“

      „Dass du dich unmöglich benimmst!“ Er schüttelte den Kopf und legte sich die Hand vor die Augen. „Entschuldige. Ich wollte dir keine Vorwürfe machen.“

      „Ist schon in Ordnung.“ Julie trat zu ihm, legte ihr kleinen Hände auf seine Schultern. „Wir...wir sind wohl alle sehr mitgenommen.“

      „Mitgenommen...“ Hugh stieß einen tiefen Seufzer aus. „Das kannst du laut sagen.“

      „Was hast du denn nur?“, wollte Julie besorgt wissen. „Bist du krank?“

      Sie wollte ihre Hand auf seine Stirn legen, doch er stieß sie fort. „Ach, lass das! Mir geht’s prächtig!“

      „Na, ich weiß nicht...“ Abschätzend betrachtete Julie ihn mit schiefgelegtem Kopf.

      „Wie...ich meine, wie läuft es denn, ohne Hardy?“

      Seine kleine Schwester senkte den Kopf und biss sich auf die Lippen. „Offen gestanden bin ich der Ansicht, dass ich hier eigentlich nichts verloren habe. Ich bin kein Doktor! Ich kann den Leuten doch gar nicht wirklich helfen!“ Verzweifelt krampften sich ihre Hände ineinander. „Aber sie haben alle so viel Vertrauen in mich! Ich...ich kann sie doch nicht einfach wieder fortschicken oder sollte ich?“

      „Nein“, bestätigte Hugh und zog sie an sich. „Nein, das kannst du nicht, jedenfalls nicht, solange kein anderer Arzt hier angekommen ist.“

      Es war für sie alle schwer. Julie war jetzt siebzehn, kein Mädchen mehr und doch auch noch keine richtige Frau. Und er? Ihm ging es nicht viel besser. Er übte einen Beruf aus, den er nie gelernt hatte und der ihn überforderte. Er merkte, dass der Punkt gekommen war, da er den größeren Kindern nichts mehr beibringen konnte und es war an der Zeit, dass er sich eingestand, nicht glücklich zu werden als Lehrer. Es war nicht das, was er wirklich als Beruf ausüben wollte. Es war nicht das, was er sich für sein Leben gewünscht und erträumt hatte. Vielleicht, dachte er, ist es das nie und wir reden es uns immer bloß ein, damit wir inneren Frieden finden können.

      Er ließ Julie allein zurück und machte sich auf den Heimweg. Er wollte fort, weg von dieser trostlosen, einsamen Siedlung in einem Gebiet, das ihnen noch immer nicht zustand und das es vielleicht nie tun würde, weil die Indianer es nicht hergeben wollten. Und dann wird es wieder einen Krieg geben, dachte Hugh. Wieder wird die Kavallerie gegen die eigentlichen Besitzer dieses Landes ausziehen und sie vernichten...immer mehr und mehr, bis keiner von ihnen mehr übrig ist.

      Er schüttelte den Kopf und versuchte, die Gedanken abzuschütteln. Wie konnte er nur? Die Rothäute hatten seinen Bruder getötet! Er musste sie dafür hassen und verachten, aber er brachte es nicht so recht fertig. Er konnte es ihnen nicht einmal übelnehmen, dass sie ihren Ort überfallen hatten. Wir besitzen kein Recht hier zu sein, schrie es in ihm. Wir haben uns dieses Gebiet geraubt, genau wie Hardy es immer formuliert hat, geraubt!

      Hardy – der junge, österreichische Arzt mit den strohblonden Haaren erschien vor Hughs Augen. Jetzt lag er dort hinten, auf dem Friedhof, neben der Kirche. Er konnte niemandem mehr helfen. Aber ich kann, schoss es Hugh durch den Kopf und ein heftiger Schauer der Erkenntnis durchzuckte ihn. Sein Herz begann zu rasen. Ich kann noch jemandem helfen!

      Zwei Tage später war Samstag und Julie konnte sich nicht entschließen, welches Kleid sie anziehen sollte. Sie mochte die Farbe des einen nicht und bei dem anderen missfiel ihr der Schnitt. Und dann war da natürlich die Sache mit ihren Haaren, die selbstverständlich in eine entsprechende Hochsteckfrisur gebracht werden mussten.

      Verständnislos schüttelte Luise den Kopf, während sie vor dem Spiegel mit den Haarnadeln und dem Kamm hantierte. „Ich verstehe dich nicht, Juliane. Wie kannst du so kurz nach all diesen schrecklichen Dingen wieder ein farbiges Kleid tragen und dann auch noch zum Tanzen gehen?“

      „Mutter, bitte!“ Aufgeregt zupfte Julie an den Rüschen des dunkelgrünen Kleides, das an die Tannen des Waldes nach einem langen Herbstregen erinnerte. Es war das einzig wirklich schicke Kleid, das sie überhaupt besaß. „Ich bin eingeladen worden! Es wäre doch unanständig gewesen, wenn ich das ausgeschlagen hätte, oder nicht?“

      Luise seufzte. Ihre hellbraunen Augen waren mit einem roten Rand umgeben. Sie hatte die letzten Nächte weder viel geschlafen, noch Ruhe gefunden. Sie weinte beinahe andauernd und saß apathisch in ihrem Schaukelstuhl vor dem Kamin, die Strickarbeit auf dem Schoß, ohne jedoch daran zu arbeiten. Luise betrachtete ihre Tochter lange. Sollte sie doch gehen! Weshalb sollte sie jetzt auch noch mit ihr streiten, wo sie kaum die Kraft aufbrachte, überhaupt am Morgen aufzustehen? Julie war ein junges Mädchen, das allmählich zu einer Frau heranwuchs und das sich ruhig unter die anderen jungen Leute aus der Siedlung mischen konnte. Weshalb auch nicht? Es gab keinen Grund, es ihr zu verbieten. Sie war Nikolaus‘ Schwester gewesen, nicht seine Mutter und sie trug immerhin eine dezente Farbe, nichts Helles und Auffälliges. Luise schluckte. Ihre einzige Tochter würde heute Abend zum ersten Mal mit einem Mann zum Tanzen gehen. Vielleicht bedeutete das noch nichts, vielleicht war es lediglich eine unschuldige Verliebtheit, aber irgendwann würde Juliane von ihnen fort gehen, um mit einem Mann zu leben, eine eigene Familie zu gründen. Sie konnte nur beten, dass es noch eine Weile dauern und sie ihre einzige Tochter nicht auch noch verlieren würde.

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