Wind über der Prärie. Regan Holdridge
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Читать онлайн книгу Wind über der Prärie - Regan Holdridge страница 53
Außer einem Bett, einem Stuhl und einem Schrank befanden sich keine weiteren Möbelstücke in der winzigen Stube, die für Doktor Retzner leicht ausgereicht hatte.
„Wenn wieder ein Arzt mit einem Siedlertreck ankommt“, meinte Ron, „kann er gleich hier einziehen. Es ist schon alles da.“
„Nicht ganz“, warf Julie ein und deutete auf den Schrank. „Ich habe Hardys...ich meine, Doktor Retzners Sachen verschenkt. Seine Hosen und Hemden, die Jacken und Schuhe. Er braucht sie ja nicht mehr und...nun, ich bin sicher, dass er das so gewollt hätte. Es wäre ihm nicht recht gewesen, wenn seine Kleidung ungenutzt und sinnlos herumhängt. Es gibt genügend Männer hier, die sie gerne und dankbar genommen haben.“
Ron biss sich kurz auf die Lippen. Er hörte die Wehmut und den Schmerz über den Verlust aus ihrer Stimme heraus. „Ihr...ihr seid euch wohl sehr nahe gestanden?“
Julie schluckte. Ihr Blick glitt durch den vertrauten, spartanisch eingerichteten Raum. „Er hat mir sehr viel beigebracht. Er hat mir geholfen, als ich wirklich jemanden gebraucht habe und vor allem: Er hat mir gezeigt, wer ich bin und was ich möchte. Das werde ich ihm nie vergessen.“
Rons blaue Augen schauten sie lange und abschätzend an. Er hätte gerne weiter gefragt, doch er ließ es bleiben. Er spürte, dass sie dazu noch nicht bereit war, dass die Wunde noch zu groß war, noch zu frisch. Er lächelte sein eigenes, unvergleichliches Lächeln und streckte den Arm nach ihr aus.
„Komm. Es wird Zeit, dass du mit deiner Arbeit fertig wirst und ich muss zurück zu den Männern. Sie werden sich schon fragen, wo ich mich verlaufen habe!“
„Ja“, erwiderte Julie und nahm seine Hand. „Ich muss mich beeilen.“
Er zog sie an sich, um sie noch einmal lange und leidenschaftlich zu küssen, dann wandte er sich ab und griff nach seinem Hut, der auf dem Behandlungstisch lag.
„Bis morgen, Julie.“
„Gute Nacht, Ron.“
Er ging zur Tür, fasste die Klinke, hielt jedoch noch einmal inne. Er drehte sich zu ihr herum und stellte fest, dass sie ihm regungslos nachblickte.
Er lächelte sie an. Ein äußerst zufriedenes, sehr männliches Lächeln machte sich auf seinem gutaussehenden Gesicht breit und er riss die Türe auf, um hastig hinaus in die Kälte und Dämmerung zu treten. Der eisige Windhauch, der ihm entgegenschlug, brachte ihn in die Gegenwart zurück und ließ ihn unsanft auf die harte Erde zurückfallen. Es war gut, dass er ging. Jede weitere Minute hätte ihn Überwindung gekostet und den Wunsch, ihr näher zu sein, als er im Augenblick durfte, noch verstärkt. Langsam marschierte er die Straße zur Pension hinab. Seine langen, schlanken Beine in den blauen Hosen und den hohen Stiefeln griffen weit aus und ohne es zu wissen, lächelte er vor sich hin. Sie schien so ganz anders zu sein als all die Mädchen, denen er vorher begegnet war, so natürlich und ehrlich und voller Vertrauen in das Leben und ihr Glück. Gleichzeitig war sie gebildet und zurückhaltend und dennoch mit dem nötigen Selbstbewusstsein ausgestattet. Ein Mädchen, das sich ein Mann wie er nicht einmal gewagt hatte, zu erträumen. Ein Mädchen, das vielleicht akzeptieren konnte, wer er war und wie er es bevorzugte zu leben, die es vielleicht sogar genießen konnte. Es gab nichts, was er sich in diesem Moment sehnlicher wünschte.
Julie war noch immer nicht damit fertig die Medikamentenliste zu vervollständigen, als Hugh die Türe aufdrückte und ins warme Innere trat.
„Na?“, fragte er scheinheilig und grinste. „Waren noch viele Patienten hier?“
Julie schüttelte den Kopf. „Nein, heute Abend überhaupt niemand. Nur heute Vormittag musste ich Miklós die Hand verbinden, weil er sie sich im Stalltor eingeklemmt hat und dann war ich draußen bei den Stromsons.“
„Aha! Und – wie geht es Geertje?“
„Gut! Hervorragend! Sie achtet sehr auf sich und befolgt alle meine Anweisungen!“
„Das gefällt dir, was?“ Er lachte leise auf und sprang beiseite, als sie die leere Holzkiste nach ihm warf. Sie krachte gegen die Wand neben der Tür.
„Sei still! Sag mir lieber, was du willst!“
„Dich zum Abendessen holen! Vater ist ziemlich böse, weil du schon wieder zu spät kommst!“
„Dafür kann ich nichts!“, entrüstete Julie sich aufgebracht und zog die oberste Schublade des Schreibtisches auf, um die Liste darin zu verstauen. „Ich habe schließlich hier alleine das zu tun, was Hardy und ich vorher zu zweit geschafft haben.“
„Nicht ganz“, verbesserte Hugh sogleich. „Die schweren Fälle schickst du doch schon zum Arzt in Fort Gibson.“
„Ich kann auch nicht operieren oder irgendwelche komplizierten Sachen behandeln!“, fuhr Julie ihn ärgerlich an. „Sonst werde ich noch wegen Mordes verklagt!“
Hugh grinste verschmitzt. „Ich weiß, Schwesterherz. Du bist ungeheuer mit einem gewissen jungen Sergeant beschäftigt, der jeden Tag diese Praxis aufsuchen muss! Er scheint wirklich an einer sehr ernsten Krankheit zu leiden!“
Julie schnappte nach Luft. „Oh, du!“ Sie errötete und ärgerte sich noch mehr, denn sie wusste, dass sie sich damit verraten hatte.
„Du brauchst mich nicht anzuschwindeln! Ich habe Augen im Kopf!“, lachte ihr Bruder und lehnte sich gegen die Türe. „Und ganz unsensibel bin ich auch nicht!“
„Nein“, erwiderte Julie und schaute ihn fest an. „Da merkt man unsere Verwandtschaft, also: Was ist los mit dir? Du läufst seit Tagen herum, als sei etwas geschehen!“
Hugh schluckte. Er hätte wissen müssen, dass er vor ihr nichts verheimlichen konnte. Außerdem war er eigentlich ganz froh, sich jemandem mitteilen zu können. Sein Vorhaben, von dem bisher niemand etwas wusste, und sein Gewissen quälten ihn jeden Tag mehr.
„Ich...ich werde fortgehen von hier“, murmelte er undeutlich.
„Fortgehen?“, wiederholte seine kleine Schwester fassungslos. „Aber...wohin denn? Und wieso?“
„Julie!“ Eindringlich packte Hugh sie an den Oberarmen. „Wenn ich hierbleibe, wird aus mir nie etwas anderes werden als ein Lehrer, der diesen Beruf nicht studiert hat und Vaters Nachfolger!“
„Und das möchtest du nicht“, erkannte das siebzehnjährige Mädchen leise. Sie hatte es gespürt, die ganz Zeit über schon war ihr klar gewesen, dass ihn etwas Wichtiges, etwas Entscheidendes beschäftigte.
„Nein!“ Entschlossen schüttelte Hugh den Kopf. „Ich werde nach New York gehen – um Medizin zu studieren.“
„Medizin?“ Julies Augen begannen zu leuchten. „Wirklich, Hugh? Wirklich? Du möchtest Arzt werden?“
Er lächelte. „Ja, wirklich!“
Sie fiel ihm um den Hals. „Oh, das ist großartig! Wie stolz wäre Hardy darauf, das zu erfahren!“
Eine lange Pause entstand. Hugh presste sein Gesicht in ihr weiches, rotblondes Haar, das zu einem Zopf geflochten war.
„Ich habe ihn so oft dabei beobachtet, heimlich, wenn er die Patienten behandelt hat. Noch nie zuvor habe ich eine solch sinnvolle Aufgabe