Ein fast perfekter Sommer in St. Agnes. Bettina Reiter

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Ein fast perfekter Sommer in St. Agnes - Bettina Reiter Liebesromanzen in St. Agnes/Cornwall

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ist selbstverständlich.“ Wie verzweifelt sie aussah. „Versteh mich nicht falsch, ich liebe meine Kinder. Auch George. Doch in letzter Zeit frage ich mich immer öfter, ob es das gewesen ist. Ich lebe für meine Familie und achte auf ihre Bedürfnisse, nur achtet niemand auf meine. Dabei bin ich erst neunundzwanzig und fühle mich älter als meine Mutter.“

      Unwillkürlich musste Annie an ihre eigene denken. „Wieso hast du nicht früher etwas gesagt?“

      „Weil du selber Probleme hast.“

      Annie betrachtete ihre Freundin, die dasaß wie ein Häuflein Elend. Dabei war sie bisher wie ein Wirbelwind durch das Leben gerauscht. Jetzt wirkte Josie jedoch verletzlich, als würde sie der geringste Lufthauch umhauen. „Deswegen bin ich trotzdem für dich da.“

      „Ich weiß.“ Josie drückte kurz ihre Hand. „Lass uns lieber ein anderes Mal darüber sprechen. Heute möchte ich feiern und abschalten.“ Kaum ausgesprochen, winkte sie Lance zu, dem die Bar gehörte. Ihr ehemaliger Schulkollege war Josies erster Freund gewesen. Es hatte lange gedauert, bis er über sie hinweg war und wieder normal mit ihr umgehen konnte. Obwohl Annie manchmal das Gefühl hatte, dass seine Gefühle nie zur Gänze verschwunden waren. Ob es an der Art lag, wie er sie ansah oder mit ihr sprach, sie konnte es nicht sagen.

      „Was darf ich euch bringen?“, erkundigte sich Lance, der früher wegen seinen feuerroten Haaren oft zum Gespött der Mitschüler geworden war. Dass er unter heftiger Akne litt, hatte seinen Außenseiterstatus verstärkt. Doch Josie und sie hielten immer zu ihm, denn Lance war eine Seele von einem Menschen, der inzwischen mit Mai-Tao verheiratet war, die gerade die neuen Gäste begrüßte. Einige Surfer, mit denen frische Seeluft in das Lokal hereinwehte.

      „Bring uns bitte noch zwei“, bat Josie und erwiderte Lances Lächeln, bevor er zur Bar eilte. Wieder öffnete sich die Tür und eine Männerhorde stürmte das Lokal. Mai-Tao eilte mit den obligatorischen Blütenkränzen auf sie zu und musste die üblichen anzüglichen Witze Betrunkener über sich ergehen lassen. „Fünf von uns wären noch frei“, grölte einer, „der Bräutigam wäre bestimmt auch nicht abgeneigt.“ Im selben Moment teilte sich die Runde und Annie starrte Roger direkt in die Augen, auf dessen T-Shirt das Wort Bräutigam prangte.

      „Ausgerechnet der muss uns über den Weg laufen“, regte sich Josie auf, die ihn scheinbar ebenfalls erspäht hatte.

      „Lass uns zahlen und verschwinden“, bat Annie stotternd. Gleichzeitig klopfte ihr Herz bis zum Hals, weil Roger so unverschämt gut aussah und ihr nun lässig zunickte.

      „Wir bleiben“, beharrte Josie, „oder willst du ihm zeigen, dass du immer noch leidest?“

      „Ich muss es ihm nicht zeigen. Das kann er mir auf zehn Meter ansehen.“

      „Dann reiß dich zusammen. Oder gönnst du diesem Brad-Pitt-für-Arme den Triumph?“

      Annie konzentrierte sich auf ihre Freundin, wobei sie jedoch das Gefühl hatte, Rogers Blick auf sich zu spüren, was ihren Körper kribbeln ließ. Jede verdammte Stelle … „Was soll ich denn sonst tun außer abhauen?“, flüsterte sie ihrer Freundin zu, zog sich den Blütenkranz über den Kopf und legte ihn neben sich auf die Bank. „Ihn den ganzen Abend anschmachten?“

      „Du sollst ihn ignorieren.“ Josie schob das leere Glas an den Tischrand. „Willst du gelten, mach dich selten. Hat schon meine Oma gesagt.“

      „Woran du dich vor deiner Hochzeit super gehalten hast.“

      „Damals war ich jung. Jetzt bin ich um einiges reifer. Also heb den Kopf und sei selbstbewusst. Du bist eine tolle Frau.“

      „Mit zehn Kilo mehr auf den Rippen.“

      „Na und? Trotzdem siehst du spitzenmäßig aus. Das schwarze Glitzertop steht dir super, die Jeans bringt deine Kurven richtig gut zur Geltung. Um deinen Bronzeton habe ich dich ohnehin seit jeher beneidet, denn du siehst immer aus, als würdest du frisch aus dem Urlaub kommen. Der Idiot wird sich eines Tages in den Arsch beißen, dass er dich gehen ließ.“

      Annie tippte sich an die Stirn. „Roger feiert Junggesellenabschied. Der denkt keine Sekunde an mich.“

      „Da wäre ich mir nicht so sicher. Hast du nicht bemerkt, wie er dich angesehen hat?“

      „Du bist gut! Seit Monaten versuchst du ihn mir auszureden und jetzt weckst du neue Hoffnungen in mir.“

      „Das mache ich ganz und gar nicht, sondern möble nur deinen Selbstwert auf. Oder tut es deinem Stolz nicht gut, dass er dich mit den Augen beinahe auszieht?“

      „Ach ja? Tut er das?“ Annies Gesicht brannte wie Feuer und als Lance endlich mit den Getränken kam, langte sie tüchtig zu. Normalerweise trank sie nicht viel, heute war sie allerdings in einer Ausnahmesituation. Gott sei Dank saßen die Männer weit genug entfernt. Roger sogar mit dem Rücken zu ihr, wie Annie nach einer Weile feststellte, als sie sich endlich traute, in seine Richtung zu blicken. Eine Tatsache, die ihr zusetzte. Wieder einmal kehrte er ihr buchstäblich den Rücken zu.

      Umso energischer hielt sie sich an ihrem Glas fest und trank mit Josie Runde um Runde. Dabei hörte sie ihrer Freundin nur mit halbem Ohr zu und nickte, sobald sie das Gefühl hatte, es wäre angebracht. Im Inneren war sie jedoch bei Roger, dem sportlichen und selbstbewussten Blondschopf mit zahlreichen Tätowierungen, den sie nach der Schule aus den Augen verloren hatte. Sie hatte ihre Ausbildung in London gemacht, er bei der hiesigen Bank eine Lehre absolviert. Als sie nach St. Agnes zurückkehrte, kam er irgendwann in Begleitung eines Freundes ins Taphouse und sie hatte sofort Feuer gefangen. Natürlich rechnete sie sich keinerlei Chancen aus. Schließlich wurde Roger wie in der Schulzeit vom weiblichen Geschlecht umschwärmt wie das Licht von den Motten.

      Aber es sollte anders kommen.

      Am Anfang konnte sie ihr Glück kaum fassen, dass er sie zur festen Freundin auserkoren hatte. Ausgerechnet sie! Die Welt fühlte sich plötzlich so leicht an. Trotzdem blieben Zweifel. Weil sie sich ständig fragte, was ein attraktiver Mann wie er an einem durchschnittlichen Mädchen wie ihr fand.

      „Denkst du schon wieder an den Kerl?“, lallte Josie, die inzwischen hackendicht war.

      „Ich kann nichts dagegen tun“, antwortete Annie und riskierte einen neuerlichen Blick. Jetzt saß Roger seitlich zu ihr und strich sich mit einer vertrauten Geste über das Kinn. Das blonde Haar trug er länger als früher, ansonsten war alles beim Alten geblieben. Er war muskulös wie eh, strahlte diese ganz eigene Lebensart aus, war blank rasiert und trug nach wie vor die Hemden halb zugeknöpft, damit man seine breite behaarte Brust sehen konnte.

      „Hast du vergessen, wie er dich behandelt hat?“, regte sich Josie auf. „Du hast ständig an dir gezweifelt und Roger in den Himmel gehoben, womit du dich selbst immer klein gemacht hast. Das ging so weit, dass du alles mitgemacht hast, was er wollte. Nur, um ihm zu gefallen.“ Auf einmal lachte sie, als hätte sie einen Witz gemacht. „Beim Radfahren hat er dich derart gefordert, dass du dich übergeben hast, erinnerst du dich?“

      Annie nickte panisch. „Leise! Es muss ja nicht jeder mitkriegen.“ Ihr Blick fing Duncans auf, der ihr aufmunternd zuzwinkerte. Wie alle aus der Clique wusste auch er über das unselige Ende ihrer großen Liebe Bescheid. Seitdem war Roger Luft für ihn, den ohnehin keiner aus der Clique so richtig mochte.

      „Beim Squash ging es dir ähnlich“, fischte Josie in Annies Erinnerungen, obwohl das unnötig war. „Bis zur völligen Erschöpfung hast du gespielt und den Betriebsausflug scheinst du ebenfalls vergessen zu haben.“

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