Die Chancengesellschaft. Rainer Nahrendorf

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Die Chancengesellschaft - Rainer Nahrendorf

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verzichtet bei der fälligen Wahlwiederholung auf eine erneute Kandidatur.

      Nun suchen die Delegierten einen Kandidaten, der nicht in die Strömungskämpfe involviert ist, am besten eine Frau. Das trifft nur auf Andrea Nahles, die ehemalige Landesvorsitzende aus Rheinland-Pfalz zu. Andrea Nahles erbittet sich eine Bedenkzeit von zwei Wochen, denn eigentlich will sie ihr Studium beenden. Sie entschließt sich jedoch zu kandidieren, weil die Jusos in einer schweren Krise stecken. „ Es ist ein Zufall der Geschichte, dass ich Juso-Bundesvorsitzende geworden bin. Hätte ich gewusst, was auf mich zukommt, hätte ich damals „Nein“ gesagt.“ Auf Andrea Nahles stürmt ein „Hurrikan“, eine gewaltige Arbeitslast zu. Gleich am ersten Tag nach ihrer Wahl erhält sie zwanzig Interviewanfragen. An einen schnellen Abschluss des Studiums ist nicht zu denken. Aber sie steht zu ihrer Entscheidung.

      Sie schließt als Juso-Vorsitzende eine strategische Allianz mit dem Vorsitzenden der IG Metall-Jugend. Beide organisieren in Frankfurt eine „Kohl-muss-weg“-Kampagne, an der sich 40 000 Jugendliche beteiligen. Die Zusammenarbeit konzentriert sich auf das Thema Ausbildung und Arbeit. Es wird Andrea Nahles politisches Kernthema. Ihre Rede auf dem außerordentlichen Jugend-Parteitag der SPD 1996 bringt für sie den Durchbruch in der Partei. Oskar Lafontaine überlässt ihr die Hauptbühne. Er hat Andrea Nahles Rede, bevor sie diese hält, gelesen, ungeachtet der darin auf ihn enthaltenen Angriffe für gut befunden und trotz der Einwände des damaligen SPD-Bundesgeschäftsführers Franz Müntefering auf die Hauptrede verzichtet. Die „Welt“ schreibt, die Nachwuchspolitikerin nutzt die Gelegenheit und liest den in die Jahre gekommenen Enkeln gehörig die Leviten. „Erst habt ihr die Alten überrannt – so weit okay – und dann habt ihr aus Konkurrenzangst die Jungen über Jahre hinweg einfach weggebissen.“ Für solche Sätze gibt es stürmischen Applaus.

      Nahles und die Jusos kämpfen auf dem Parteitag dafür, Betriebe, die nicht ausbilden, mit einer Umlage zur Kasse zu bitten. Nahles im Juso- Jargon: „Wer nicht ausbildet, wird umgelegt.“ Der Parteitag beschließt gegen den Widerstand von Wolfgang Clement und Gerhard Schröder die Ausbildungsumlage.

      Lafontaine wird Andrea Nahles Förderer. Andrea Nahles ahnt damals noch nicht, dass die wechselseitige Unterstützung für sie Folgen haben wird. Andrea Nahles wird 1997 ordentliches Mitglied des SPD-Bundesvorstandes und bleibt bis 1999 Bundesvorsitzende der Jungsozialisten. Beim Machtwechsel 1998 zieht sie über die rheinland-pfälzische Landesliste in den Bundestag ein. Die Lafontaine-Anhängerin hat zwar nur Platz 12 auf der SPD-Liste erhalten, aber angesichts von 41,3 Prozent der Zweitstimmen für die Landes-SPD reicht der Platz für den Einzug in den Bundestag. Im Jahr 2000 wird Nahles stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgruppe Arbeit und Sozialordnung der SPD-Bundestagsfraktion. In diesem Jahr gründet sie auch das „Forum Demokratische Linke 21“ in der SPD, die Nachfolgeorganisation des Frankfurter Kreises. Anders als 1998 schafft Andrea Nahles bei der Bundestagswahl 2002 nicht den Einzug in den Bundestag. Die Liste der SPD in Rheinland-Pfalz erhält nur noch 38,2 Prozent der Zweitstimmen. Nahles fehlen 34 Stimmen. Sie hat zwar Platz 11 auf der Landesliste bekommen, der ist aber bei dem erwarteten schlechteren Abschneiden der SPD ein Wackelplatz. Eine Kampfkandidatur um einen besseren Landeslistenplatz kann sie nicht wagen, weil ein Teil der Bezirks- und Unterbezirksvorsitzenden ihr immer noch übel nimmt, dass sie auf dem Mannheimer SPD-Parteitag 1995 Oskar Lafontaine und nicht den Rheinland-Pfälzer Rudolf Scharping unterstützt hat. Die gerade zur Bundesvorsitzenden der Jungsozialisten gewählte Andrea Nahles und weitere 60 Jungsozialisten unter den Delegierten haben damals für Lafontaine votiert und zur Abwahl Scharpings als SPD-Vorsitzendem beigetragen.

      Das vergisst die Landespartei der Rheinland-Pfälzerin nicht so schnell. An der Spitze der Landes-SPD steht damals Kurt Beck, der Rudolf Scharping viel zu verdanken hat. Andrea Nahles büßt noch nach Jahren für ihre Parteinahme zugunsten Lafontaines. Lafontaine hat allerdings bereits im März 1999 alle seine politischen Ämter niedergelegt. Nahles und viele andere Lafontaine-Anhänger in der SPD fühlen sich von ihm betrogen. Nach der Bundestagswahl 2002 arbeitet Andrea Nahles im Berliner Büro der IG Metall, behält aber ihr Bürgerbüro im Wahlkreis Ahrweiler bei. Sie leistet konzeptionelle Arbeit um das Verhältnis zwischen SPD und Gewerkschaften zu verbessern, organisiert Hospitanzen von Gewerkschaftsjunioren bei Bundestagsabgeordneten und lernt Verwaltungsstellen der IG Metall kennen. Der von der IG Metall gewünschte Blick von außen auf ihre Organisation fällt, was die Gleichstellung von Mann und Frau anbelangt, kritisch aus. „Ein ziemlicher Macho-Laden“, kommentiert Nahles ihre Erfahrungen. Beeindruckt ist sie von der Kompetenz der IG Metaller, die ihr mit guten Kenntnissen der Betriebe in der Region und ihrem ökonomischen Sachverstand imponieren.

      Die Zeit von 2002 bis 2005 hätte meinen politischen Tod bedeuten können, sagt Nahles im Rückblick. Aber ihre Partei-Karriere endet nicht, sondern gewinnt an Tempo. Sie wird mit einem Spitzenergebnis wieder in den Parteivorstand gewählt und rückt im Dezember 2003 in das Parteipräsidium auf.

      Ihre innerparteiliche Position festigt Andrea Nahles, als sie der damalige SPD-Chef Gerhard Schröder mit der Entwicklung des Konzeptes der Bürgerversicherung beauftragt. „Ich bin nur so weit gekommen, weil ich konzeptionell, weil ich politisch inhaltlich gearbeitet habe“, urteilt Andrea Nahles. Das sieht auch ein Teil der Medien so, wenn auch mit einem alarmierenden Unterton. „Lange nichts gehört von Andrea Nahles. Jetzt ist sie plötzlich wieder da − und gilt gar als Hoffnungsträgerin der SPD. Denn die ehemalige Juso-Chefin hat ein neues Amt: Sie ist Leiterin der „Projektgruppe Bürgerversicherung“, schreibt die FAZ Mitte Mai 2004 unter der Überschrift: „Eine linke Sirene schreckt die Reichen“. Zwar fehlt in dem Konzept, das die Arbeitsgruppe Ende August 2004 vorlegt, die Einbeziehung der Mieteinkünfte in die Beitragspflicht, aber zum Reichenschreck taugt es immer noch. „Es ist politisch gewollt, dass diese Kapitaleinkünfte zur Finanzierung der Krankenversicherung herangezogen werden“, erläutert Nahles gegenüber verdi.de. „Denn die Bürgerversicherung ist auch eine Antwort auf die demografische Entwicklung: Wenn wir keine zusätzlichen Finanzierungsquellen finden, wird der Beitrag als Folge der Altersstruktur unserer Gesellschaft in den kommenden Jahren deutlich steigen. Wir halten es für den besten Weg, bei den Kapitaleinkünften anzusetzen. Denn damit trifft man diejenigen, die wirtschaftlich gut dastehen.“ Ihre Rolle als konzeptionelle Vorarbeiterin füllt Nahles auch als Leiterin einer Projektgruppe zu Mindestlöhnen und einer Arbeitsgruppe zur Leiharbeit aus. „Ich habe als Präsidiumsmitglied politische Positionierungen meiner Partei gründlich und erfolgreich vorbereitet“, sagt Andrea Nahles mit leichter Verärgerung, weil dies in allen Berichten über sie unterschlagen werde.

      Zusammen mit Wolfgang Thierse macht sie sich im Sommer 2007 auch an die Überarbeitung des Entwurfs für das neue Grundsatzprogramm der SPD, das im Oktober 2007 verabschiedete Hamburger Programm. Der Entwurf sei garantiert nicht mehrheitsfähig gewesen. Nahles schreibt die Einleitung sowie die Kapitel Europa, Arbeit und Soziales teilweise neu. Das Grundsatzprogramm schärft das Profil der SPD als der linken Volkspartei.

      Andrea Nahles ist inzwischen in den Bundestag zurückgekehrt. Bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 hat sie die rheinland-pfälzische SPD auf den sicheren Platz vier der Landesliste gesetzt. Als Ende 2009 ihr Buch „Frau, gläubig, links“ erscheint, kommentieren viele Medien, das Buch diene der Imagekorrektur. In den Leitmedien sei Nahles auf die Rolle der ewigen SPD-Linken und Ränke schmiedenden Königsmörderin festgelegt. Sie sei über die falschen Zuschreibungen genervt. Als Königsmörderin sieht sie sich in der Tat nicht.

      Als im Oktober 2005 die Ministerposten in der großen Koalition verteilt werden, gibt Andrea Nahles ihre Kandidatur für das Amt der Generalsekretärin bekannt. Alle sich damals aus dem personellen Tableau der Partei ergebenden Kriterien treffen auch auf sie zu: sie ist jung, weiblich und links und hat zudem mit der Bürgerversicherung bewiesen, dass sie konzeptionell arbeiten kann. Als sie ihre Kandidatur anmeldet, sei keine andere Kandidatur auf dem Markt gewesen, korrigiert Nahles die Darstellung des Ablaufes in einigen Medien. Details will Nahles nicht nennen, solange bestimmte Politiker noch in politischen Funktionen aktiv sind.

      Ihre Kandidatur sei positiv in der Partei aufgenommen worden. Sie habe für diese Kandidatur auch eine

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