Die Chancengesellschaft. Rainer Nahrendorf

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Die Chancengesellschaft - Rainer Nahrendorf

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vermutet, dass ihn Edzard Reuter, der damalige Daimler-Benz- Chef, bei Necker ins Spiel gebracht hat. Reuter hätte ihn gern als DASA-Chef in seinen Konzern geholt, schätzte seine internationale Erfahrung und seinen Mut, die Standortschwächen beim Namen zu nennen. Allerdings ist Necker bei seinem Angebot an Henkel nicht mehr so frei wie es scheint. Es spricht einiges dafür, dass Necker auf Vorschlag des damaligen BDI-Hauptgeschäftsführers von Wartenberg das Präsidentenamt bereits dem Chef der Hamburger Holsten-Brauerei und Präses der Handelskammer Hamburg, Klaus Asche, angeboten hatte. Das weiß aber Henkel nicht. Er ruft Necker nach einer Woche an und sagt zu, wundert sich jedoch darüber, dass eine freudige Reaktion Neckers ausbleibt. Necker hatte wohl gehofft, interpretiert Henkel Neckers Verhalten, dass er von selbst absagen oder die Botschaft erhalten würde, die Präsidentschaft laufe auf einen anderen zu. Das geschieht aber nicht. Im Gegenteil, Henkel hat schon die Zentrale in Armonk von dem ehrenvollen Angebot unterrichtet und eine Auseinandersetzung mit Gerstner in Kauf genommen. Die Trennungsgespräche mit der IBM-Mutter verlaufen für Henkel enttäuschend. Es bleiben ihm nur ein Teil seiner angesammelten Optionen und die für IBMer übliche Pension. Zugleich legt IBM Wert darauf, dass er seinen Sitz im Aufsichtsrat der deutschen IBM und im Beirat der IBM-Europa behält. Das Ausscheiden bei IBM ist für den 1. Januar 1995 vereinbart, damit er sich im November 1994 der Wahl zum BDI- Präsidenten stellen kann.

      Schon seit einigen Wochen hat Henkel keinen Kontakt zu Necker. Eines Morgens traut er seinen Augen nicht. Die Wirtschaftswoche verkündet, Neckers Nachfolger sei gefunden. Klaus Asche werde für die BDI-Präsidentschaft kandidieren. Necker habe gehofft, kommentiert Henkel die peinliche Situation, das Problem würde sich von selbst lösen: „Sein Fehler war, keine schlechten Nachrichten übermitteln zu können“.

      Bei IBM zu bleiben, wäre für Henkel nur mit einem Gesichtsverlust möglich gewesen. Eine solche Blamage will er vermeiden und so nimmt er die Herausforderung einer Kampfkandidatur an. Es gelingt ihm, sich der Findungskommission des BDI, die den neuen Präsidenten ausguckt, vorzustellen. Die Kommission lehnt Henkel ab, aber er weiß, dass die eigentliche Vorentscheidung von den sieben BDI-Vizepräsidenten getroffen wird.

      Auch für den Bundeskanzler Helmut Kohl ist es nicht gleichgültig, wer an der Spitze des BDI steht. Er hat sich häufig über Necker geärgert und befürchtet vom Regen in die Traufe zu kommen, wenn sich der BDI für Henkel entscheiden sollte. Henkel erfährt, wie das Kanzleramt zugunsten Asches und gegen ihn in dem Findungsprozess interveniert. „Die Zeit von Juni bis September 1994“, schreibt Henkel in seinen Memoiren, „war vermutlich die härteste Zeit meines Lebens. Ich hatte die Stelle aufgegeben, auf die ich jahrzehntelang hingearbeitet hatte, und mich im Gegenzug zum Spielball eines mir unzugänglichen Gremiums gemacht, das über mein Schicksal entschied.“

      Henkel sucht einige Vizepräsidenten auf, die er gut aus seiner IBM-Zeit kennt. Er gewinnt schließlich unter den Vizepräsidenten eine Mehrheit. Diese kippt das Votum der Findungskommission und schlägt mit einer Mehrheit von einer Stimme Henkel als BDI-Präsidenten vor. Asche erfährt durch Necker erst davon, als er von einer Kreuzfahrt aus Asien zurückkehrt. Der Bauereichef ist empört, zieht seine Kandidatur zurück. Die Mitgliederversammlung wählt Henkel mit 95 Prozent der Stimmen. Nach seiner Wahl durch die Mitgliederversammlung sucht Henkel Asche auf und spricht sich mit ihm aus. Er bleibt für sechs Jahre Präsident des BDI. Hundert Prozent der Stimmen erreicht er auch bei den folgenden Wahlen nicht.

      Der Kampf um das Ehrenamt des BDI ist für ihn eine Frage der Selbstachtung gewesen. Die mit dem Amt verbundene Chance, in Deutschland etwas zu bewegen und Reformen anschieben zu können, haben ihn gereizt. Keiner konnte ihn mehr zum Rapport bestellen. Henkel genießt die Freiheit, die Aufgabe macht ihm Spaß. Der BDI wird sein Hobby. Als Ziel, für das er häufig bis in die Nacht arbeitet, nennt Henkel „die wettbewerbsfähige Gesellschaft“, die Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit Deutschlands. Dafür nimmt er 14- bis 16-stündige Arbeitstage in Kauf. Dafür setzt er sich auch nach seinem Ausscheiden aus dem BDI-Spitzenamt als Präsident der Leibniz-Gemeinschaft in den Jahren von 2001 bis 2005 und immer wieder in Talkshows ein. Er zieht eine positive Bilanz seines BDI-Hobbys. Er habe manchen Unsinn verhindert, einige Reformen erreicht, aber es bleibe noch vieles zu tun. Henkels wichtigstes Anliegen bleibt sein Eintreten für ein effektiveres politisches Entscheidungssystem.

      Die Wissenschaftsorganisation „Leibniz-Gemeinschaft“ hat Henkel zum Abschied überrascht. Sie hat den „Hans-Olaf-Henkel-Preis für Wissenschaftspolitik“ ausgelobt und eine neue, in den Bergen Sulawesis lebende Schmetterlingsart nach ihm benannt, die „Bracca olafhenkeli“. Die Flügel des schönen Falters fallen durch ein Leopardenmuster auf. Das Muster könnte eine Anspielung auf Eigenschaften Henkels sein: Leoparden sind wegen ihrer Stärke und ihres Mutes in vielen Kulturen zum Symbol für Krieger und Herrscher geworden.

      Hans-Olaf Henkel hat nach seinem 55zigsten Lebensjahr seine Ehrenämter, das Präsidentenamt beim BDI, das Präsidentenamt bei der Leibniz-Gemeinschaft und die Null-Euro-Honorar-Professur an der Universität Mannheim zu seinem Beruf gemacht, er hat für seine „Hobbys“ gelebt. Ein „workaholic“ ohne Zeit für die Familie, für die von ihm geliebte Jazzmusik, für das Schachspielen und das eigene Segelboot ist er nie gewesen.

      Sein kostbares Jazzarchiv zählt mehr als 500 Vinylscheiben. Einige stammen noch aus der Zeit, als er 16 Jahre alt war, für Nat King Cole und Earl Bostic schwärmte und für seine Freunde in seiner Wohnung einen Jazz-Salon, das „Studio 48“, einrichtete und ein Jahr später durch die Jazzlokale auf St. Pauli zog. Fasziniert von einer Beatle-Muse lässt er sich damals von der Angebeteten zu einer Pilzkopf-Frisur überreden. Bald tragen auch die auf der Reeperbahn spielenden Beatles diese Frisur. Henkel ist dem Jazz treu geblieben. Seit März 2008 lädt er jeden Sonntag auf Jazz-Radio 101,9 von 12 bis 13 Uhr zum „Jazzbrunch“ ein. Die Sendung ist beliebt, nicht nur wegen Henkels gutem Musikgeschmack. Manche hören sie nur wegen der Zwischentöne, wegen Henkels Frozzeleien und frechen Sprüche.

      Andrea Nahles

      Die Vorarbeiterin der SPD

      „Ich gehe optimistisch in jeden Tag“

      Abtauchen gibt es für Andrea Nahles nicht. Nach einer langen Wahlnacht stellt sie sich im Morgenmagazin des 28. September 2009 den Fragen des ARD-Korrespondenten. Die SPD hat 11,2

      Prozentpunkte verloren. Sie ist auf 23,03 Prozent abgestürzt. Es ist das schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl, eine historische Niederlage. Für Andrea Nahles ist die Chance vertan, Bildungsministerin in einer von Frank-Walter Steinmeier geführten Regierung zu werden. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende versucht gar nicht erst, das Ergebnis schönzureden, spricht von einem massiven Vertrauensverlust, aber auch der festen Absicht, das Vertrauen zurück zu gewinnen. Sie prophezeit, dies werde kein Sprint sondern ein Mittelstreckenlauf. Der Optimismus, der sie auszeichnet, ist an diesem Morgen nach der Wahlniederlage verhalten, das Lächeln durchzogen von Nachdenklichkeit und Entschlossenheit. Das Ergebnis sei kein Signal für ein „Weiter so“, sagt Frau Nahles in das Mikrofon des Reporters. Mehr nicht. Über die nun anstehende Erneuerung der SPD will sie zunächst hinter verschlossenen Türen sprechen.

      Trotz der erdrutschartigen Verluste der SPD zieht Andrea Nahles 2009 wieder in den Bundestag ein. Die rheinland-pfälzische SPD hatte sie auf den sicheren Platz 1 ihrer Landesliste gesetzt. Denn den Wahlkreis Ahrweiler, in dem sich Andrea Nahles wieder um ein Direktmandat beworben hat, gewinnt auch 2009 Mechthild Heil von der CDU. Zwar hat Mechthild Heil über vier Prozent weniger Erststimmen als bei der Bundestagswahl 2005 erhalten, aber Andrea Nahles hat gegenüber 2005 elf Prozentpunkte eingebüßt und nur noch 24,9 Prozent der Erststimmen gewonnen. Einen kleinen Nahles-Bonus gibt es im Wahlkreis 199 dennoch, denn mit nur 21,9 Prozent hat die SPD bei den Zweitstimmen noch schlechter abgeschnitten.

      Hätten sich die Bürger im gesamtem Wahlkreis Ahrweiler so entschieden wie die Wähler in Weiler, der Heimatgemeinde von Andrea Nahles, wäre ihr das Direktmandat sicher gewesen. Andrea Nahles gewinnt in Weiler

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