Die Chancengesellschaft. Rainer Nahrendorf

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Die Chancengesellschaft - Rainer Nahrendorf

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zum „Recht auf Aufstieg“ angefertigt hat, zeigte, dass die Aufstiegschancen der Deutschen besser sind, als sie meinen. Die Einkommensmobilität bewegt sich in Deutschland im internationalen Rahmen. Die Aufstiegschancen, gemessen am Einkommen, sind nicht einmal in den USA wesentlich höher. Sowohl in Deutschland als auch in den USA schaffen jeweils rund ein Drittel der Menschen aus der untersten Einkommensschicht den sozialen Aufstieg. Zieht man die Daten des Sozio-Ökonomischen Panels für 1995 und 2007 heran, sind sogar 55 Prozent der Menschen in Deutschland in der Einkommensschichtung aufgestiegen, die meisten davon allerdings nur in die beiden nächst höheren Einkommensgruppen. Fünf Prozent schafften es in die höchste Einkommensgruppe. Die tatsächliche Aufwärtsmobilität ist erheblich höher als die wahrgenommene Chance auf einen Aufstieg. Allerdings kommt auch das IW zu dem Befund, dass sich die Aufwärtsmobilität der untersten Einkommensschicht in den letzten Jahren verringert hat. Dies führen die Autoren der Studie jedoch unter anderem auf den Wandel der Haushaltsstrukturen zu mehr Ein-Personen- und Alleinerziehenden-Haushalten zurück.

      Besonders hoch ist die Einkommensmobilität von Universitätsabsolventen. Fast drei Viertel von ihnen konnten sich binnen zwölf Jahren um eine oder mehrere Einkommensgruppen verbessern. Die Daten der IW-Arbeitsmarktexperten zeigen, dass sozialer Aufstieg auch in Deutschland vor allem von der Leistung abhängt − also über Bildung und Arbeit erfolgt.

      Dies bestätigt auch eine Wiederholungsbefragung der Hochschul-Informations-System GmbH von Universitäts- und FH-Absolventen unter dem Titel „Aufgestiegen und erfolgreich“. Zehn Jahre nach dem 1997 abgelegten Examen waren 16 Prozent (FH) bzw. 13 Prozent (Uni) der Absolventen leitende Angestellte. Zusammen mit den Gruppen der wissenschaftlichen Angestellten und der Selbstständigen bzw. Freiberufler sowie der Beamten nahmen die Absolventinnen und Absolventen zu ganz überwiegenden Anteilen angemessene Positionen ein. Die Einkommen der Vollzeiterwerbstätigen nach FH- oder Universitätsstudium lagen inklusive aller Zulagen durchschnittlich gleichermaßen hoch.

      Besonders viele soziale Aufsteiger im Sinne der Generationenmobilität gibt es unter den Professoren der Ingenieurwissenschaften und der Informatik. Nach Befragungen der Forscher Manfred Nagel und Gerhard Müller12 haben 64 Prozent der Befragten Eltern, die beide nicht studiert haben. Überdurchschnittlich viele Professoren stammen aus handwerklich geprägten Familien. Die in letzter Zeit gesunkene Zahl der sozialen Aufsteiger in den Ingenieurwissenschaften erklären die Forscher mit dem Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft und der Zunahme der Akademikerquote. Kinder sozial „Angekommener“ könnten nun einmal selbst keine sozialen Aufsteiger mehr werden. Wie sehr Bildung und Weiterbildung Karrieren fördern, zeigen die Ergebnisse der Aufstiegsfortbildung. Im Handwerk machen Jahr für Jahr mehr als 20 000 Gesellen die Meisterprüfung. Als Motiv für die Meisterprüfung geben die Jungmeister vor allem den Wunsch an, beruflich voranzukommen und persönlich aufzusteigen. Die Meisterschule bleibt damit die wichtigste Aufstiegsfortbildung für die nichtakademischen Teile der Gesellschaft. 2010 strebte – wie in den Vorjahren – fast die Hälfte der Meisterjahrgänge in die Selbstständigkeit. Knapp ein Zehntel ist bereits selbstständig, für die anderen steht dieser Schritt in absehbarer Zeit an.

      Was junge Handwerker motiviert, die Meisterprüfung abzulegen, haben die Handwerkskammern13 in den Jungmeisterumfragen 2010 wissen wollen. Mehr als die Hälfte gibt als Grund „die Freude an der Weiterbildung“ an. Fast zwei Drittel äußern den Wunsch nach beruflichem Aufstieg. Auch das Kernmotiv „berufliche Selbstständigkeit“ wird durch die Umfrage bestätigt. Jeweils rund vier von zehn Befragten betonen den Zusammenhang „Meisterprüfung – Selbstständigkeit“ und „Aufstieg durch Selbstständigkeit“. Im Meisterbrief sehen sie die Basis für verantwortliche Aufgaben als Führungskraft im Angestelltenverhältnis. Bei den Industrie- und Handelskammern haben seit der Wiedervereinigung mehr als 830 000 Menschen eine Prüfung als Fachkaufmann, Fachwirt, Industriemeister, Bilanzbuchhalter oder Betriebswirt gemacht. Die Weiterbildung hat sich für sie gelohnt: 70 Prozent sind aufgestiegen oder haben einen größeren Verantwortungsbereich erhalten, 61 Prozent haben mehr verdient.

      Der individuelle und der gesellschaftliche Nutzen der Weiterbildung wird sich noch erhöhen, wenn in den kommenden Jahrzehnten aufgrund des demografischen Wandels der Fachkräftemangel zunehmen und sich der Strukturwandel zur Dienstleistungsgesellschaft beschleunigen wird. Je nach Berechnungsart könnte das deutsche Erwerbspersonenpotenzial bis 2025 um bis zu sieben Millionen schrumpfen. Die voraussehbaren Engpässe auf dem Arbeitsmarkt können kaum durch eine höhere Zuwanderung überwunden werden. Not tun eine höhere Erwerbsbeteiligung der Älteren und der Frauen sowie eine Qualifizierung für die stark expandierenden unternehmensnahen Dienstleistungen. 2008 und 2009 haben etwa ein Viertel aller Beschäftigten an Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen. Das ist ein guter, aber kein ausreichender Wert. Wer sich qualifiziert, wird angesichts des steigenden Fachkräftemangels weitaus bessere Beschäftigungs- und Aufstiegschancen als in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts haben.

      Beim Blättern im „Buch der Bildungsrepublik“14 findet man Dutzende von faszinierenden Aufstiegskarrieren gerade auch von Migranten oder deren Kindern. Handicaps und Benachteiligungen von jungen Menschen mit einer familiären Zuwanderungsgeschichte abzubauen, ist nicht nur eine Frage der Chancengerechtigkeit, sondern auch der Ausschöpfung des Nachwuchspotenzials, auf das die alternde und schrumpfende deutsche Gesellschaft angewiesen ist. Wie groß diese Herausforderung ist, spiegelt sich darin, dass 40 Prozent der Kinder aus Migrantenfamilien − fast dreimal so viele wie deutsche Jugendlichen − keinen beruflichen Abschluss haben und 17,5 Prozent die Schulen ohne Abschluss verlassen. Die Wahrscheinlichkeit von Hauptschülern mit einem Migrationshintergrund eine Lehre zu beginnen, liegt nur bei 32 Prozent, fast 60 Prozent landen zunächst in Übergangssystemen. Das erhöht nicht nur die Armutsgefahr und das Risiko der Arbeitslosigkeit, sondern erschwert die Integration.

      Die Frage, wohin Deutschland steuert, entscheidet sich auch an der Antwort, welche Ausbildungs- und Aufstiegschancen es seinen Migranten bietet. Fast jeder fünfte Einwohner Deutschlands (19 Prozent) bzw. 15,6 Millionen von 82,1 Millionen hatte 2008 einen Migrationshintergrund. Darunter waren 7,3 Millionen Ausländer und 8,3 Millionen Deutsche. Aus der Türkei stammten 2,9 Millionen. Im Handwerk haben 400 000 bis 450 000 Mitarbeiter (acht bis neun Prozent gegenüber 7,1 Prozent in der Gesamtwirtschaft) einen ausländischen Pass, aber noch weitaus mehr kommen aus eingebürgerten Migrantenfamilien. Und in den Lehrgängen der Bildungsstätten des Handwerks haben weitaus mehr, nämlich 70 bis 80 Prozent der Teilnehmer einen Migrationshintergrund. Um den Trend zu verdeutlichen, formuliert der Zentralverband des deutschen Handwerks: „Der Meister der Zukunft ist ein Türke“. „Der Türke“ steht als Synonym für eine Person mit Migrationshintergrund. Damit will das Handwerk bewusst machen, dass es aufgrund des demografischen Wandels immer schwieriger werden wird, Angehörige der Mehrheitsgesellschaft für eine handwerkliche Ausbildung zu interessieren. Die Gruppe der Migranten stellt für das Handwerk ein großes Potenzial zur Nachwuchssicherung dar, und an Aufstiegswillen mangelt es den meisten Migrantenkindern nicht. Stellvertretend für viele andere benennt es der in seinen ersten Schuljahren unter einer Legasthenie leidende Fernsehmoderater, der „fröhlichste Morgenwecker der Nation“, Cherno Jobatey: „Mein Ticket aus den Berliner Hinterhöfen war Bildung, Wissen, Glück und jede Menge harte Arbeit.“15

      Wie die hier zusammengetragenen Daten zeigen, sind die Alternativen „Absteiger- oder Aufsteigerrepublik“ nicht zur Beschreibung der gesellschaftlichen Entwicklung geeignet. Die „Absteigerrepublik“ ist ein Zerrbild, das die von Millionen Menschen wahrgenommen Aufstiegschancen ausblendet, die „Aufsteigerrepublik“ ist ein Wunschbild, das das Schrumpfen der Mittelschicht und die Abstiege in die Hartz-IV-Grundsicherung ignoriert.

      Doch die Polarisierung der Gesellschaft in „die da unten“ und „die da oben“ hat zugenommen. Zumindest scheint es so, wenn man den Medien Glauben schenkt. Nach dem Motto „Nur eine schlechte Nachricht ist eine gute Nachricht“ finden sich Berichte über Probleme und Versäumnisse öfter auf den Titelseiten als Meldungen über Gelungenes. In manchen Fällen ist es auch die Angst, der „Hofberichterstattung“ verdächtigt zu werden, die die Medien lieber zur überkritischen Brille greifen lässt.

      Erstaunlicherweise

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