Die Chancengesellschaft. Rainer Nahrendorf

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Die Chancengesellschaft - Rainer Nahrendorf

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die Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 noch durch die unsicher gewordenen Berufsverläufe und -perspektiven von ihrer optimistischen Grundhaltung abbringen lassen. Fast zwei von drei Jugendlichen blicken ihrer Zukunft zuversichtlich entgegen und fast drei von vier sind überzeugt davon, sich ihre beruflichen Wünsche erfüllen zu können. Mit dieser guten Nachricht wartete die Shell-Jugendstudie des Jahres 2010 auf. Für die Studie wurden mehr als 2.500 Jugendliche im Alter von zwölf bis 25 Jahren zu ihrer Lebenssituation, ihren Glaubens- und Wertvorstellungen sowie ihrer Einstellung zur Politik befragt. Eines der wichtigsten Ergebnisse: Die Jugend des Jahres 2010 zeichnet sich durch Optimismus und Selbstvertrauen aus, persönlicher Erfolg ist ihr wichtig, Fleiß und Leistungsbereitschaft stehen bei den meisten hoch im Kurs.

      Die jungen Menschen wollen aus ihrem Leben etwas machen, vorwärts kommen, Erfolg haben und aufsteigen. So fatalistisch, wie andere Umfragen Glauben machen, sind viele nicht. Sie ahnen oder wissen auch, dass sie die Unternehmer ihres Lebens sind, dass der Schlüssel zum persönlichen Erfolg bei ihnen selbst liegt, bei ihrer Bildungs- und Leistu ngsbereitschaft.

      Wie kann man sie in diesem Bemühen besser unterstützen als mit Beispielen, mit Vorbildern, die sie ermutigen, an die eigene Kraft zu glauben, an die eigene Selbstwirksamkeit, wie dies die Psychologen nennen. Der römische Dichter und Philosoph Seneca wusste: „Die Menschen glauben den Augen mehr als den Ohren. Lehren sind ein langweiliger Weg, Vorbilder ein kurzer, der schnell zum Ziel führt.“ Im Grunde ist es ein ganz altmodisches Konzept, weswegen in den Medien Anregungen und Tipps gerne von „Prominenten“ gegeben werden. Man muss aber nicht prominent sein, um ein gutes Vorbild abzugeben. Die folgenden Porträts zeigen solche Vorbilder. Sie kommen aus unterschiedlichen Welten, aber alle haben sie aus den Steinen, die ihnen im Weg lagen, schöne Dinge gebaut. Sie haben keinen Fahrstuhl zum Erfolg vorgefunden. Der schweißtreibende Weg nach oben führte sie über eine Treppe mit vielen Stufen. Was sie eint, ist der Mut, den ersten und viele weitere Schritte zu tun, um ihre Vorstellung von Erfolg und Glück zu verwirklichen.

      Jeder ist der Unternehmer

      seines Lebens

      „Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt“

      Nach dem griechischen Dichter Hesiod

      Hans-Olaf Henkel

      Der Freiheitskämpfer

      „Jeder Mensch verdient eine zweite Chance“

      In den Bestseller-Listen stehen die Bücher von Hans-Olaf-Henkel im Januar und Februar 2010 auf einem der vorderen Plätze, unter den Wirtschaftsbüchern auf Platz eins. Sein sechstes Buch geht weg wie warme Semmeln.

      Den Erfolg kann sich Henkel selbst nicht so recht erklären. Für das Buch wird nicht stark geworben. Den Leitmedien der Nation ist es nur Kurzrezensionen wert, einige ignorieren es. Vielleicht liegt es am Titel, meint der bald siebzigjährige Autor. „Die Abwracker“ hat Henkel sein Buch zur Wirtschafts- und Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 genannt. Der Heyne-Verlag hat die Unterzeile hinzugefügt: „Wie Zocker und Politiker unsere Zukunft verspielen“.

      Das Buch ist eine scharfsinnige Analyse der Ursachen der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit und eine knallharte Abrechnung mit Versagern unter Staatsbankern, Politikern, Spitzenbeamten und Managern. Henkel weist ihnen einen neuen Platz in der Gesellschaft zu: Die Hall of Shame.

      Es ist ihm gleich, ob den von ihm Angeklagten die Scham- oder Zornesröte ins Gesicht steigt. Er bekennt sich zu seiner Subjektivität, der Innenansicht einer Krise, die er als Privatmann und als Aufsichtsratsmitglied großer Unternehmen miterlebt hat. Dieses persönliche Erleben der Krise, der Verführungen, der Verantwortungslosigkeit, der Überforderung und Fehlentscheidungen, erzählt im fesselnden Ich-Stil, macht „Die Abwracker“ spannend wie einen guten Kriminalroman.

      „Im Auge des Hurrikans“ wollte Henkel das Buch zunächst nennen, aber als die Abwrackprämie fast zum Unwort des Jahres 2009 geworden wäre, fand er „Die Abwracker“ besser. Die politische Klasse kommt darin schlecht weg. Henkel sieht sie in der Verantwortung für das drohende Platzen der „Beschäftigungsblase“, der „Schuldenblase“, der „Sozialversicherungsblase“ und auch dafür, dass sein 13-Punkte-Reformprogramm wohl in der Ablage verschwinden dürfte.

      Um „politische Korrektheit“ hat sich Henkel nie geschert, obwohl ihm die Reaktionen auf seine zuweilen provozierenden und polarisierenden Äußerungen nicht gleichgültig sind. Nach dem Erscheinen der „Abwracker“ hat ihn, obgleich er keine E-Mail-Adresse angegeben hat, eine Welle elektronischer Post überflutet. Er hat viel Zustimmung, aber auch üble Beleidigungen erhalten. Henkel tröstet sich damit, dass diejenigen, die ihn verunglimpfen, das Buch nicht gelesen haben.

      Henkel liebt es trocken und direkt. Er weiß zuzuspitzen, spricht und schreibt Klar-Text, nicht um Auflage zu machen, sondern um aufzurütteln. Der ehemalige IBM-Top-Manager und frühere Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie ist ein bekennender Neoliberaler. Er ist Verfechter einer wertgebundenen, Regeln setzenden Ordnung, einer Wirtschaftsordnung der verantworteten Freiheit, in der sich Fürsorge für die Gesellschaft und die Freiheit die Waage halten. Ohne marktwirtschaftliche Befreiung können nach seiner Auffassung die Volkswirtschaft und die Gesellschaft nicht gesunden.

      Mit dem scharfzüngigen Kämpfer für eine Marktwirtschaft ohne Attribute und Streiter gegen den Neosozialismus liegen viele über Kreuz. Es sind gerade die Reibflächen, die Henkel bietet, die ihn zu einem begehrten Gast in den Talkshows der Nation machen. An diesen Reibflächen lässt sich eine heiße Diskussion entzünden. Das schätzen die Dramaturgen der Shows. Wenn dann noch jemand das Charakterfach des kompromisslosen Marktwirtschaftlers so beherrscht wie Henkel und kämpft wie der letzte Samurai, ist er für die Regie eine Pflichtbesetzung. Es findet sich auch kaum ein anderer Wirtschaftssprecher, der es in der freien Rede mit Henkel aufnehmen könnte. „Der deutsche Vorstandschef“, spottet Henkel, „trennt sich eher von seiner Frau als von seinem Manuskript“.

      Manche Menschen tragen einen Kompass in sich. Er hilft ihnen, ihr Leben lang Kurs zu halten. Für Henkel ist dies die Suche nach Freiheit. Sie steckt hinter der Auflehnung des kleinen Jungen gegen seine Mutter, hinter dem Aufbegehren gegen die Internatslehrer, hinter dem Abweichen von vorgezeichneten Karrierewegen. Henkel braucht zur Entfaltung seiner Talente und Fähigkeiten Freiräume so nötig wie Fische das Wasser. „Freiheit ist eine Macht, die nur der entdeckt, der sie sich erarbeitet“, schreibt Henkel in seinen 2001 erschienen Erinnerungen. Er hat seine bei Econ verlegten Memoiren – seinen ersten Bestseller – mit dem Titel „Die Macht der Freiheit“ versehen. Diese Erinnerungen, viele Interviews und Moderationen aus meiner Chefredakteurszeit sowie ein Anfang Februar 2010 geführtes, mehrstündiges Gespräch bilden die Grundlage für dieses Porträt.

      Henkel akzeptiert das Etikett des „Freiheitskämpfers“ noch aus einem anderen Grund. Es passt für ihn auch, weil er sich als Mitglied von amnesty international für die Freiheit anderer Menschen engagiert, viele Petitionen geschrieben hat und weil er überzeugt ist, dass Marktwirtschaft, Demokratie und Menschenrechte untrennbar miteinander verbunden sind. Zu seinem sechzigsten Geburtstag im Jahr 2000 hat er statt persönlicher Geschenke um Spenden für ai gebeten. 130 000 D-Mark sind zusammengekommen. Das in dem Wort „Freiheitskämpfer“ mitschwingende Pathos mag er allerdings nicht. Dazu ist er zu sehr Hanseat.

      Über Henkels Kindheit liegt wie ein dunkler Schatten der frühe Tod des geliebten Vaters. Hans Henkel wird nur 39 Jahre alt. Das Glück, das der Vater mit seiner kleinen Familie und der florierenden Generalvertretung für Papierbedarf hat, endet abrupt. Hans Henkel stirbt im Januar 1945 im Kessel von Budapest. Als Hans-Olaf Henkel Jahre später erfährt, dass sein Vater auf dem Gräberfeld des Budapester Zentralfriedhofes zusammen mit neuntausend deutschen

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