Die Chancengesellschaft. Rainer Nahrendorf

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Die Chancengesellschaft - Rainer Nahrendorf

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Hartmann zu den Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Nur zwischen 13 und 16 Prozent schaffen es nach seinen Forschungsergebnissen auch ohne den richtigen „Stallgeruch“ in das Topmanagement. Erlernen könne man vielleicht Dress- und Benimm-Codes, beim bildungsbürgerlichen Wissen werde es schwierig, der selbstverständliche Umgang mit diesem Wissen gelinge kaum. Schon das Gefühl, ein Manko zu haben, sorge für Unsicherheit.

      Die Regel sieht für Hartmann so aus: Die deutsche Wirtschaftselite rekrutiert sich seit Jahrzehnten zu über vier Fünfteln aus dem Bürger- und Großbürgertum. Ungefähr jeder zweite Spitzenmanager kommt aus dem Großbürgertum. Ein weiteres Drittel stammt aus dem Bürgertum und nur 15 Prozent kommen aus der Arbeiterschaft und den Mittelschichten, zu denen 96,5 Prozent der Bevölkerung zählen. Hartmanns Fazit: eine geschlossene Gesellschaft.

      Geschlossen auch hinsichtlich der Geschlechter. Frauen haben in dieser Elite immer noch den Status von Paradiesvögeln, denn die deutschen Eliten sind männlich. Allerdings hat sich der Anteil der Frauen in Elitepositionen zwischen 1981 und 1995 von drei auf dreizehn Prozent erhöht. Aber diesen Zuwachs führt Hartmann fast ausschließlich auf die Politik und von ihr stark beeinflusste Sektoren zurück.

      Eine umfangreiche Studie, die ein Team der Wirtschaftsuniversität Wien unter der Leitung von Professor Wolfgang Mayrhofer über die Karrierewege deutschsprachiger Manager8 anfertigte, kam zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie Hartmann.

      Trotz der Symbolkraft der Elite und den in ihr vertretenen Ausnahmen reichen diese nicht aus, um eine Gesellschaft insgesamt als durchlässig oder undurchlässig, als Abstiegs- oder Aufstiegsgesellschaft zu beurteilen. Hartmann zögert angesichts dürftiger Daten, der deutschen Nachkriegsgesellschaft insgesamt ein Etikett aufzukleben. In den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren nach seiner Auffassung soziale Aufstiege vor allem in Berufen leichter, für die, wie für den Journalismus, keine formalen Zugangsvoraussetzungen galten, weil der Krieg große Lücken gerissen hatte und Millionen Flüchtlinge einen neuen Start versuchen mussten. In der Politik habe es deutlich mehr soziale Aufstiege als heute gegeben. In klassischen akademischen Berufen, in der Verwaltung und in der Justiz, für die das Studium die Eingangsvoraussetzung geblieben war, sei intergenerative Mobilität selten gewesen. Das habe sich erst in den siebziger Jahren geändert. Zwar will Professor Hartmann die Bundesrepublik des Jahres 2010 nicht als eine „Absteigerrepublik“ bezeichnen, jedoch ist sie für ihn eine zunehmend gespaltene Republik. Der Trend zur Polarisierung sei unverkennbar. Er sieht einen immer größer werdenden Prozentsatz von Menschen, deren Chancen auf einen Einstieg oder Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt gering seien. Der Anteil derjenigen, die nur 60 Prozent oder weniger des durchschnittlichen Einkommens erzielten, habe sich verdreifacht. Zugleich habe sich der Anteil derjenigen verdoppelt, die mehr als 130 Prozent des Durchschnittseinkommens erreichen. Die statistische Mitte schrumpfe.

      Zu diesem Ergebnis kam auch dass Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin auf der Grundlage des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP). Nach der DIW-Studie (10/2008) ist die Mittelschicht9 in Deutschland in den Jahren 2000 bis 2006 um rund fünf Millionen Personen geschrumpft. Der Anteil der Bezieher mittlerer Einkommen in der gesamten Bevölkerung ging von 62 Prozent im Jahr 2000 auf 54 Prozent (rund 44 Millionen) im Jahr 2006 zurück. In den 80er Jahren gehörten in Westdeutschland rund zwei Drittel der Bevölkerung zur mittleren Einkommensschicht. Auch im ersten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung blieb die Mittelschicht weitgehend stabil. Während anschließend aber die Mittelschicht schrumpfte, verfestigten sich die Schichten an den Rändern der Einkommensverteilung. Die unterste Einkommensschicht wuchs seit 2000 um knapp sieben Prozent und betrug im Jahr 2006 über ein Viertel der gesamten Bevölkerung.

      Für diese Zunahme machen die DIW-Forscher nicht nur die konjunkturelle Schwächephase in dem beobachteten Zeitraum, sondern auch die Änderung der Beschäftigungsstruktur, die Zunahme der Zeitarbeit, der befristeten Arbeit, der Teilzeitarbeit und der geringfügigen Arbeit verantwortlich.

      Der obere Einkommensbereich wuchs um zwei Prozent und lag im Jahr 2006 bei über einem Fünftel der Bevölkerung. Dieser Zuwachs ging ausschließlich auf die Gruppe mit dem höchsten Einkommen zurück. Soweit die DIW-Forscher. Ob sich dieser Trend auch in dem Aufschwung des Jahres 2007 mit einem realen Wachstumsplus von 2,5 Prozent und einem Anstieg der Erwerbstätigenzahl um 1,2 Millionen fortgesetzt hat, ließ sich zu Jahresbeginn 2010 so wenig beurteilen wie die Auswirkungen der schweren Rezession mit einem Schrumpfen des Bruttoinlandsproduktes 2009 um fast 5 Prozent und dem Anstieg der Kurzarbeiterzahl auf 1,3 Millionen. Der Sachverständigenrat Wirtschaft urteilte in seinem Jahresgutachten 2009/2010, im Vergleich zur Situation Mitte der 1980er Jahre sei in Deutschland und in vielen anderen OECD-Ländern eine Zunahme der Ungleichheit zu verzeichnen. Der Rat konstatierte wie das DIW eine Verfestigung an den Rändern der Einkommensverteilung.

      Hartmann hat beobachtet, dass der Zugang zu Führungspositionen nach unten und zur Mitte immer stärker abgeschottet wird. Viele empfänden heute sozialen Aufstieg nicht mehr als ein Versprechen und als Chance, sondern als Bedrohung ihrer erreichten Position. In der Mitte selbst lebten viele in der Angst abzusteigen, aber es gebe immer noch Aufsteiger, wenn auch weniger als Absteiger.

      Selbst im Bildungssystem überwiege nach der vierten Klasse, nach der 40 Prozent eines Jahrganges auf höhere Schulen − einschließlich der Fachoberschulen − wechselten, der Abstieg und nicht der Aufstieg. Es gebe dann noch kleine Schüleranteile, die auf Umwegen den Hochschulzugang erreichten, aber eine wirkliche Durchlässigkeit des Bildungssystems sei damit nicht gegeben, meint Hartmann.

      Die Fachhochschulen, die ehemaligen Ingenieurschulen, seien früher dominiert worden von sozialen Aufsteigern, heute seien sie immer mehr zu Reservehochschulen für Akademikerkinder geworden, die die allgemeine Hochschulreife nicht geschafft haben. Sie retteten eher einen Status als ihn zu erhöhen.

      Wer sich dieses Bild zu eigen macht, mag leicht zu dem Schluss kommen, wir lebten in einer Absteigerrepublik. Dafür finden sich unter Hartz-IV-Beziehern plakative Beispiele. Neben den Schatten gibt es jedoch auch Licht. Forschungsergebnisse des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) zeigen, dass sich mit dem Sozialgesetzbuch II (Hartz IV) die Arbeitsmarktchancen für diesen Personenkreis verbessert haben. „Daraus ist vorsichtig abzuleiten, dass sich die Arbeitsmarktpolitik auch und gerade im Rahmen des SGB II auf dem richtigen Weg befindet. Es wurde die Basis dafür geschaffen, einer Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit entgegenzuwirken und eine Überwindung der Arbeitsmarktkrise bei der sich abzeichnenden wirtschaftlichen Erholung zu beschleunigen“, hieß es in dem Bericht10. In dieser Studie zogen die IAB-Forscher eine Bilanz der fünf Jahre, seit denen das SGB II mit der Einführung der Grundsicherung galt. Kernstück des SGB II ist eine umfassende Aktivierung, die auf eine Stärkung der Eigenverantwortung und Autonomie der Betroffenen zielt. Auch wenn dies noch nicht voll zum Tragen komme, habe die strukturelle Arbeitslosigkeit verringert werden können, urteilten die Arbeitsmarktforscher. Es gibt also keinen Grund, alles schwarz in schwarz zu malen.

      Mehrere IAB-Studien der letzten Jahre belegen, dass die Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen im SGB II generell zu einer Verbesserung der individuellen Eingliederungschancen beiträgt. So konnte gezeigt werden, dass arbeitsmarktnahe Instrumente – wie Eingliederungszuschüsse und betriebliche Trainingsmaßnahmen – bei Hartz-IV-Empfängern ähnlich gut wirken wie bei Arbeitslosengeldbeziehern nach dem SGB III. Das IAB berichtete auch über erste Ergebnisse zur Förderung der beruflichen Weiterbildung (FbW) im SGB II. Sie verdeutlichen, dass Weiterbildungsmaßnahmen auch im Bereich der Grundsicherung ein effektives Instrument sein können.

      Auch der Niedriglohnbereich ist nicht für alle dort Beschäftigten eine Sackgasse. Das IAB kam in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass etwa 13 Prozent der Beschäftigten, die im Niedriglohnsektor anfangen – also etwa jedem Achten – der Aufstieg in einen besser bezahlten Bereich gelingt11. Jeder fünfte Mann schafft den Aufstieg, von den Frauen nur jede zehnte.

      Wer sich um Details bemüht, findet viele Daten für eine differenzierte Beurteilung und Korrektur

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