Stadtflucht. Stephan Anderson

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Stadtflucht - Stephan Anderson

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der Spurensicherung haben wir die Türe wieder zugemacht“, attestierte Weiss, dem dahinter zu Erwartenden wenig Amüsement.

      „Mich schockt nichts mehr“, gab sich der alternde Ermittler unantastbar, stieg über die Leiche und öffnete die Türe.

      Ein lauter Aufschrei war die Folge. Ein Schwall von bestialischem Fäkalgestank sprang ihm entgegen. Zwar war er schon öffentliche Großstadttoiletten und Müllplätze gewohnt, aber was sich da, in diesem kleinen Raum, trotz offenem Fenster, angestaut hatte, war einfach nur ekelerregend. Nur durch seine Wissbegierde und Lüsternheit auch diesen Fall so schnell als möglich zu lösen motiviert, trat er ein. Der weißgeflieste Raum hatte über dem Spülkasten ein circa einen Meter mal vierzig Zentimeter kleines Fenster, welches offen stand. Doch trotzdem konnte der geringe Luftzug, die üblen Ausdünstungen nicht aus dem Sanitärraum beseitigen. Obwohl Ulmans kleine Garconniere weit davon entfernt war eine Parfümerie zu sein, aber so einen Saustall hatte er nicht mal in seinem Klo mit roter Brille, welches er sich mit zwei anderen Nachbarn auf der Etage teilte, erlebt. Der unsportliche Mittsechziger wollte den Spülkasten erklimmen und aus dem schmalen Fenster blicken, welches in einen freiliegenden Schacht führte und alle Toilettenfenster auf dieser Seite des Zinshauses damit entlüftete. Da fiel ihm auf, dass der Gestank in der Keramikmuschel seine Quelle hatte. Der letzte Benutzer hatte einen längeren Toilettengang hinter sich gebracht und nicht gespült. Die feuchte Erleichterung spritze bis auf die Umrandung und färbte die weiße Schüssel in ein miefiges hellbraun.

      „Hat unser Täter nach diesem Wahnsinn großzügig das Klo verschissen und nicht gespült? Nicht einmal die Klobrille hat er heruntergeklappt das Schwein!“, wunderte sich der angewiderte Kommissar und grübelte was er mit dieser Situation anfangen und wo er sie einreihen konnte. Dann dachte er daran, dass das erste Opfer womöglich bei seinem großen Geschäft unterbrochen und dann, beim Öffnen der Eingangstüre, erschossen wurde.

      „Okay, Doktor Weiss, ich habe genug gesehen. Ich erwarte Ihren Bericht. Ausgedruckt! Bis wann?“, appellierte er um schnelle Abhandlung der forensischen Untersuchungen und stieg über die Leiche im Eingangsflur, um im Treppenhaus nach Luft zu schnappen.

      „Herr Kommissar, wir arbeiten mit allem was wir haben. Der Druck aus dem Dezernat ist enorm. Auch auf Sie. Ich hoffe, dass ich bis heute Abend schon mehr weiß“, gab sich der Chef der Spurensuchung beschwichtigend.

      „Gut“, murrte Ulman und ließ Weiss bei seinen beiden Kolleginnen am Tatort zurück. Es war nicht das erste schwierige Treffen der beiden, aber heute hatte der alternde Ermittler seinen Ruf als cholerischer Kollegenschreck wieder alle Ehre gemacht. Bei den Stiegen, die wieder hinunter in das Vestibül führten, angekommen, riss er sich den weißen Overall, die Überziehschuhe und die schwarzen Plastikhandschuhe vom Leib und ließ die gebrauchte Adjustierung einfach an Ort und Stelle liegen. Noch bevor er die erste Terrazzotreppe des hallenden Stiegenhauses betrat, genoss er schon einen tiefen Zug von einer, in seinem Mundwinkel eingepressten, Zigarette. Der Abgang sollte nicht so beschwerlich werden wie der Aufgang und für einen kurzen Moment konnte Kommissar Sebastian Ulman entspannen.

      Kapitel 4 Tagwerk Leiden

      „Wollen Sie eine warme Suppe, um sich aufzuwärmen?“, bot der Rettungssanitäter Aaron Röttgers fürsorglich eine Schale der heißen Brühe an, indessen dieser, in eine dicke Baumwolldecke gehüllt, im Inneren des Notarztwagens, auf einer Pritsche Platz nahm. Sein Blick war versteinert und eingefroren nach vorne gerichtet. Ins Nichts. Es war, als ob er sich aus seinem Tunnel der geistigeren Leere und traumatisierter Einigelung, welche seine Panikattacken und Angstschübe unterdrückten, nie mehr werde befreien können. Wohl nahm er die Sanftmut der Sanitäter wahr, doch presste seine Augen eine innere Macht an die weiße Innenwand des Sanitätsbusses und versetzte seinen gesamten Körper zugleich in ein Wechselspiel aus Zittern und Starrheit. Im vermindert Positiven war dadurch das Schwindelgefühl zurückgegangen, welches durch den Blutstau in seinem Kopf ausgelöst wurde.

      „Der Mann steht unter Schock, lassen Sie ihn“, merkte der zweite Sanitäter, gegenüber seinem Kollegen an, „warten wir, bis der Interventionspsychologe kommt.“

      Psychologe, Rettungswagen, Kamerateams, Menschenmassen hinter Polizeiabsperrungen. Der am liebsten heimelig-verschanzte Aaron wollte einfach nur in seine saubere Wohnung und es sich, statt einer Suppe hier, dort mit Junkfood vor dem Fernseher gemütlich machen.

      „Wann kann ich nach Hause?“, stammelte er, den Blick weiterhin nach vorne gerichtet, um mit der leidlichen Darstellung seiner Konsterniertheit, eine Freigabe zu erbetteln.

      „Sie müssen noch die Polizeibefragung abwarten. Der Hauptermittler ist erst vor kurzem eingetroffen. Der Traumapsychologe wird auch bald kommen“, erwiderte der Suppen-Sanitäter.

      „Oh mein Gott“, dachte sich, der sonst so säkularisiert auftretende Aaron, als er Polizei hörte.

      Er wollte doch immer nur ein unbeschwerliches Dasein, unterhalb des öffentlichen Radars, verleben und nun sollte er auch noch eine Vernehmung mit einem Hauptermittler durchstehen. Hätte heute Morgen doch nur sein Schweinehund den Sieg über seinen pflichterfüllenden Aufstehdrang erlangt, dann läge er vielleicht noch in seinem wohlig warmem Bett und säße nicht in einem Rettungswagen in einer Seitengasse, abgeschirmt von Kameras und Schaulustigen in der Nähe seiner, zum Tatort umfunktionierten Arbeitsstätte.

      Der Nieselregen legte sich und die Sonne ließ die ersten leichten Strahlen, durch die kleinen Rettungswagenfenster, in sein Gesicht scheinen und den ersten Schockzustand in nörgelnde Verdrossenheit umkehren. Wenn Aaron eines mehr hasste als einen heißen Großstadtsommer mit schlaflosen Tropennächten, dann war es Warten. Und nachdem ihm die Erinnerung an so einen Sommer nun ins Gesicht schien und blendete, wollte er zumindest Zweites so schnell als möglich beenden. Er streifte sich die Decke vom Rücken, öffnete die Hintertüre des Busses und stieg aus. Die beiden Sanitäter versuchten ihn aufzuhalten: „Bleiben Sie hier. Sie stehen unter Schock!“

      Als sich Aaron seine rechte Hand als Sonnensegel, auf seine Augenbrauen legte und die Sonne aufhörte sein Sichtfeld zu blenden, fand er sich in einer apokalyptischen Szenerie wieder. Keine Autos fuhren, keine Hupen ertönten, nur der Geruch von verbranntem Treibstoff hing weiterhin in der kalten Großstadtluft. Links und rechts starrten Menschen aus den Fenstern der Gründerzeitbauten im Neo-Renaissance-Stil und versuchten einen Blick auf den turbulenten Aufruhr auf der Prachtstraße und die Masse an Exekutivfahrzeugen in den Quer- und Parallelstraßen zu erhaschen. Mit fortweilender Dauer seiner Anwesenheit musste der konfuse Beäugte feststellen, dass immer mehr schaulustige Fenstergucker ihre Aufmerksamkeit nun auf ihn richteten. Wie auf der Bühne der weltberühmten Oper der Metropole kam er sich vor. Eine Feuerwalze an Logengaffern urteilten ihn von allen Seiten ab und an dem bloßgestellten Gefühl des Ausgeliefertseins an Fremde, konnten auch die blattlosen Ahornbäume, welche sich zwischen leerer Fahrbahn und verlassenem Gehsteig aufreiten, keinen Blickschutz bieten. Dieser Umstand und das Unwohlsein in seiner nass-dreckigen Kleidung, waren ihm zu viel. Wie ein Gladiator, der in der Arena den Raubtieren vorgeworfen wurde, machte er sich wieder retour zum schützenden Rettungswagen, als aus einiger Entfernung ein tiefer, kratzender Schrei sein Unterfangen unterbinden wollte:

      „Sie da, bleiben Sie wo Sie sind!“

      Schon fast wieder in sein sicheres Sichtversteck zurückgeklettert, wandte der Flüchtende seinen Blick nochmals gegen die Sonne und entgegnete verdattert: „Warum?“

      „Kommen Sie her, ich habe mit Ihnen zu reden!“, befahl der entgegenkommende Schreihals mit unverminderter, reibbrettartiger Stimmintensität, aus dem blendenden Sonnenlicht. Beibehaltend diente seine rechte Hand als Sonnenschirm und seine nun beschatteten Augen konnten zwei Männer ausmachen. Einen großen dünnen, hageren Mann,

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