Stadtflucht. Stephan Anderson
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„Bleiben Sie jetzt endlich hier!“, brüllte ihn der finster dreinblickende Mann mit faltigem, verbraucht-wirkendem Gesicht an.
Der junge blondgelockte Polizist hatte den alten Unruhestifter nun endlich eingeholt und reichte ihm einen Tablett-Computer.
„Herr Ober-Kommissar, hier alle relevanten Daten über den Zeugen“, und übergab dem erstaunten Grobian, der nun von Aaron abließ, um nach dem Bildschirm zu greifen.
„Körner, was soll das? Ist das ein riesiges Telefon ohne Tasten?“
„Nein, ein Tablet-PC. Sie können hier auf alle relevanten Daten und Akten des Polizeiservers zugreifen. In der Cloud. Landesweit. Mit der nötigen Berechtigung sogar auf INTERPOL.“
„Ich will einen Akt aus Papier und Tinte, so etwas interessiert mich nicht.“
„Den gibt es auf dem Morddezernat. Aber ich habe Ihnen den Akt des Zeugen schon geöffnet. Sehen Sie? Auf der ersten Seite stehen alle relevanten Personaldaten.“
„Das ist mir egal!“, wetterte der, viel zu leicht für diese Jahreszeit bekleidete Choleriker gegen das technische Wunderwerk und drückte es Aaron in die Hände.
Dieser konnte gar nicht glauben, was er da sah und hörte. Weniger der rauborstige Umgangston innerhalb der Polizei, sondern mehr die Tatsachen, dass es in der Exekutive eine interne Akte über ihn gab und dieser sichtlich ungepflegte Rüpel ein Ober-Kommissar sein sollte.
„Mein Name ist Kommissar Sebastian Ulman, ich bin Hauptermittler in diesem Fall. Bitte werfen Sie einen Blick auf diesen Bildschirm und sagen mir, ob Ihre Daten richtig sind?“, forderte der alternde Ermittler den, in den Rettungswagen zurückgekehrten Zeugen auf. Aus Angst und Hoffnung, bald wieder nach Abhandlung dieser Formalitäten, in seine beschaulichen vier Wände zurückkehren und einen Riegel vor diese verrückte Welt schieben zu können, machte Aaron wie ihm befohlen wurde. Keinerlei Anstalten machte er, nachzufragen woher die Daten kamen oder wie es nun weiterginge, zu sehr war er vom Auftritt des cholerischen Kommissars eingeschüchtert. Mit vorbildlicher Kooperation würde er schon so schnell als möglich diesen Ort verlassen können. Während Aaron die erste Seite des Tablett-PCs mit seinen persönlichen Daten überprüfte, wandte sich der nervenlose Ulman wieder seinem jungen Kollegen zu: „Haben Sie schon Antworten für mich?“
„Keine weiteren Zeugen, wir haben alle Angestellten der Geschäftslokale an der Prachtstraße gefragt. Bewohner aus dem Zinshaus waren keine aufzufinden. Wir haben Nachrichten an den verschlossenen Türen hinterlassen. Auch weit und breit keine Kameras, die etwas Relevantes aufzeichnen hätten können“, berichtete Körner mit zittriger Stimme.
„Bin ich eigentlich der einzige Kommissar hier?“, wunderte sich Ulman.
„Herr Ober-Kommissar, ja.“
„Ich bin nur Kommissar, du Pfeife! Seid ihr sicher, dass alle befragt wurden und es keine Kameras gibt?“
„Ja“, gab der unterwürfige Polizist, immer wieder leicht verbeugend, an.
„Gut. Klären Sie noch Folgendes ab. Wer hatte alles einen Schlüssel für die Eingangstüre in das Zinshaus? Wer gelangt ohne Probleme in das Stiegenhaus. Den Rest mach´ ich dann schon alleine.“
„Sind wir am Abklären. Sie bekommen eine Liste.“
„Es kann ja nicht sein, dass Weiss und die ganze Spurensuche hinter dem Fall sind und ich bin alleine mit lauter Frischfleisch. Wie sieht es mit dem Müll aus?“, vergewisserte sich der, alles zu sehen glaubende Mittsechziger, bei dem jungen Mann, dessen Anfangseuphorie, ob des Mitwirkens an diesem Tatort, ungebremst war.
„Es tut mir leid Herr Kommissar, aber die Müllabfuhr war heute schon hier und hat im ganzen Distrikt den Restmüll abgeholt. Nur die Papiermüll-Container sind noch voll.“
Nun lief Sebastian Ulmans Kopf rot an und seine, eigentlich einladenden, rehbraunen Augen verschwanden hinter der Beschattung seiner gerunzelten Augenbrauen: „Das kann ja nicht Ihr Ernst sein! Los, auf zur Müllverbrennungsanlage und alles durchsuchen. Fordern Sie mindestens zwanzig Helfer an. Und Sie, Körner, werden als erster knietief im Dreck mit dem Metalldetektor unterm Arm suchen!“
„Ja, aber was suchen wir?“, wollte sich der blondgelockte Wachtmeister vergewissern, keine Fehler in seinen weiteren Aktivitäten einzustreuen.
Der schmale, ausgemergelte Mittsechziger packte seinen, gut einen Kopf kleineren Kollegen am Kragen und zerrte ihn einige Meter, unter den amüsierten Blicken der Schaulustigen an den umliegenden Fenstern, vom Rettungswagen weg. „Schusswaffen, Patronenhülsen, Projektile, Messer, Scheren“, flüsterte er ihm, mit gewohnt tief-räuspernder Tonlage, despektierlich ins Ohr und deckte den, vor allen Beobachtern Bloßgestellten, mit seinem üblen Mundgeruch ein. Schnell zum Abschied salutierend, flüchtete Körner die Seitengasse entlang zur Prachtstraße, wo sich die mobile Einsatzzentrale aller Exekutivorgane befand. Verstört blickte ihm Aaron hinterher, der zwar nichts von den leisen Ansagen des herrischen Kommissars gehört hatte, sich aber bereits ein deutliches Bild von jenem Mann machte, in dessen knöchrigen Fingern nun sein weiteres Wohlergehen lag. War es denn nicht gesellschaftlicher Usus, dass man sich seiner beruflichen Stellung und Funktion entsprechend kleiden sollte? Zwar fing Aaron mit diesem ungeschriebenen Dress-Code-Gesetz, warum ein Bankangestellter immer Anzug und Krawatte oder Busfahrer immer lange Hosen zu tragen hatten, ohnehin nichts an. Aber der Mensch ist eben auch nur ein Sklave seiner wilden Triebe und der imaginäre Gesellschaftsvertrag, so seine Interpretation der Welt, der ab der Sekunde der Geburt unterschrieben wurde, hatte nun einmal vorgesehen, dass man mit Vertrauen am besten Geld machen konnte. Und Geld war nun mal ein Schlüssel zu Macht und Macht bedeutete Aufstieg im Rudel. Und es gab im Rudel nun mal kluge Anführer, die den Kampf gegen andere Rüden nicht scheuten, aber dafür ständig im Fokus standen und es gab Anführer wie ihn. Die, welche eine Leitungsfunktion innehaben hätten können, es aber nicht wollten, weil sie sich nicht auf Grabenkämpfe mit Betarüden, wie es Sebastian Ulman einer war, einlassen wollten. Zu aufwendig, zu energieraubend, zu rastlos und zu ärgerlich waren für den faulen Aaron diese ständigen gesellschaftlichen Zwänge nach Führungsanspruch und Überlegenheit. Wenn jemand zu einem Bankangestellten mehr Vertrauen hatte, nur weil dieser, auch bei vierzig Grad im Schatten Anzug und Krawatte trug, dann suchte er, so Aaron, lediglich nach Vertrauen und Führung. Wer nicht anecken wollte und den Grabenkämpfen ausweichen, der musste klug handeln. In des selbsternannten Gesellschaftsphilosophen Werkzeugkoffer war die Schauspielerei, und er war ein guter Schauspieler, der durch die harte Schule jahrelanger Verkaufsgespräche und Preis-Feilschereien gegangen war, sein zwischenmenschliches Mittel zum Zweck. Auch im Handel spielte Vertrauen eine tragende Säule des Verhandlungsgeschicks. Den Gegenüber loben, ihn schwafeln lassen und in seiner geglaubten Erhabenheit bejahen. Sein innerstes Verlangen finden und es ihm doppelt geben. Und erst bei der Vertragsunterschrift kam der Gepriesene drauf, dass er gelinkt wurde. Der Wohlstandsbauchträger war nach außen ein aufoktroyierter Schleimer, Heuchler und Jasager. Im Inneren ein passionierter Nörgler, Zweckpessimist und arroganter Besserwisser. Ein willensbildender Manipulator der es, durch kaufmännisches Geschick, immer wieder schaffte seine egozentrische Impertinenz zu verschleiern, wenn es zu seinem Vorteil gereichte. Aber warum dann ein Mordermittler, der ebenfalls Vertrauen projezieren sollte, so auftrat, war Aaron ein Rätsel. Schwarze, ausgelatschte 80er-Jahre Lederslipper, eine verschlissene graue Stoffhose mit sprödem Ledergürtel, gelb-braun-grün gestreiftem Hemd, wie aus einem Retro-Laden