Fräulein Rosa Herz. Eduard Graf von Keyserling

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Fräulein Rosa Herz - Eduard Graf von Keyserling

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»ich kenne das. Sie hat ihrer gelähmten Mutter, der ganz alten Schank, solch ein Kleid gekauft.«

      »So? Ich weiß davon nichts. Du wirst ja sehen. Mir hat es gefallen, und sie sagt, es sei wohlfeil und dauerhaft. Mein armes Kind! Teure Kleider kann ich dir ja nicht geben; das weißt du. Wenn ich könnte, ich wollte meine Rosa herausputzen! Aber du bist ja in jedem Kleide hübsch.« Die hellblauen Augen schauten zärtlich zu dem mürrisch daliegenden Mädchen hinüber, und sie wurden feucht von den Tränen, die so leicht die Augen alter Leute überfluten. Er küßte seine Tochter vorsichtig auf den Scheitel und flüsterte: »Komm! Die Agnes ist mit dem Essen fertig.« – »Ah«, meinte Rosa und legte ihren Arm in den ihres Vaters.

      Während des Mahles war Herr Herz äußerst lustig, fast ausgelassen. Er stellte sich ungeschickt beim Vorschöpfen der Suppe, neckte Agnes, erzählte aus seiner Ballettänzerlaufbahn viele seltsame Geschichten, die er schon hundert Mal erzählt hatte, und um das Gespräch von vorhin vollends vergessen zu machen, fügte er ihnen kleine gewagte Ausführungen mit halber Stimme bei, wenn Agnes das Zimmer verließ, um etwas zu holen. Rosa lächelte nur matt. In diesem eigensinnigen blonden Kopf war heute die feste Überzeugung entstanden, dort – irgendwo, fern von der Heimat – läge eine schöne, ergötzliche Welt, der eben nur Rosa fehlt; sie war da, man brauchte nur die Hand auszustrecken, um alles Schöne zu fassen. Bitteren Groll hegte Rosa heute gegen die alte, enge Stube mit ihren lächerlichen Möbeln, ihrem schläfrigen Frieden, Groll gegen die ganze widerwärtige Stadt, selbst gegen ihren Vater, der aus der großen Welt in dieses kleinliche Nest flüchten konnte, um fortan nur für den Klub, für Klappekahl und für Lanin zu schwärmen. Da stand die gute Agnes Stockmaier in ihrem weißen Kleide. So hatte dieses große weiße Gesicht immer dreingeschaut, seit Rosa denken konnte. Diese grauen Augen hatten stets so ruhig vor sich hingeblickt, als wären Augen nur auf der Welt, um zu sehen, ob Staub auf der Kommode liege oder ob das Tischtuch Falten schlüge. Oh, und diese Suppe mit ihren Fettaugen, dieser Braten mit seiner langen Sauce! Rosa hatte sie jahraus, jahrein gegessen; täglich hatten sie die Wohnung mit ihrem Duft erfüllt. Gott ja, es war unerträglich klein, gewöhnlich, lächerlich! Ein Gefühl der Rebellion, der Verachtung alles dessen, was es kannte und besaß, stieg in der Brust dieses jungen Mädchens auf, in dessen Leben das größte Ereignis bisher ein Tanzabend bei Klappekahls gewesen war.

      Rosa mochte nicht ausgehen. Sie wollte bis zum Abend daheim bleiben und sich immer tiefer in ihre unklaren Grübeleien vergraben. Ihr Vater gab sich, wie gewöhnlich, seinem Mittagsschlummer hin; Agnes klapperte beim Abräumen leise mit dem Tischgerät. Rosa lehnte am Fenster, und ihre runden blauen Augen sahen unverwandt hinaus.

      Die Stille des Sommernachmittages war auf das Städtchen niedergestiegen. Am zartblauen Himmel standen glänzende Wolkenhaufen, wie Ballen weißer Wolle. Die Pflastersteine waren so hell beschienen, daß Rosa große Käfer auf ihnen erspähen konnte. Sie krochen langsam dahin, blieben plötzlich, wie sinnend, stehen und hatten runde, stahlblaue Leiber, dann kam eine Eintagsmücke durch den Sonnenschein geflogen.

      Rosa hatte lange hinausgestarrt. Mechanisch und gedankenlos war sie allen Vorgängen draußen gefolgt. Ihre Augen hatten immer starrer vor sich hingeblickt, hatten sich endlich geschlossen, der Kopf war auf den Arm niedergesunken – Rosa schlief, und das blonde Köpfchen im offenen Fenster schien auch ein Stück des trägen Nachmittaggoldes zu sein, das dort auf der Fensterbank liegengeblieben.

      Als ein roter Sonnenstrahl ihre Augen traf, erwachte Rosa. Sie war allein im Gemach; ihr Vater hatte sich leise fortbegeben. Ringsum auf den alten Möbeln und Sachen lag blaßrotes Licht. Von der Straße tönten Stimmen und Schritte herauf. Auf dem Gartenzaune saß des Pfarrers Bube und biß in eine gelbe Frühbirne. Die Kastanienwipfel wiegten sich sachte hin und her. Eine Katze stand ruhig auf einem Dach und schaute über die Stadt hin, während die Sonnenstrahlen zwischen ihren Beinen hindurchschlüpften und ihren Leib vergoldeten. Der weiße Wolkenhügel von vorhin war fort; die Wölkchen waren auseinandergezogen und lagen jetzt verstreut über das tiefe Himmelsblau,

      Es war lustig! – Rosa rieb sich die Augen und dachte darüber nach, was es doch war, das sie vorhin betrübt hatte. Sie entsann sich dessen wohl; aber es erschien ihr jetzt gering. Fräulein Schank, das Kleid mit den gelben Erbsen, die Fabel, ihr alter Vater, das alles war kein Grund, sich ernstlich zu grämen. Brauchte sie denn das enge Leben zu teilen? Gehörte ihre anziehende Person mit den blauen Augen und dem goldenen Haar nicht ihr? Konnte sie denn mit ihrem Leben nicht anfangen, was sie wollte? Was konnte sie nicht alles Tolles, Unerhörtes beginnen. Noch wollte sie warten; sie hatte ja Zeit. Sinnend lehnte sie den Kopf an das Fensterkreuz und lächelte hochmütig. Der Gedanke: ich gehöre mir – mir ganz allein, war plötzlich in diesem leichtfertigen Mädchenhirn aufgeschossen, schüchtern noch und unklar; er war jedoch da mit seiner ganzen wundersamen, gefährlichen Macht.

      Auf der Treppe des gegenüberliegenden Hauses saß der Pfarrer Raser mit seiner Frau. Ihre ruhigen Stimmen schollen über die Straße zu Rosa herüber. Ihr Jüngstes, nur mit einem Hemdchen angetan, sprang zu ihnen heraus und stieß kleine schrille Freudenrufe aus, wie sie nur Vögeln und Kindern eigen sind.

      Das sinnende Mädchen stand vor dem großen Frieden der Natur, mit dem unruhigen, eigensinnigen Egoismus junger Herzen; es grübelte und sann, wie es diese Schönheit und Harmonie sich dienstbar machen könnte; wie es sich damit schmücken sollte, welche Rolle ihm in diesem Schauspiele gebührte? Nachdenklich blickten die blauen Augen zu den Sternen auf, wie sie sonst wohl in den Spiegel schauten, um die geeignetste Stelle für ein Band in den blonden Flechten zu finden.

      Herr Herz kam in heiterer, angeregter Stimmung heim. Er küßte seine Tochter auf die Stirn und fragte, ob die schwarze Laune schon geschwunden sei. Dann lief er unruhig im Zimmer auf und ab und packte seine Neuigkeiten aus. Bei Lanins war vor einer halben Stunde der Neue angelangt. Herr Herz war zugegen gewesen, als die Postchaise bei Lanins vorgefahren war, denn er stand mit dem Doktor gerade auf dem Marktplatze. »Klappekahl kam sogleich herbeigelaufen, und wir betrachteten den jungen Mann. Viel war nicht zu sehen. Er sprang schnell aus dem Wagen und ging in das Haus. Ein Schnurrbärtchen scheint er zu tragen, genau läßt sich das nicht bestimmen; der Doktor meinte, es sei nur Staub von der Reise.«

      »War Sally da?« fragte Rosa.

      »Ich glaube – ja«, erwiderte Herr Herz. »Es schien mir, als stände sie im Laden, er aber, natürlich, ging durch die Haustüre ins Haus. Einen grauen Mantel mit einer Kapuze trug er; das soll jetzt Mode sein, sagt Klappekahl. Klappekahl fand auch in der Art, wie der junge Mann sich aus dem Wagen schwang, viel Chic. Ich konnte nichts Besonderes sehen. Drei Koffer hat er mitgebracht, schön mit Leder überzogen. Wir gingen heran und befühlten sie. Ich gehe später noch in den Klub, vielleicht kommt Lanin und erzählt von seinem Neffen.«

      Herr Herz sprach die ganze Mahlzeit über von dem wichtigen Ereignis und erging sich in allerhand Vermutungen.

      »Also du gehst heute in den Klub?« fragte Rosa.

      »Ja, ich muß hin, ich hab's Klappekahl versprochen.«

      »Ich gehe auch noch hinaus«, meinte Rosa. »Schön ist's heute abend. Ich sitze noch mit Rasers im Freien.«

      »Gut, gut, mein Kind! Agnes braucht die Türe nicht zu verschließen.«

      Diese kleine Lüge kostete Rosa nicht das Geringste; im Gegenteil, sie machte ihr Vergnügen. Sie war das notwendige Zubehör zu einem Abenteuer – ein Stückchen Intrige.

      Als Rosa in die kühle Nachtluft hinaustrat, fühlte sie sich recht glücklich. Sie blieb einen Augenblick stehen, atmete tief den feuchten Duft ein, der rings vom Laub der Kastanien und aus des Pfarrers Garten aufstieg – sah zum Himmel auf, an dem jetzt Stern an Stern stand – und schauerte behaglich in sich zusammen.

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