Fräulein Rosa Herz. Eduard Graf von Keyserling

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Fräulein Rosa Herz - Eduard Graf von Keyserling страница 7

Fräulein Rosa Herz - Eduard Graf von Keyserling

Скачать книгу

Ufer aus. Große Sandgruben lagen voll roten Lichtes, und hinter der Wellenlinie der niedrigen Sandhügel ging die Sonne groß und rot unter.

      »Das ist schön, Rosa, nicht?« rief Herweg und deutete zur Sonne hinüber. Rosa nickte, die Blicke nachdenklich in den Glanz verloren. »Schauen Sie dort das Feld!« fuhr Herweg fort. »Es ist ganz rot. So rot habe ich's noch nie gesehen.«

      In der Tat! Ein grelles Purpurlicht badete das Land. Es schien zu beben und zu flackern. Dann ward es blasser und erlosch. Die Sonne war hinter den Hügeln verschwunden. Ein milderes Scheinen klomm den Himmel hinan, ein blasses, gewässertes Gold, wie an alten Meßgewändern. Eine Schar winziger Wölkchen flatterte in einem fast weißen Himmel, viele rosige Schleier, kleine Flügel, eine Schar ausgelassener Cherubim. Weiter oben schien der Himmel unermeßlich hoch und veilchenblau. Schweigend standen die beiden Kinder vor diesem Farbenwunder. »Rosa«, fragte Herweg endlich leise, in seinen guten Augen stand ein weicher, zärtlicher Glanz. »Rosa! Warum sagen Sie nichts? Gefällt es Ihnen nicht?«

      »Doch«, meinte Rosa ernst.

      »Nicht wahr?« begann Herweg wieder und griff nach Rosas Hand, »so etwas... Sie wissen, Rosa, wenn ich so etwas sehe, bin ich wie bekneipt!«

      »Lassen Sie, Kollhardt«, sagte Rosa; dann setzte sie verständig hinzu: »Es war sehr poetisch.«

      Herweg empfand das wohl. Er küßte Rosas Hand, als hätte sie das Schauspiel geschaffen, und flüsterte: »Rosa! Ich bin Ihnen wirklich gut.« Rosa mußte erröten, und es trieb sie nach Hause.

      Im Wohnzimmer war noch immer die bedrückende Glut der Mittagsstunden eingeschlossen. Rosa öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus, um in das langsame Herabdämmern auf die Häusergiebel hineinzugehen. Sie fühlte sich erregt, erwartungsvoll und dennoch mißgelaunt. Er war schön gewesen, der große, leuchtende Abendhimmel, das seltsam stille Verglühen. Gewiß, sehr schön! Und doch – was war es? Sollte sie das glücklich machen? Konnte das etwas an der Nüchternheit ihres Lebens ändern? Sonnenuntergang – Gott ja, sehr gut; aber wenn sie es recht bedachte, fügte er nichts zum Leben hinzu. – Herweg hatte ihr gefallen, der gute Junge! Wie er sie angeblickt, wie stürmisch er ihr die Hand geküßt hatte: »Rosa, ich bin Ihnen wirklich gut«, das klang rührend.

      Die Straße unten war schon ganz in das Helldunkel der Sommernacht gehüllt. Vereinzelte Spaziergänger schritten langsam über das Pflaster, den Hut in der Hand, ein Lied trällernd oder eine Weise vor sich hinpfeifend. Waren es zwei oder mehr, so klangen abgerissene Unterhaltungen zu Rosa empor – über das Wetter – Bruchteile einer Erzählung. ruhige, gleichmäßig berichtende Stimmen. Aus den geöffneten Fenstern schollen Laute: ein Schelten – Lachen – Gähnen – Tellergeklapper – ein vernehmliches »Gute Nacht«.

      Das ganze innerste Hausleben drang in die Sommernacht hinaus und ließ sich unter dem Sternhimmel ebenso behaglich gehen wie unter der niedrigen Zimmerdecke. Hin und wieder raschelte ein niederfallender Tautropfen im Laub, und die feuchten Blätter begannen stark und wohltuend zu duften.

      Weiter die Straße hinab, vor der Kirche, traten die Bäume dichter zusammen, und unter ihren Ästen war es ganz finster, dennoch vermochte Rosa von ihrem Fenster aus hie und da ein weißes Mädchenkleid zu erspähen, oder eine brennende Zigarre leuchtete wie ein roter Stern. Helles Mädchenlachen erscholl, hohe ausgelassene Noten in die Stille rufend. So manche Dienstmagd mochte sich dort mit ihrem Schatz der lauen Nacht freuen. Rosa nahm Interesse daran. Jene Bäume schienen etwas Geheimnisvolles, Süßes und Lustiges zu bergen, etwas, das sie in ihr armes Leben herüberwünschte, etwas von jenem Gefühlvollen, das der schöne Abend sie ersehnen ließ. Ach Gott, ja – etwas...

      Im Nebenzimmer regte es sich. Das war Agnes Stockmaier. Sie wird sogleich in das Zimmer treten und die Lampe bringen. Die Lampe mit ihrem blau und weißen Porzellanfuß wird, wie jeden Abend, dort auf der roten Tischdecke stehen und ihren gelben Lichtkreis auf die Zimmerdecke werfen. Ja, und der Vater wird heimkommen und von Klappekahl, Lanin und dem Doktor erzählen; und sie, Rosa, wird verstimmt und unfreundlich gegen ihren Vater sein – und wieder ist ein Tag ihres Lebens verloren. Das mußte geändert werden! – Gut, morgen wollte sie Herweg sagen, er solle sie unten am Fluß um neun Uhr abends erwarten. Ein wahres, echtes Stelldichein sollte das werden, wie die Bäume drüben es verdeckten. Herweg war heute gut und poetisch gewesen, da konnte sie ihm wohl etwas zuliebe tun. Auf diese Weise würde sie doch auch einmal teilhaben an der Sommernacht und ihrem Gemunkel. Der Gedanke war gut.

      Am folgenden Tage traf Rosa Herweg auf dem Weg in die Schule und bestellte ihn für elf Uhr in die Laube. Herweg machte ein überraschtes und erfreutes Gesicht und dachte keinen Augenblick an die Gefahr einer abermaligen Versäumnis. Der Plan einer abendlichen Zusammenkunft mit Herweg stand bei Rosa noch immer fest. »Ich bin es dem armen Jungen schuldig«, sagte sie sich, wenn ein wenig Unruhe über ihr Vorhaben sie beschlich. So saß sie denn in geheimnisvoller Geistesabwesenheit auf der Schulbank und stützte den Kopf sorgenvoll in die Hand.

      »Ah! Rosa! Mein Herz!« Fräulein Lanin stand vor ihr. Auch sie war heute besonders sinnig und drückte ihren Noël, unter dem sich der dünne achte Band von »Emmas Schmerz« verbarg, fest an das Herz. »Weißt du, ich meine das, wovon wir gestern sprachen. Du entsinnst dich – ah? – Er kommt vielleicht schon heute abend.« – »So«, erwiderte Rosa, sah ernst auf, hob langsam ihre Hand über den Tisch empor und ließ sie schlaff wieder sinken; eine hübsche Bewegung, die zu bedeuten schien: »Es ist gleichgültig. Sie kommen und gehen.«

      »Ja«, fuhr Fräulein Lanin fort, und obgleich es sich offenbar um ein wichtiges Geheimnis handelte, so sprach sie doch sehr laut: »Ich habe seinetwegen – du weißt? – mit dem Papa eine ernste – wirklich eine sehr ernste – Unterredung gehabt, die mir viel zu denken gibt.«

      »Ah.« Rosa hätte gern Näheres darüber erfahren, sie mochte jedoch nicht fragen. Es war auch nicht nötig, denn Fräulein Lanin begann angelegentlich: »Er sagt, und er hat gewiß recht, daß unsere Familie mit der Aufnahme von A. T. sehr ernste Pflichten übernehme und somit auch mir ein Teil – und weißt du, der Papa sagt, nicht der unwichtigste Teil – zufalle.«

      »Ah so! Ich verstehe, weiblicher Einfluß«, schaltete Rosa ein.

      »Das ist's«, fuhr Fräulein Lanin fort. »Der arme junge Mann ist leichtsinnig, ist verführt worden; er ist jetzt vielleicht leidend; du weißt, die Brust – das kommt leicht bei solchen Gefühlskrisen. Dabei ist er verwöhnt, der einzige Sohn sehr reicher Eltern. Nun – ihm Befriedigung und Erheiterung zu bieten, das ist unsere Pflicht. Ich habe beschlossen, sehr freundlich gegen ihn zu sein. Uns Frauen gelingt es doch am besten, solche Wunden zu heilen. Von der Tanzgesellschaft sprach ich schon mit dir. Nun – und im täglichen Leben will ich in ernsten Gesprächen sein Vertrauen erwerben, will ihn auf den einzigen Trost, auf Gott, hinweisen. Es ist eine schwere Aufgabe, ich weiß das wohl, aber sie ist schön, nicht wahr, mein Herz?«

      Fräulein Lanin neigte ihren Kopf auf die linke Schulter und blickte ihre Freundin ernst an. Auf Rosa jedoch hatte dieser Bericht einen ganz unerwarteten Eindruck gemacht. Sie, die ein wirkliches Stelldichein vorhatte, fühlte sich heute über all ihre Kameradinnen erhaben, und Fräulein Lanins Pläne erschienen ihr kindisch und machten sie ungeduldig: »Ich verstehe nicht, wie du glauben kannst, daß ein junger, leichtsinniger Mensch an frommen Gesprächen mit dir Gefallen finden wird.«

      Fräulein Lanin warf Rosa einen schnellen Blick zu, richtete sich dann kerzengerade auf, zog die Augenbrauen empor, was ihr einen verachtenden, aber geduldigen Ausdruck verlieh, und sagte fest: »Ich weiß es sehr genau, bestes Herz, wie ernste Worte auf junge Leute wirken. Und er – mein Cousin«, sie betonte dieses Wort scharf, »er wird gewiß nicht gegen einen sanften, wenn auch nicht weltlich leichtfertigen,

Скачать книгу