Fräulein Rosa Herz. Eduard Graf von Keyserling

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Fräulein Rosa Herz - Eduard Graf von Keyserling страница 6

Fräulein Rosa Herz - Eduard Graf von Keyserling

Скачать книгу

Lurch! Geben Sie auf einen Augenblick die Büchse mit den trocknen Pflaumen her.«

      »Ja, Fräulein Sally. Es ist jedoch nicht viel mehr darin.«

      »Die trocknen Pflaumen, Lurch«, wiederholte Sally bestimmt.

      »Gewiß, Fräulein Sally; warum auch nicht? Hier!« Und er hielt ihr eine hohe Büchse hin.

      »Ja Rosa, du hast von uns gehört«, begann Fräulein Sally, ohne die Büchse anzusehen, in die sie ihre Hand tief versenkte.

      »Der Vater sprach von euch, ich hörte aber nicht recht hin. Was ist es denn?« fragte Rosa.

      Sally brachte jetzt eine Pflaume zum Vorschein, betrachtete sie und erwiderte dann: »Ein zweiter junger Mensch kommt ins Geschäft.« Dann steckte sie die Pflaume in den Mund.

      »Ein Verwandter von dir?«

      »Lieber Lurch«, unterbrach Sally ihre Freundin, »stellen Sie die Büchse her und gehen Sie ein wenig in den Hintergrund. Ich habe mit meiner Freundin zu sprechen.«

      Lurch gehorchte und rief aus der Dunkelheit kläglich hervor: »Ist es so weit genug, Fräulein Sally?« – »Ja, Lurch! Ich danke. Siehst du, Rosa«, nahm sie das Gespräch wieder auf, »er ist ein schlechter junger Mensch.«

      »Du meinst natürlich den Neuen«, schaltete Rosa ein.

      »Ja, der Neue. Er hat Schulden gemacht. Er liebt eine Zigeunerin, oder Kunstreiterin, ich weiß es noch nicht genau. Nun wird der arme junge Mensch von der Geliebten getrennt und soll vergessen, soll sich bessern und das Geschäft erlernen. Sehr wüst soll er sein. Ob er sich bessern wird? Gott gebe es!«

      »Wie alt ist er denn?«

      »Zwanzig Jahre, sehr jung, nicht wahr? Die Person, die ihn verführt hat, weißt du, muß keine gute sein, und er vergißt sie wohl.«

      »Wer kann das wissen!« meinte Rosa mit einem sehr verständigen Gesicht. »Die Frauen von der Bühne bestricken die Männer ganz seltsam.« Fräulein Lanin wollte das nicht wahrhaben und schüttelte ihren Kopf mit den vielen Löckchen, denn zwei Pflaumen in ihrem Munde hinderten sie am sprechen. »Weißt du noch«, sagte Rosa, »in dem Roman ›Anna-Liese, die Männerhasserin‹ ist's auch eine Tänzerin, die den jungen Golo unglücklich macht.« Fräulein Sally schluckte heftig und breitete die Arme aus; sie wollte etwas sehr Wichtiges vorbringen. »Und«, fuhr Rosa eifrig fort, »wenn er ein Wüstling ist, dann wird das Leben hier ihm fade erscheinen.«

      »Nein, mein Herz«, begann Sally, sobald die Pflaumen es gestatteten. »Nein, nein!« Und sich plötzlich unterbrechend, rief sie: »Lieber Lurch, können Sie etwas hören?«

      »Ein wenig, Fräulein Sally«, verlautete die freundliche Stimme aus der Ecke. »Ich kann es nicht leugnen; ab und zu höre ich doch einiges.«

      »Dann halten Sie sich die Ohren zu. Seien Sie so gut, ja?« – »Ohne weiteres, Fräulein Sally. Nur fürchte ich, wenn jemand käme und wollte etwas kaufen, so würde ich's nicht hören.«

      »Seien Sie unbesorgt! Ich werfe Sie dann mit einem Pflaumenkern.«

      »Danke, Fräulein Sally. So, jetzt höre ich nichts mehr.«

      »Nun denn«, nahm Sally ihre Erörterung wieder auf. »Du bedenkst nicht, liebe Rosa, daß das Familienleben, die Gesellschaft des Papa und dann, weißt du, der Umgang mit gebildeten, feinfühlenden Mädchen ihm guttun wird.«

      »Meinst du?« warf Rosa zerstreut hin.

      »Gewiß! So etwas verfehlt nie seinen Eindruck auf Männerherzen. Er sieht gut aus, sehr gut.« –

      »So; braun?«

      »Ja, goldbraunes Haar in Locken; große Augen.« Sally beschrieb mit dem Finger einen Kreis um ihr halbes Gesicht.

      »In drei Tagen, denke ich, wird er hier sein. Dann lege ich die Trauer ab; es sind schon volle sechs Monate her, daß der arme Onkel starb. Papa sprach von einem Tanzabend. Du verstehst, um ihn zu zerstreuen. Ambrosius heißt er.«

      »So hörte ich«, erwiderte Rosa und erhob sich, »begleitest du mich vielleicht?«

      Nein, Sally mochte nicht spazierengehen, sie mußte einen Roman zu Ende lesen, eine sehr spannende Erzählung: »Emmas Schmerz«. Sie fürchtete, ihre Heldin stehe im Begriff, sich das Leben zu nehmen. So – dann wollte Rosa allein gehen; es war zu warm im Zimmer. Sie küßten sich und standen noch einen Augenblick beieinander, dieses und jenes zu erörtern. Eine rote abendliche Sonne drang durch die trüben Fensterscheiben, blitzte auf den Blechbüchsen, erweckte in den Flaschen und Gläsern bunte Lichter, schlüpfte in die Ecken und Löcher, um farbige Punkte auf die staubigen Papiere zu streuen, suchte Lurch in seinem entlegenen Winkel auf und malte einen großen blau und roten Fleck auf seine bleiche Stirn.

      »Auf Wiedersehen!«

      »Auf Wiedersehen, mein Herz« – dann lachten sie, wie junge Mädchen bei Abschied und Wiedersehen es zu tun pflegen – und Rosa ging hinaus.

      Die drückende Schwüle war vorüber, und die Straßen belebten sich. Alte Herren mit breitrandigen Strohhüten standen mitten auf dem Marktplatz und disputierten laut miteinander. Aus den Fenstern beugten sich Mägde, um Teppiche auszustäuben. Auf den Treppen saßen Frauen ohne Hut und strickten. In langen Reihen zogen die Gymnasiasten, Arm in Arm, die Gasse entlang. Über all dem stand ein blaßblauer Himmel von schmalen, rosenroten Wolken durchzogen. – Leicht und fröhlich ging Rosa dahin. Sie grüßte die Vorübergehenden mit verbindlichem Kopfnicken und lächelte dabei ihr stets bereites, ausgelassenes Lächeln. Das Gefühl, daß der Sommerabend auch ihr, wie allem rings um sie, gut ließ, stimmte sie heiter.

      »Ich habe die Ehre!« Klappekahl war es. Er zog vor Rosa seinen hohen Strohhut und blieb stehen. »Schönes Wetter! Wie geht es dem Papa?« Ein süßes Lächeln, das er ganz besonders für Damen bereithielt, umspielte seinen langen Mund. Er trug einen weißen Sommeranzug, eine rote Nelke im Knopfloch und ein Stöckchen, mit dem er nachlässig an seine Beine schlug.

      »Ich danke«, erwiderte Rosa, »ich ließ ihn beim Nachmittagsschlaf.«

      »So, so! Und die Tochter treibt sich derweil ein wenig herum. Ha – ha – junges Blut. Sie werden aber mit jedem Tage hübscher, Rosette.« Neckend legte er seine Hand auf den Arm des Mädchens. »Ohne Scherz! Ich sagte noch gestern zu meiner Tochter: ›Rosette Herz ist zu hübsch für unser Nest; die gehört in eine Weltstadt.‹ Auf Ehre, das sagte ich.« Rosa errötete und meinte, sie käme gern in eine große Stadt. Der Apotheker glaubte das wohl; er nickte, drückte Rosa die Hand und ging weiter, um zwei Schritte davon den Dr. Holte anzuhalten und mit dem Kopfe nach Rosa hindeutend zu sagen: »Ein hübsches Mädchen, Doktor, was? Aber kokett, ich sage Ihnen, wenn die in eine große Stadt kommt – ich stehe für nichts! Guten Abend, Doktor!«

      Vor Steinings Konditorei saß Herweg mit einigen Kameraden, sorgsam hinter mageren Oleanderbüschen verborgen. Als er Rosa erblickte, grüßte er, und sie nickte ernst zum grünen Laubgitter hinein. Kaum aber war sie weitergegangen, als sie Herwegs schweren Schritt hinter sich vernahm. Sie wußte, so mußte es sein; so war es jeden Abend. Treulich folgte er ihr lange Stunden, zuweilen eine Schwenkung machend, um ihr zu begegnen und sie immer wieder zu grüßen. Das war der Ausdruck seiner Liebe.

      Am morschen Geländer des Flußufers

Скачать книгу