Fräulein Rosa Herz. Eduard Graf von Keyserling

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Fräulein Rosa Herz - Eduard Graf von Keyserling

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nicht, daß dieser – Ambrosius sie nimmt.« – »Ja, ja«, erwiderte Herr Herz darauf, ohne daß es schien, als dächte er sich etwas dabei. Bequem rückte er seinen Kopf auf der Lehne des Sessels zurecht und schloß die Augen zu seinem Nachmittagsschlummer. Die Sonne badete das kleine Gesicht des alten Mannes in gelbem Feuer, entzündete in den greisen Augenbrauen leuchtende Pünktchen und wärmte die eingefallenen Wangen, daß sie zu glühen begannen wie die Wangen eines schlafenden Kindes. Die Fliegen trieben im Gemach ihr lautes Wesen und stießen ärgerlich summend gegen die Fensterscheiben. Lange Staubsäulen zogen ihre trüben Bänder durch das Zimmer.

      Rosa lag in ihrem Sessel zurückgelehnt da, ganz überdeckt von stetigen Lichtfunken, die der Sonnenstrahl in ihrem Haar, ihren Augenbrauen und Wimpern erweckte. Die Augen halb geschlossen, träumte sie ihren altgewohnten Traum.

      Er war mit ihr herangewachsen. Jeden Morgen erwachte er mit ihr, um ihr neugestärkt zu folgen. Er ging mit ihr in die Schule, mischte sich in alles, was sie vornahm. In der Nacht kam er oft, mit dem seltsamen Narrentand unserer Träume angetan. Er war immer zur Hand! Wovon er sprach? Das ist das schwer zu lösende Geheimnis liebender Herzen, die nie geliebt, opfermutiger Seelen, die nie ein Opfer gebracht haben. Eines nur wiederholte er immer wieder: »Bald, bald muß etwas geschehen, muß etwas erlebt werden. Bald, sonst versäumst du's.«

      Nachdem Rosa eine Weile ihrem treuen Gefährten zugehört hatte, seufzte sie, erhob sich und ergriff Hut und Mantel, um auszugehn.

      Die Straße war leer, kein Lufthauch regte sich. Gerüche von Fleisch und Gemüse strömten aus den geöffneten Fenstern. Papierfetzen und alte Schuhsohlen lagen auf dem Pflaster und sonnten sich.

      Rosa ging zum Marktplatz hinab. Die Hände in die Taschen ihres Mantels gesteckt, wiegte sie sich lässig hin und her und blickte auf die Häuser und in die Fenster, mit der gleichgültigen Zerstreutheit, die wir gewohnten Dingen entgegenzutragen pflegen, wenn unsere Blicke an ihnen haften, ohne sie zu sehen.

      Am Ausgang der Straße und Eingang des Marktplatzes lag das Geschäft »Firma Lanin und –«, Verkauf von Kolonialwaren jeder Art. Das Geschäft Lanin war von größter Wichtigkeit für das Städtchen; lange schon war es die Hauptquelle für die Bedürfnisse der Haushaltung, und mehrere Generationen hatten den Namen Lanin zugleich mit den Worten Zucker, Rosinen und so weiter aussprechen gelernt. Herr Lanin saß im Rat, wie sein Vater und Großvater vor ihm dort gesessen. Herr Lanin spielte eine bedeutende Rolle bei der Feuerwehr, der Armenpflege und Sparkasse. Herr Lanin war eine so große Persönlichkeit, daß die bescheideneren Bürger der Stadt nicht zu protestieren wagten, wenn die Firma ihnen doppelte Rechnungen machte oder schimmeligen Käse verabfolgte. »Firma Lanin und –« stand über der Türe. Dieses »und« war eine Huldigung für die Tochter der Firma, für Fräulein Sally. Der künftige Schwiegersohn sollte Kompagnon werden; das war sicher; so legte die ganze Stadt dieses »und –« aus; bis Fräulein Sally aber ihre Wahl getroffen, mußte das »und –« allein stehen bleiben und warten.

      Die Firma war sich ihres Wertes viel zu sehr bewußt, um auf äußeren Glanz etwas zu geben; dieserhalb war das Geschäftslokal ein enges, finsteres, unreinliches Zimmer. Das abgeriebene, von der Sonne gebleichte Schild vor der Türe zeigte einen entsetzlichen Neger, der einen weißen Zuckerhut in den Armen hielt.

      Rosa öffnete die niedrige Glastüre, die in das Laninsche Verkaufslokal führte, und setzte dabei eine heisere Glocke in Bewegung. Ein starker Geruch von Orangen, Fisch, feuchtem Stroh schlug ihr entgegen. Fässer und Kisten türmten sich bis zur Decke auf; schwarz angestrichene Holzleisten liefen an den Wänden hin und trugen mächtige Pakete, in blaues, gelbes, graues Papier gehüllt, halb von Dämmerung und Staub verborgen. Hinter dem Ladentisch stand Konrad Lurch, der Diener der Firma. Sein langes, sehr schmales Gesicht war über und über mit Sommersprossen bedeckt. Seine Augen hatten die matte, gelbliche Farbe des Gesichtes und schienen mit diesem ineinandergeflossen. Er trug einen weiten Rock von glänzendem Sommerstoff, wie schwarzes Packpapier, und rotgelbe Beinkleider, die in der Farbe mit dem Papier Ähnlichkeit hatten, in das man Stearinkerzen packt – acht auf ein Pfund.

      »Ah, Fräulein Rosa!« sagte er leise, als Rosa eintrat.

      »Guten Tag, Herr Lurch«, erwiderte sie. »Wie geht es Ihnen? Ist Sally zu Hause?«

      Lurch blickte nicht auf und kaute an einem Bindfaden, der von der an der Decke befestigten Rolle niederhing. »Guten Tag, Fräulein Rosa«, sagte er, »mir geht es gut; ich hoffe, Ihnen gleichfalls, Fräulein Rosa? Was Fräulein Sally betrifft, so war sie die ganze Zeit über hier. Sie sehen noch dort auf der Reiskiste das Buch, in dem sie las. Plötzlich ging sie hinaus; warum, weiß ich Ihnen nicht zu sagen; ich vermute, sie wird gleich wieder hier sein.«

      »Also Sie meinen, ich soll hier warten? Wie?«

      »Ja, Fräulein Rosa, das wird das beste sein. Sie setzen sich unterdessen vielleicht dort auf die Heringstonne?«

      »Ich danke, wenn Sie keinen besseren Platz haben. Ich sitze nicht gern auf Heringstonnen.«

      »Ja so! Natürlich! Es ist auch nicht angenehm, obgleich das ein seltener Artikel ist! Schottische Fett- oder Königs-Heringe. Aber dort die Lichtkiste? Sie ist vielleicht nicht ganz rein? Nehmen Sie mein Taschentuch und setzen Sie sich darauf.«

      Lurch bot Rosa ein ganz klein zusammengeballtes Tuch an. Sie lehnte es jedoch mit dem schrillen, kurzen Lachen siebzehnjähriger Mädchen ab und setzte sich auf die Lichtkiste.

      »Sollten Sie nicht einige Korinthen nehmen, Fräulein Rosa?« begann Lurch nach einer Pause.

      »Nein, ich mag mir nicht immer von Ihnen Korinthen schenken lassen.«

      »Oh! Fräulein Rosa – Korinthen, Korinthen –« Lurch war sichtlich verlegen. »Korinthen sind doch nur ganz kleine Rosinen.«

      »Das macht nichts«, versetzte Rosa energisch; dann fügte sie sanfter hinzu: »Herr Lurch! Gestatten Sie es nicht, daß wir Sie Korinthen-Konrad nennen?«

      »Gewiß, Fräulein Rosa! Wenn der Name Ihnen gefällt; ich hoffe, er ist keine Verhöhnung meines Berufes; ich denke, er ist es nicht?«

      »Durchaus nicht! Nur der Korinthen wegen, wissen Sie.«

      »Oh, dann – warum nicht?« Ja, Lurch schien der Name sogar zu gefallen, denn ein öliges Lächeln zeigte sich auf seinem Gesichte.

      Endlich trat Sally Lanin durch eine Hintertüre des Ladens ein.

      »Ach Rosa! Liebes Herz! Du bist es!« rief sie in allerliebster Freude aus, hüpfte auf Rosa zu, küßte sie auf die Lippen, setzte sich mit einer flinken, schmiegsamen Beweglichkeit auf die Kiste und schlang ihren Arm um Rosas Taille. »Wie gut, daß du kamst!«

      Sally Lanin trauerte um einen geliebten Onkel und trug daher ein schwarzes Kleid und eine schwarze Halskrause. Auf den Schulterblättern saßen zwei weiße Kalkflecken, und auch sonst war an dem Kleide viel von dem Staub der Kisten hängen geblieben, was dem Ganzen ein etwas schäbiges Aussehen verlieh. Eigentlich hübsch war Fräulein Lanin nicht; einige kleine Fehler störten den Eindruck des Gesichtes; so schielten die schönen, vanillebraunen Pupillen der Augen ein wenig, und die Nase war oft an der Spitze rot.

      Fräulein Lanin legte ihr Köpfchen auf die Schulter ihrer Freundin und seufzte: »Liebste Rosa! Ich habe dir viel zu erzählen.«

      »Wirklich? Erzähl doch!« drängte Rosa mit großer Teilnahme. »Ich habe wohl davon gehört – aber...«

      »Ja,

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