Fräulein Rosa Herz. Eduard Graf von Keyserling

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Fräulein Rosa Herz - Eduard Graf von Keyserling

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sagte sie schnell, »daß die Bekehrung dieses neuen Korinthen-Konrads nicht...« – »Er ist mein Cousin«, rief Fräulein Lanin sehr laut. – »Gut, gut«, fuhr Rosa tollkühn fort, »ich glaube, daß die Bekehrung nicht das einzige ist, worauf du hoffst.« – »Sondern – sondern«, drängte Fräulein Lanin und kniff die Augen zusammen, was sie für ein Zeichen vornehmer Kaltblütigkeit hielt.

      »Gleichviel«, meinte Rosa. »Ich wünsche dir guten Erfolg. Nur behaupte ich, daß lange Predigten nicht das rechte Mittel sind. Ich wenigstens würde mich dafür bedanken.«

      »Ja – du – du«, fuhr Fräulein Lanin auf, »ich habe mich sehr in dir getäuscht, gute Rosa! Und von jetzt ab...«

      Fräulein Schank trat in das Zimmer. Die Schülerinnen drängten zu den Bänken; ein plötzliches wirres Durcheinander – der Lärm scharrender Füße – das Klappen der Bücher – dann tiefe Stille.

      Rosa und Fräulein Sally mußten sich trennen. Diese, in der Aufwallung verletzter Freundschaft unterbrochen, begab sich langsam an ihren Platz. Zuweilen schaute sie auf Rosa zurück, zuckte mit den Achseln und Augenbrauen; dann faltete sie die Hände über der französischen Grammatik und saß still und ergeben da, wie es einer frommen Christin gebührt. Diese ergebene Ruhe wich auch nicht von ihr, als Fräulein Schank trocken verlauten ließ: »Sally Lanin.« Dieses hieß so viel als: »Stehen Sie auf und zeigen Sie, daß Sie die La Fontainesche Fabel von den zwei Ratten wieder nicht gelernt haben.« Nein! Fräulein Sally hatte die Fabel nicht gelernt. Sie erhob sich langsam, ein bitteres Lächeln auf den Lippen, die Blicke träumerisch in die Ferne sendend. Nachlässig warf sie einige Worte hin: »Un rat des champs – des champs – un rat.« Dann schwieg sie. »Mademoiselle!« rief Fräulein Schank. Fräulein Sally aber hörte nicht auf sie, sie dachte gar nicht an diese kleinliche Person. Verklärt und geistesabwesend stand sie da, wie Amina, die arme Nachtwandlerin, wenn sie im vierten Akt dicht vor die Lampen tritt, um ihre große Arie zu singen.

      »Setzen Sie sich, Mademoiselle.« In Fräulein Schanks Munde klang das hübsche Wort Mademoiselle wie ein Schimpfname. Mademoiselle setzte sich auch; sie setzte sich aber, weil sie es wollte, nicht weil Fräulein Schank es befahl, das sah man ihr an.

      Fräulein Schank beugte sich über ihr Notizbuch von häßlich grauer Farbe, eine unerbittliche Sibylle mit braunen Bandeaux, und ließ sich von dem winzigen Schicksalsbuche das Schicksal eines armen Mädchens diktieren. »Rosa!« versetzte sie endlich, »sag du einmal her.« Rosa erhob sich ein wenig verwirrt, doch gewann sie bald ihre Fassung wieder und machte ein sehr hochmütiges Gesicht, ein sicheres Zeichen, daß sie sich in derselben Lage wie ihre Freundin befand. Sie begann: »Un rat...« Weiter jedoch konnte oder wollte sie nichts sagen. Fräulein Schank wartete eine Weile, dann sagte sie betrübt: »Also wieder nichts! Setz dich.« Rosa setzte sich. Tiefes Schweigen. Fräulein Schank blätterte in ihrem Büchlein, Rosa blickte vor sich nieder, als wäre nichts vorgefallen.

      »Wirklich Mademoiselle!« Rosa fuhr auf. Fräulein Schank hatte ihr Büchlein beiseite geworfen und blickte Rosa giftig an. »Wirklich Mademoiselle, es ist zuviel von Ihnen verlangt, daß Sie Französisch oder überhaupt etwas lernen sollen! Wozu auch? Für solch ein vornehmes Fräulein ist es genug, den ganzen Tag umherzulaufen und sich bewundern zu lassen. Das Lernen haben Sie ja nicht nötig. Wenn man eine so sichere Zukunft hat, wozu denn? Lernen mag gut sein für ein armes Mädchen, das ihr Brot selbst wird erwerben müssen. Ja! Und das seinen ersten Unterricht aus Barmherzigkeit von – von eben barmherzigen Leuten empfangen hat, und das nur halbes Schulgeld zahlt. Nein, Mademoiselle, Sie brauchen das nicht; Sie nicht. Gott bewahre.« Fräulein Schanks Stimme hatte die höchste Note erreicht, darum entstand eine Pause; aber bald stieg neue Entrüstung in ihr auf. »Ich verstehe dich nicht, liebe Rosa. Mir kann's ja gleichgültig sein. Nur bin ich neugierig – was – was daraus werden soll. Marianne Schulz, sagen Sie her.« Marianne Schulz hatte rotes Haar, viele Sommersprossen im Gesicht und hatte die Fabel gelernt.

      Rosa senkte den Kopf tief auf den Tisch nieder und errötete bis in die blonden Löckchen über die Stirn hinein; an ihren Wimpern hingen dicke Tränen. Sie weinte und schämte sich ihrer Tränen. Ihr leidenschaftliches Kinderherz bebte vor ohnmächtigem Zorn gegen diese alte Lehrerin, die sie gedemütigt, sie als unwissendes, armes, verächtliches Geschöpf hingestellt hatte. Nie war ihr Leben ihr fadenscheiniger, aussichtsloser erschienen als jetzt. Sie war und blieb Rosa Herz, die Tochter des Ballettänzers, die nur halbes Schulgeld zahlte, zwei Kleider besaß und französische Grammatik lernen mußte, um sie vielleicht einst selbst zu lehren, hier in dem dumpfen Gemach, von demselben schäbigen Katheder aus, auf dem Fräulein Schank alt und häßlich saß, bis sie selbst alt und häßlich geworden sein würde und Konrad Lurch geheiratet hätte, der sie liebte.

      Unerträgliche Hitze waltete im Gemach. Das Sonnenlicht fiel blendend auf die nackten Wände und beschien grell die langen Reihen weißer Halskrausen, glattgescheitelter Mädchenköpfe und all die jungen, ruhigen Gesichter. Es legte sich warm über die rosigen Schläfen und weißen Stirnen, in die kein Fältchen, kein Schatten die Spur einer Geschichte geschrieben hatte.

      Es sprühte in den klaren, stillen Augen und durchleuchtete sie, daß man auf ihren Grund die sorglosen Kinderseelen zu erblicken vermeinte – wie eine nichtssagende kleine Arabeske auf dem Grund einer Schüssel voll klaren Wassers. Fräulein Schank dozierte mit eintöniger, singender Stimme die Lehren der französischen Grammatik, und die ernsten, friedlichen Mädchengesichter schauten zu ihr auf, als hätten sie nie etwas Wichtigeres und Aufregenderes vernommen als, daß das Adjektivum vor dem Worte gens in weiblicher, nach demselben in männlicher Form gebraucht werde. Rosa saß noch immer über den Tisch gebeugt da. Die Tränen waren fort und die Wangen jetzt blaß. Oh, sie litt! Sie wollte nicht länger verachtet, lächerlich und unglücklich sein! Sie wollte fliehen oder sterben – oder – sie wußte es nicht, aber außer Fräulein Schank, der Schulstube und Noël mußte – mußte es doch noch etwas geben! Die ganze Leihbibliothek konnte doch nicht lügen! Ganz gewiß wollte sie mit Herweg heute abend zusammentreffen, und sie wollte ihm erlauben, sie auf den Mund zu küssen, nur weil Fräulein Schank das mißbilligen würde. Was ging sie aber die alte Dame an?

      Sobald die Stunde zu Ende war, eilte Rosa ins Freie. Hastig schritt sie die Gasse hinab, den Kopf gesenkt, die Hände hinter dem Rücken zusammengefaßt wie ein alter, sinnender Herr. Auf dem Pfad, der bergab in den Stadtgarten führte, begann sie zu laufen, so daß der Hut ihr in den Nacken fiel und die Zöpfe ihr den Rücken peitschten. In der Nähe der Laube hielt sie still. Warum eilte sie so? Vom Lauf außer Atem gebracht, legte sie die Hände auf die Brust. Warum die Aufregung? Die Schank hatte gezankt, weil sie die Fabel nicht gelernt hatte. Sie wollte sich nichts daraus machen, es war nicht das erste Mal. Sie rückte den Hut zurecht, fuhr sich mit der Hand über die Augen. Was kümmerte sie das kleinliche Elend der Schulstube?

      Allerort – auf den Rasenplätzen und Kieswegen – brannten Lichtflocken und kleine Funken; sie zitterten sachte, wie schläfrig blinzelnde Augen. Die Laube stand auf einer Anhöhe, von goldenem Licht umflutet, und mit den ineinandergebogenen knorrigen Ästen, mit den regungslosen, staubigen Blättern glich sie einem alten Möbel, das man aus der Rumpelkammer in den Mittagssonnenschein gerückt hat. Herweg saß bereits auf der Bank und wiegte seinen Hut zwischen den Beinen hin und her. Eine leichte Befangenheit erfaßte Rosa, da sie ihn erblickte. Wie sollte sie es ihm sagen? Würde er nicht staunen? Langsam ging sie auf ihn zu. Herweg lächelte ihr entgegen:

      »Sie sehen, Rosa, heute bin ich der erste«, meinte er.

      »Ja – ich konnte nicht früher.« – Rosa blieb vor Herweg stehen und strich sich das Haar an den Schläfen glatt.

      »Ha, ha – die Alte?« fragte er.

      Rosa nickte. Herweg sah sie prüfend an: »Ja, ja, die Alte, die hat scharfe Augen. Aber warum setzen Sie sich nicht?« Rosa setzte sich auf die Bank. »Ich habe heute den Direktor gut angeführt«, fuhr Herweg

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