Fräulein Rosa Herz. Eduard Graf von Keyserling

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Fräulein Rosa Herz - Eduard Graf von Keyserling

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zustande.«

      »Ach so, das ist dann etwas anderes.«

      »Nein«, rief Herweg schnell, »es ist nichts bestimmt. Gewiß! Wollten Sie etwas, Rosa?«

      »Wenn Sie frei sind«, sagte Rosa mit niedergeschlagenen Augen, »könnten wir, so dachte ich, heute abend zusammenkommen!«

      »O gewiß!«

      »Das heißt, um neun Uhr. Sie könnten mich unten am Fluß, Sie wissen? erwarten, wir wären dann beisammen, dachte ich mir.« Herweg errötete und rief in der hastigen Weise, die Knaben anzunehmen pflegen, wenn sie befangen sind: »Das geht!« Er lehnte sich zurück, kreuzte die Arme über der Brust, kniff die Augen zusammen und machte ein bedächtiges Gesicht, als müßte er alles zuvor ernstlich erwägen: »Ja, das geht. Das wird hübsch.«

      »Nicht wahr?« sagte Rosa und erhob sich schnell, als hätte sie einen plötzlichen Entschluß gefaßt. Sie blieb aber ruhig vor Herweg stehen. »Ich meinte, es würde Ihnen Freude machen.« Scheu blickte Herweg zu dem Mädchen empor; vorsichtig faßte er den grauen Mantel, langte dann zu den gelben Zöpfen hinauf mit dicken, ungelenken Schülerfingern. Rosa ließ es geschehen. Ihre Augen wurden dunkler und hatten ein unruhiges, intensives Licht. Plötzlich, mit einer schnellen, eckigen Bewegung, faßte sie nach Herwegs Haar und ließ ihre Finger durch das rote Gestrüpp gleiten. Beide waren ernst und stumm. Herweg hielt seinen Kopf regungslos und blinzelte mit den Augen, wie eine Katze, der man die Ohren krault, während Rosa zu Boden schaute. Ein buntes Geflecht von Licht und Schatten bedeckte den Kies mit grau und goldenen Mustern. Durch die Zweige drang das Licht wie blanker Staub in die Dämmerung der Laube. »Max! Max!« erscholl wieder die klägliche Stimme der alten Dame. Hastig zog Rosa ihre Hand zurück; Herweg aber hielt sie fest, drückte die innere Handfläche auf seinen Mund und küßte sie laut.

      »Also, Sie wollen, Kollhardt?« fragte Rosa, sich frei machend.

      »Ja, liebe, gute Rosa!«

      »Gut denn; auf heute abend! Ade!« Und sie lief davon.

      Herweg schlenderte gemächlich durch den Garten nach Hause. Er versuchte es, sein Gesicht in ruhige, ernste Falten zu legen, wie es ein Mann tut, der solche Liebestriumphe gewohnt ist. Stolz reckte er seine mächtige Gestalt und schritt durch den Sonnenschein dahin mit der ganzen Breitspurigkeit seines Schülerhochmutes.

      Herr Herz empfing seine Tochter heute besonders zärtlich; er streichelte ihr die Wangen und bemerkte: »Hübsch bist du heute, mein Kind.« Als Rosa sich mürrisch in einem Sessel ausstreckte, schlich er von hinten heran, um ihre Stirne zu küssen. Sie schenkte dem Alten wenig Aufmerksamkeit; flüchtig streiften ihre Finger einmal die Hand ihres Vaters, als Erwiderung seiner Liebkosungen; dann fragte sie nach dem Essen.

      »Ja, das Essen«, erwiderte Herr Herz. »Ich weiß nicht, was die Agnes so lange macht.« Er schaute in das Speisezimmer hinüber, wo Agnes Stockmaier mit großer Genauigkeit das Tischtuch über den Tisch deckte.

      »Agnes«, mahnte Herr Herz freundlich, »die Rosa ist hungrig.« Da Agnes keine Antwort gab, begann er mit kleinen Schritten im Gemach auf und ab zu gehen. Er rückte die Sächelchen auf der Kommode zurecht, sah sich in dem Spiegel und warf zuweilen einen verstohlenen Blick zu seiner Tochter hinüber. Diese hatte den Kopf auf die Stuhllehne zurückgebogen, die Füße von sich gestreckt und war in tiefes Sinnen verloren. Endlich blieb Herr Herz am Fenster stehen, schaute auf die Straße hinab und bemerkte so nebenher: »Fräulein Schank war hier.«

      »Wann?« fragte Rosa scharf.

      »Kurz eh' du kamst, ging sie.«

      »Dann wollte sie sich wohl über mich beklagen?«

      Herr Herz wandte sich schnell um: »Nein! Siehst du, liebes Kind, beklagen – das nicht. Sie ist dir gut. Gewiß! Sie ist dir sehr gut. Nur habt ihr heute etwas miteinander gehabt. – Eine französische Fabel, nicht? – So etwas; und dann bist du fortgegangen.«

      »Ich bin fortgegangen!« rief Rosa und stellte sich gerade vor ihrem Vater auf »Sie kann es nicht verlangen, daß ich bleibe, wenn sie mir solche Dinge sagt – und vor all den andern.«

      »So schlimm wird es ja nicht sein«, schaltete Herr Herz ein und lächelte erschrocken. »Sie ist vielleicht heftig gewesen. Du darfst ihr das nicht anrechnen. Du selbst hattest vielleicht auch ein wenig Schuld.«

      »Und weißt du, was sie mir gesagt hat?«

      »Gott, ja, liebes Kind.« Herrn Herz war die Situation peinlich.

      »Sie sagte«, fuhr Rosa mit steigender Entrüstung fort, »ich lebe von anderer Leute Barmherzigkeit, ich zahle nur halbes Schulgeld. Das sagt sie vor all den Mädchen, diese Alte!«

      »Sie wird das wohl nicht so gesagt haben. Ich will mit ihr sprechen.« Herr Herz lachte, als handelte es sich um einen unwichtigen Gegenstand. Er streckte beide Hände aus, um Rosas Kopf zu fassen, sie aber wandte ihm den Rücken und kehrte zu ihrem Sessel zurück.

      Herr Herz verbarg seine Hände in seinen Rocktaschen und sah befangen und hilflos drein. Er wandte dem Fenster den Rücken zu, und sein Haupt ward von einer hellen Lichtaureole umgeben. Die weißen Haare flimmerten und ließen unter den dünnen Silberfäden die Kopfhaut hervorschimmern, zartrosenfarben – wie ein Kinderhaupt mit einem Tüllhäubchen bedeckt.

      »Ich gebe zu, liebes Kind«, hub er leise wieder an, »es ist unangenehm, sie sollte so etwas nicht sagen, und ich spreche mit ihr darüber. Aber, da sie nun darauf besteht, daß du diese Fabel lernst, so könntest du sie vielleicht auch lernen. Eine französische Fabel, nicht wahr?«

      Rosa antwortete nicht. »Sie meint es gut mit dir«, fuhr Herr Herz fort. »Gott, wie sie dich verwöhnt hat, als du ganz klein warst! Stundenlang spielte sie mit dir. Um ihretwillen kannst du schon eine Fabel lernen.« Rosa schwieg noch immer und betrachtete gedankenvoll die gelbe Tapete. Da lachte Herr Herz plötzlich auf. Ein lustiger Einfall war ihm gekommen: »Weißt du, mein Kind, wir lernen beide diese Fabel. La Fontaines Fabeln habe ich früher gut gekannt. Sie sind lustig. Damals sprach ich das Französische wie ein Pariser. Wie man das alles vergißt! Gern würde ich's auffrischen. Ah! Du wirst sehen, was für ein schlechtes Gedächtnis ich habe. Wir werden dabei lachen müssen«, und Herr Herz lachte schon jetzt. Rosas Teilnahmslosigkeit aber machte ihn mutiger, er ward ernst und väterlich. Fräulein Schank hatte nicht so ganz unrecht. Manches Wahre lag in dem, was sie gesagt hatte. Es war ihm nicht vergönnt gewesen, ein Vermögen zu erwerben, und manches verdankte er der Wohltätigkeit anderer. Jetzt beklagte er das. Aber, du lieber Gott, in der Jugend, wer denkt da an so etwas! Nun war es zu spät. Drum sollte Rosa lieb und vernünftig sein; sollte es mit der guten Schank nicht verderben, die es trefflich meinte und, wenn Rosa ihr Examen bestanden, ihr eine Stelle als Lehrerin in der Töchterschule verschaffen wollte. Das war auch der Wunsch der Tante Ina gewesen. Für ihn selbst wäre es ein großer Trost, seine Tochter in gesicherter, geachteter Stellung zu wissen, wenn er nicht mehr sein würde. Seine Stimme wurde weich, und er fuhr sich mit der Hand über die Augen. Der Gedanke an seinen Tod rührte ihn. »Ja – ja! Wenn man deinen alten Papa hinaustragen wird«, wiederholte er; »die Schank, ich hab's selbst gehört, sagte zu deiner guten Tante Ina: ›Wenn die Kleine dich verlieren sollte, Ina, du weißt es, ich bin deine Freundin, ich übernehme deine Pflichten.‹ Dann küßten sich die beiden guten Frauenzimmer und weinten miteinander. Vorhin, als sie bei mir war, und sie war recht aufgebracht, sagte sie doch, sie habe gehört, du hättest ein neues Kleid nötig. Sie sei bereits bei Paltow gewesen und habe einen wohlfeilen, dauerhaften Stoff gefunden. Sie zeigte mir

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