TODESJAGD. Eberhard Weidner

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TODESJAGD - Eberhard Weidner Anja Spangenberg

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Nemesis ihr aufgetragen hatte, sich das Video mindestens fünfmal anzusehen, hatte Anja noch genügend Zeit, bevor sie ihrem Todesengel eine Mail mit der Zusammenfassung der Geschichte des Liedes schicken musste. Außerdem wollte sie ihn ein bisschen auf die Folter spannen und zappeln lassen. Nemesis sollte sich nach Möglichkeit nie allzu sicher sein, dass sie Laura vollständig unter Kontrolle hatte. Gegebenenfalls ließ sie sich ja eher Antworten auf Lauras Fragen entlocken, wenn sie sie damit bei der Stange halten musste.

      Um die Wartezeit zu überbrücken, arbeitete sich Anja durch die Akten der Vermisstenfälle, die sie von ihren Kollegen bekommen hatte. Sie enthielten jedoch nichts Neues; das Wichtigste hatten die Kollegen ihr bereits bei ihren Gesprächen mitgeteilt.

      Anschließend verglich sie die Vermisstenfälle miteinander und suchte nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Stefan Greinwald, Martina Schreiber, Erhard Bader und Markus Lehner hatten im Gegensatz zu Christian Stumpf, dem aktuellsten Fall, weder Abschiedsbriefe noch Hinweise auf den Club der toten Gesichter hinterlassen. Außerdem lebten sie, anders als der Student, allein und waren todkrank oder schon länger depressiv oder lebensmüde.

      Der Umstand, dass zwei der Vermissten an Krebs erkrankt waren, erinnerte Anja an den Apokalypse-Killer. Der Serienmörder hatte todkranke Frauen entführt und umgebracht, um ihre Leichen anschließend als makabre Abziehbilder der apokalyptischen Reiter zu inszenieren. Doch der Apokalypse-Killer war zum Glück tot und konnte daher nicht länger sein Unwesen treiben!

      Sie dachte intensiv über die verschiedenen Vermisstenfälle nach, kam aber zu keinem Ergebnis. Irgendetwas störte sie; sie konnte aber nicht sagen, um was es sich konkret handelte. Nach einer Weile fand sie es allmählich an der Zeit, ihre nächste Nachricht an Nemesis zu schicken. Es waren nur noch wenige Minuten, bis die zweite volle Stunde ihrer Challenge und damit die Zeit endete, in der sie die nächste Aufgabe absolviert haben musste. Sie schrieb eine kurze Zusammenfassung dessen, was sie über »Gloomy Sunday« erfahren hatte, bevor sie die Nachricht abschickte.

      Die Antwort ihres Todesengels kam ein paar Minuten später.

      Gratulation! Du hast auch die zweite Aufgabe mit Bravour bewältigt. War doch gar nicht so schwer, oder?

      Nun bist du bereit für die nächste Challenge.

      Deine dritte Aufgabe ist die folgende: Zeichne einen »Todesengel« auf ein Stück Papier. Mach anschließend ein Foto und maile es mir.

      Anja runzelte die Stirn. Auch die dritte Challenge war leicht durchführbar und kein großes Opfer. Sie hatte erwartet, dass die Aufgaben immer härter werden würden. Andererseits war sie natürlich froh. Sie hatte nicht vor, sich zu verletzen, indem sie sich beispielsweise die Haut aufritzte, Nadeln in den Arm stach oder die Lippen zerschnitt, was bei anderen Selbstmordspielen teilweise verlangt worden war.

      Allerdings hielt sie die Zeit für gekommen, dass Laura sich wieder einmal ein wenig störrisch benahm. Deshalb schrieb sie eine weitere Nachricht an Nemesis.

      Ich weiß nicht, wie ein Todesengel aussieht. Kannst du mir helfen, Nemesis? Du bist doch ein Todesengel. Wie siehst du aus?

      Erneut konnte sich Anja ein Lächeln nicht verkneifen, als sie die Mail abschickte, denn die würde Nemesis mit Sicherheit nicht gefallen.

      Als sie fast umgehend die Antwort erhielt, glaubte sie sogar, das Wutschnauben des vermeintlichen Todesengels zu hören, während sie las, was Nemesis geschrieben hatte.

      Offensichtlich hast du die Regeln noch immer nicht kapiert, sonst würdest du mir keine derartig dummen Fragen stellen.

      Es funktioniert wie folgt: Ich sage dir, was du zu tun hast, und du machst es anschließend, ohne es ständig zu hinterfragen! Hast du mich jetzt endlich verstanden?

      Deine dritte Aufgabe besteht darin, einen »Todesengel« zu zeichnen. Das kann doch nicht so schwer sein! Andere Teilnehmer, die ich bislang begleitet habe, stellten sich nicht so dämlich an.

      Es geht nicht darum, wie ein »Todesengel« aussieht, sondern darum, wie du dir einen vorstellst. Und den zeichnest du dann.

      Verstanden?

      Und schick mir gefälligst keine weiteren Nachrichten, bevor du die Aufgabe erfüllt hast!

      Die Zeit läuft! Ich warte!

      »Ich auch«, murmelte Anja und ließ die Nachricht fürs Erste unbeantwortet.

      Sie hatte noch eine Menge weiterer Vermisstenfälle, die darauf warteten, von ihr bearbeitet zu werden. Und am heutigen Tag war sie bislang zu nichts anderem gekommen, als ausschließlich die Fälle von Vermissten zu bearbeiten, deren Fotos in der Ruhmeshalle des Selbstmordclubs hingen.

      Sie öffnete daher die Akte eines vierzehnjährigen Mädchens namens Leonie Wagner. Leonie war vor drei Tagen verschwunden. Allerdings war das nichts Neues. Das Kind riss regelmäßig von zu Hause aus, wurde aber ebenso regelmäßig wenige Tage später in der Innenstadt, meist in der Nähe des Hauptbahnhofs, wieder aufgegriffen. Dennoch musste sie jedes Mal erneut zur Fahndung ausgeschrieben werden. Denn auch wenn allen klar war, dass sie nicht in Gefahr schwebte, durfte sie als Minderjährige ihren Aufenthaltsort nicht selbst bestimmen. Im Gegensatz zu Erwachsenen galten Kinder und Jugendliche schon dann als vermisst, wenn ihr Aufenthaltsort unbekannt war.

      Der Fall war mittlerweile abgeschlossen, denn Leonie war gestern Abend von zwei Bundespolizisten innerhalb des Bahnhofs entdeckt worden. Die Beamten kannten das Mädchen inzwischen. Sobald Anja sie darüber informierte, dass Leonie wieder einmal abgängig war, hielten sie nach ihr Ausschau. Anja hatte sie noch am gleichen Abend bei der Bundespolizeiinspektion am Hauptbahnhof abgeholt und nach Hause gebracht. Auf der Fahrt hatte sie dem Mädchen, wie sie es immer tat, ins Gewissen geredet. Sie glaubte allerdings nicht, dass sie diesmal damit erfolgreicher gewesen war als die unzähligen Male zuvor. Leonie hatte so demonstrativ gelangweilt, wie es nur vierzehnjährige Mädchen können, aus dem Fenster gestarrt und mit keiner Regung auf Anjas Worte reagiert. Für Anja war es frustrierend. Doch was sollte sie sonst tun? Das Kind zu Hause anketten? Wohl kaum. Und so war beiden bewusst gewesen, dass sie sich unter ganz ähnlichen Bedingungen erneut begegnen würden. So lange, bis Leonie nicht mehr davonlief oder endlich volljährig war und damit tun und lassen konnte, was sie wollte.

      Danach war Anja gleich nach Hause gefahren und nicht mehr dazu gekommen, den Abschluss des Falls in der Akte zu dokumentieren. Das holte sie jetzt nach.

      Als sie zwanzig Minuten später aufsah und Lauras E-Mail-Account checkte, sah sie, dass Nemesis ihr eine weitere Nachricht geschickt hatte.

      Laura? Warum meldest du dich nicht?

      Es kann doch nicht so lange dauern, einen Todesengel zu zeichnen.

      Schreib mir bitte umgehend zurück!

      »Darauf kannst du lange warten, Arschloch«, sagte Anja und widmete sich einer anderen Vermisstenakte.

      Nach zehn weiteren Minuten traf die nächste Mail von Nemesis ein.

      Laura? Was ist los mit dir?

      Ich hoffe, ich hab dich mit meiner schroffen Art nicht vor den Kopf gestoßen. Aber es ist unbedingt notwendig, dass die Teilnehmer der »Suicide-Challenge« die ihnen gestellten Aufgaben erfüllen, ohne sie ständig zu hinterfragen. Anders funktioniert die Challenge nicht.

      Bitte

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