SINFONIE DER SCHMERZEN. Eberhard Weidner

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SINFONIE DER SCHMERZEN - Eberhard Weidner

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erwiderte den Abschiedsgruß der Dame am Empfang, deren Namen er nicht kannte, und verließ das Gebäude, in dem die Zentralverwaltung des Versicherungskonzerns ihren Sitz hatte, in dem er arbeitete, durch die Drehtür. Vor dem eindrucksvollen, turmhohen Gebäude wandte er sich nach links und ging mit flotten, energischen Schritten zum Parkplatz.

      »Schönen Feierabend, Christian.«

      Er wandte den Kopf und sah einen Kollegen aus dem Aktuariat, wo er als Mathematiker finanzielle Risiken und Unsicherheiten des Versicherungsgeschäfts analysierte und zu minimieren versuchte. Er konnte sich gerade nicht an den Vornamen des Mannes erinnern, deshalb hob er nur die Hand und rief: »Wünsch ich dir auch. Bis morgen dann.«

      Der andere nickte und stieg in einen silbernen BMW, während er selbst noch ein paar Meter zu gehen hatte, bevor er den schwarzen Audi erreichte. Er entriegelte die Türen, öffnete die Fahrertür, legte nach dem Einsteigen seine Aktentasche auf den Beifahrersitz und schob den Schlüssel ins Schloss. Er wollte gerade die Tür schließen, als sein Blick durch die Windschutzscheibe auf ein Stück Papier fiel, das jemand hinter das Scheibenwischerblatt geklemmt hatte. Er brummte verärgert, weil er jetzt noch einmal aussteigen und den Fetzen entfernen musste. Vermutlich war es ohnehin nur die Karte eines ausländischen Gebrauchtwagenkäufers, der versprach, er würde jedes Auto kaufen.

      Er stieg aus, umrundete die Fahrertür und griff nach dem Papier. Eigentlich hatte er es sofort zerknüllen und zu Boden werfen wollen, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen, doch dann sah er es sich doch an und bemerkte, dass er sich getäuscht hatte. Es war gar nicht die Karte eines Autohändlers, sondern ein dünnes, viereckiges Stück Papier, wie man es von Notizzettelblocks kannte, das einmal in der Mitte gefaltet war. Nun wurde er doch neugierig, was auf dem Zettel stand. Schickte ihm etwa jemand einen Liebesbrief? Das hielt er eher für unwahrscheinlich. Aber vielleicht teilte ihm ja jemand auf diese Weise mit, dass er beim Ein- oder Ausparken versehentlich den Audi gerammt und keine Zeit gehabt hatte, auf den Fahrer zu warten.

      Während er das Papier entfaltete, ließ er seinen Blick rasch über den Teil seines Autos wandern, den er sehen konnte. Er konnte allerdings keine Delle und keinen Kratzer entdecken. Vielleicht auf der anderen Seite.

      Dann sah er wieder auf den Zettel, las, was dort geschrieben stand, und erbleichte.

      WIR WISSEN ALLES!

      Komm um 22:00 Uhr ins Parkhaus in der Innenstadt!

      Stell deinen Wagen in der Parkebene 3 ab und begib dich zum Treppenhaus am Ausgang Ost!

      Wir warten auf dich!

      Marie, Sabrina, Antonia, Melanie & Ella.

      5

      Selbst jetzt, als er die Namen nur in seiner Erinnerung vor sich sieht, jagen sie ihm einen eisigen Schauer über den Rücken. Dabei weiß er noch nicht einmal, woher er die Namen kennt und welche Bedeutung sie für ihn haben. Sie klingen allerdings vertraut und erzeugen tief in ihm einen Widerhall, der ein angenehmes Gefühl in ihm hervorruft, so wie die verblasste Erinnerung an ein schönes Erlebnis.

      Er versucht, diesem Widerspruch zwischen seiner Reaktion auf die Namen auf dem Papier und seinen innersten Empfindungen auf den Grund zu gehen, doch dazu reichen die Informationen, über die er momentan verfügt, nicht aus. Noch sind seine Erinnerungen zu spärlich, als dass er daraus Rückschlüsse ziehen könnte, die über die beiden Erinnerungsfetzen hinausgehen, die er bislang zurückerlangt hat.

      Zumindest kennt er jetzt wieder seinen Namen und seinen Beruf und weiß, wo er arbeitet. Christian Heitzer. Der Name klingt vertraut, allerdings nicht in einer Weise, die er von seinem ureigenen Namen erwartet hat. Und irgendwie ist er wohl auch davon ausgegangen, dass die Erinnerung an seinen Namen ein Feuerwerk weiterer Reminiszenzen auslösen wird. Doch weit gefehlt. Neben der Vertrautheit, die zumindest auf einen ständigen Gebrauch schließen lässt, enthält der Name gleichzeitig auch eine vage Fremdheit, die vermutlich auch die Ursache dafür ist, dass ihm sein Name überhaupt entfallen konnte. Aber wieso? Handelt es sich etwa gar nicht um seinen Namen? Und ist dann etwa auch die Erinnerung fehlerhaft, in der er von der Empfangsmitarbeiterin und dem Arbeitskollegen angesprochen wurde? Aber wie ist es dann überhaupt möglich, dass er sich dennoch daran erinnert, als wäre es seine eigene Erinnerung?

      Während der letzten Minuten war er so auf sich selbst und seine Erinnerung konzentriert, dass er gar nicht mehr bewusst auf seine Umgebung und die anderen Leute geachtet hat, die sich in seiner Nähe aufhalten. Das ändert sich jedoch, als er plötzlich Schritte hört, die von links kommen, wo sich die Tür befindet, und sich ihm nähern. Die Person, die die Geräusche verursacht, bemüht sich im Gegensatz zu den anderen Leuten auch nicht, sich möglichst leise und verstohlen zu bewegen.

      Unmittelbar hinter ihm verstummen die Schritte. Wer auch immer sich ihm genähert hat, steht nun direkt hinter dem Stuhl. Ein Schauer läuft ihm über den Rücken. Das Gefühl, beobachtet und von mehreren Augenpaaren gemustert zu werden, wird überwältigend und macht ihm Angst.

      »Mmmhhh! Mmh mmmhh mmh mh?«

      Noch immer keine Reaktion. Stattdessen herrscht wieder Stille. Da ihm das eigene hektische Schnaufen durch die Nase und der Schlag seines Herzens unnatürlich laut vorkommen, kann er die leisen Geräusche, die die anderen Personen unter Umständen verursachen, nicht hören. Ihm kommt es vor, als würden die Leute auf etwas warten, so wie die Zuschauer einer Theateraufführung darauf warten, dass sich endlich der Vorhang hebt und das Schauspiel beginnt.

      Aber worauf warten sie? Und – um zur entscheidenden Frage zurückzukehren, die er sich schon vorher gestellt hat – warum haben sie ihn überhaupt niedergeschlagen, hierher gebracht, gefesselt und geknebelt? Was wollen Sie von ihm? Lösegeld etwa? Da er nun wieder weiß – sofern er seinen Erinnerungen trauen kann –, dass er als Mathematiker bei einer Versicherung arbeitet, wird ihm klar, dass er vermutlich ganz gut verdient. Allerdings ist er deshalb noch lange nicht reich. Und wen wollen sie dazu erpressen, das Lösegeld für ihn zu bezahlen? Die Versicherung? Unwahrscheinlich, denn er ist nur ein kleines Rädchen im Getriebe, jederzeit ersetzbar und kennt keine wichtigen Firmengeheimnisse. Dann schon eher die Familie. Aber hat er überhaupt eine Familie?

      Der Gedanke führt dazu, dass sein Verstand wie ein fingerfertiger Zauberkünstler die nächste Erinnerung aus dem bodenlosen Zylinder seines Bewusstseins holt.

      6

      Es war am Morgen des Tages, an dem er die merkwürdige Nachricht an seinem Scheibenwischer finden und im Treppenhaus des Parkhauses niedergeschlagen werden sollte. Doch noch ahnte er nicht, was ihm dieser Tag bringen würde. Und so saß er wie an jedem Werktag am Frühstückstisch, aß ein mit Erdbeermarmelade bestrichenes Brot, trank ungesüßten Kaffee mit Milch und las die Tageszeitung.

      Marius, sein dreizehnjähriger Sohn, lümmelte auf seinem Stuhl, schlang sein Müsli hinunter, nachdem er den Kakao in wenigen Schlucken hinuntergeschüttet hatte, und hatte die Nase in seinem Physikbuch vergraben.

      Seine Tochter Mara, die vor drei Wochen fünfzehn geworden war, hielt sich noch immer im Bad oben auf. Sie würde erst später, nur wenige Augenblicke, bevor sie aus dem Haus musste, herunterkommen und sich eine Scheibe Knäckebrot für unterwegs schnappen. Werktags morgens begegneten sich Vater und Tochter eigentlich nie, da er schon aus dem Haus war, wenn sie auf der Bildfläche erschien.

      »Schatz, du musst los!«, sagte seine Frau Monika, die neben dem offenen Kühlschrank stand und die Pausenbrote für die Kinder zubereitete, so wie sie

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