Vulkanjäger. Катя Брандис
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Vulkanjäger - Катя Брандис страница 5
„Gerne.“ Dreißig Sekunden später umklammerte ich einen Kunststoffbecher mit braunem Inhalt, mein Vater bestellte einen Tomatensaft und die Antwort von eben gerade war in mir versiegt.
„Also, das Kanu. Das kann man doch noch benutzen“, murmelte ich schließlich, André nickte, und dann schauten wir uns auf Andrés Tablet die Erebos-Verfilmung an.
Nach der Landung nahmen wir uns ein Taxi in die Innenstadt von Neapel und landeten ziemlich bald im Stau. Um uns herum Autos, die alle irgendwie verbeult und verkratzt aussahen, sogar die noch ziemlich neuen. Zentimeterweise schoben wir uns durch die mehrspurige Straße voran, jemand hupte wütend. „Come sempre – wie immer“, sagte unserer Fahrer gleichgültig und packte ein nach Schinken duftendes belegtes Ciabatta aus.
„Mist, das hätte ich mir denken können – ich gebe Fred Bescheid, dass es später wird“, brummte mein Vater und tippte auf seinem Communicator herum. Ich legte den Kopf gegen das Sitzpolster aus braunem Kunstleder zurück und schloss die Augen. Aus dem Radio wummerte die italienische Version eines alten Maroon 5-Songs.
Endlich hielten wir in einer schmalen Straße und André klingelte an einem der von Abgasen geschwärzten fünfstöckigen Gebäude. Nichts passierte, doch zwei Minuten später hörten wir das Röhren eines Motors und ein Geländemotorrad schoss heran. Der Fahrer parkte seine Enduro auf dem Bürgersteig neben uns und zog den Helm vom Kopf. Zum Vorschein kam ein älterer Mann mit raspelkurzen grauen Haaren und tiefen Furchen um die Mundwinkel. Er ignorierte mich und schüttelte meinem Vater die Hand. „Na, alles klar, Fred?“, fragte André ihn lächelnd.
„Man schlägt sich so durch“, sagte Fred auf Deutsch mit einem leichten Akzent, den ich nicht einordnen konnte, italienisch oder amerikanisch oder eine Mischung aus beidem. Er streifte mich mit einem Blick. „Also das da ist dein Kleiner?“
Verblüfft glotzte ich ihn an. Schon vor einem Jahr hatte ich die 1,80-Marke geknackt und dieser Typ da in der abgewetzten Lederjacke reichte mir nicht mal bis zum Kinn.
„Ja, genau.“ Mein Vater grinste. „Ganz der Papa, was?“
„Könnte man sagen“, brummte Fred und musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen. „Wenn man eine lebhafte Fantasie hat.“
Wie, was? Na logisch sahen wir uns ähnlich! Zwei oder drei Minuten später fiel mir die beißende Bemerkung dazu ein. Tut euch keinen Zwang an, redet ruhig über mich. Ich tue nur so, als ob ich zuhöre! Nur leider quatschten sie längst nicht mehr über mich, sondern nur noch über den geplanten Dreh.
Wir verstauten unser Gepäck in einem kleinen Hotel eine Straße weiter, dann meinte André zu mir: „Fred und ich müssen noch die Ausrüstung überprüfen und alles Mögliche besprechen, magst du dich ein bisschen in der Stadt umsehen?“
Das hieß wohl, dass ich gerade überflüssig war. Kein Problem, ich wollte mir sowieso Neapel anschauen.
Ich streifte durch die engen Gassen, in die jetzt am späten Nachmittag kaum noch ein Sonnenstrahl drang. Vorbei an einem übervollen, stechend riechenden Müllcontainer und an einer Bäckerei, aus der es nach Vanille und Blätterteig duftete. An einem kleinen Altar an einer Hauswand, in dem Plastikblumen und Kerzen vor einem Heiligenbild aufgebaut waren. An einem Fischgeschäft, von dessen Auslage mich Dutzende von starren Augen anglotzten. Auf den Balkons über mir flatterte zum Trocknen aufgespannte Wäsche, und wenn ich wollte, konnte ich in die Erdgeschosswohnungen hineinschauen, alle Fenster waren offen. Drinnen lief überall Fußball im Fernsehen. Ich konnte sehen, woher der Strom dafür kam, die oberen Stockwerke vieler Häuser waren mit kleinen Stücken Solarfolie vollgeklebt, ein schimmerndes Patchwork.
Interessiert spähte ich in jede Ecke. Das hier war nicht das gepflegte, idyllische Italien, das ich aus den Urlauben mit meiner Mutter am Gardasee und in der Toskana kannte. Dieses Italien war rau, dreckig, arm und deutlich interessanter.
Ich bog in eine größere Straße ab, in der sich Geschäfte und Cafés aneinanderreihten. Ein paar Minuten später kam ich an einem Souvenirladen vorbei, dessen Auslagen sich über den ganzen Bürgersteig erstreckten. Keine Ahnung, was passiert wäre, wenn ich einen anderen Laden ausgesucht hätte, um etwas für meine Mutter, Noah, Finn, Emily und meine anderen Freunde zu kaufen. Aber ich ging in diesen und schaute mich mit leichtem Grusel um – hatte irgendjemand, den ich kannte, Verwendung für Wandteller mit einem kitschigen Blick über die Bucht von Neapel mit dem darüber thronenden Vesuv? Oder für Kühlschrankmagnete in Pizza-Form? Es gab auch eine Schneekugel, in der eine Art brauner Napfkuchen mit Schlagsahne thronte ... ach so, das sollte wohl der ausbrechende Vesuv sein, das Weiße oben drauf war die Aschewolke ...
Mein Blick streifte durch den Laden, in dem ich der einzige Kunde war. Die junge Italienerin an der Kasse hatte mich noch nicht bemerkt, weil ich in der Nähe des Eingangs stand. Sie war gerade konzentriert dabei, ihr langes dunkles Haar zusammenzudrehen und hochzustecken. Doch dann rutschte ihr die Haarklammer aus der Hand, und als sie danach schnappte, entglitt ihr auch die Frisur. Leise fluchend versuchte sie sie zu retten und gleichzeitig ihre Haarklammer zu suchen.
Unwillkürlich musste ich lächeln, und es war, als habe sie ihre Fingerspitzen ausgestreckt und mein Herz berührt. Wer war sie? Wie hieß sie? Jetzt hatte sie mich bemerkt, und mit einem höflichen Lächeln sah sie mich an und wartete darauf, dass ich etwas kaufte. Ich schnappte mir blindlings eine I love Napoli-Tasse und ging damit auf sie zu. Sie hatte ein elfenhaft zartes Gesicht und ihre langen Haare glänzten wie die schwarzen Tasten eines Klaviers. Da sie mir nur bis zur Schulter ging, schaute sie kurz zu mir hoch, als sie „Tre Euro“ sagte. Ich wollte noch irgendeine Bemerkung machen, aber ihre schönen dunklen Augen hatten mein Italienisch von der Festplatte gelöscht. Der Blick des Mädchens wurde immer fragender, und ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde. Auch das noch. Jan die Tomate. Schnell das Geld rüberschieben und raus hier, ein „Grazie – ciao“ schaffte ich gerade noch.
Ich wanderte durch die Straßen, ohne irgendetwas zu sehen, immer geradeaus, verloren in einem Traum. Um ein Haar hätte mich ein Motorroller umgenietet, aber der Fahrer konnte gerade noch ausweichen.
Ganz von selbst steuerten meine Füße mich irgendwann zurück zum Souvenirladen. Das Mädchen stapelte gerade Aschenbecher mit bunten Bildchen und Goldrand aufeinander. Ich tat so, als würde ich Weinflaschenhalter mustern, bis ich endlich den Mut hatte, sie in Italienisch anzusprechen. „Scusi, Signorina, haben Sie eigentlich auch Bücher?“ Es war keine sehr schlaue Frage, doch ich hielt mich an Wörter, die ich kannte.
Dafür bekam ich ein Lächeln. „Leider nein, aber wie wäre es damit? Molto bello!“
Sie zeigte mir eine Tischdecke mit einer dekorativen Karte der Amalfi-Küste darauf. Unglaublich hässlich. Ich kaufte sie trotzdem. Mit etwas Glück fand meine Mutter das Ding witzig. Wie konnte ich herauskriegen, wie die Elfe hieß? Sie war garantiert nicht älter als ich, jobbte sie während der Ferien hier? Hatte sie einen Freund?
Als ich ins Hotelzimmer zurückkehrte, war mein Vater noch nicht wieder da. Ich warf mich auf mein Bett, starrte an die Decke und rief mir noch einmal jeden Moment mit ihr ins Gedächtnis. Nicht mal zu Anna-Lia hatte ich mich so hingezogen gefühlt. Sie hatte in der Klasse ein paar Monate lang neben mir gesessen, doch vermutlich hatte sie nichts davon gemerkt, dass ich sie toll fand. Ich hatte mir auch alle Mühe gegeben, es mir nicht anmerken zu lassen, während wir herumwitzelten oder zusammen Bio lernten.
Aber was