Der Weg nach Afrika. Helmut Lauschke

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Der Weg nach Afrika - Helmut Lauschke

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freundliche Küchenwärter stand schon an der Tür, um sie von innen abzuschliessen und den Küchenwagen mit den leeren Töpfen, Schüsseln, Tellern, den Schöpf- und Essbestecken zur Hauptküche zurückzufahren. Die Topf- und Schüsselreste waren in kleine Töpfe abgefüllt, die unauffällig in der Teeküche verblieben, damit es in der Hauptküche keine Missverständnisse bezüglich der erforderlichen Mengen gab. Diese erweiterte Mengenlehre der zweiten Instanz der Teeküche hatten sich die freundlichen Wärter ausgedacht, die das Denkresultat für sich in Anspruch nahmen, das weitere Verteilungsprinzip unter sich ausmachten und das Eingetopfte als ein essbares Dankeschön für sich und ihre Familien mit nach Hause nahmen. In welcher Küche wurde das nicht getan?, dachte Dr. Ferdinand und erinnerte sich mit einem Schmunzeln an etliche Küchenmänner und Küchenfrauen, die mager in der Küche begonnen hatten, nach wenigen Monaten der Küchentätigkeit die Magerkeit durch das beständige Nachfüllen ablegten und nach ein oder zwei Jahren nicht wiederzuerkennen waren. Auf dem Wege zum 'Outpatient department' kam ihnen der Superintendent mit rotem Kopf entgegen, da er auf dem Wege zum ärztlichen Direktor war. Er grüsste fast geistesabwesend, denn seine Gedanken waren ihm vorausgeeilt, so dass Dr. Ferdinand die Röte in seinem Gesicht verstand, die sich bei einem Spitzengespräch im Büro der höheren Klasse intervallartig mit der Blässe infolge verminderter Blutzufuhr durch emotionale Engstellung der Hirn- und Kopfarterien abwechselte.

      Sie erreichten den Untersuchungsraum 4 und hatten ihre gewohnten Plätze am Tisch eingenommen, wobei der junge Kollege dem Dr. Ferdinand gegenübersass. Es gab reichlich zu nähen und zu gipsen, was er dem jungen Kollegen in einfachen Fällen überliess, der von Tag zu Tag diagnostische und praktische Fortschritte machte und mit zunehmender Selbständigkeit in kurzer Zeit die Erfahrungen sammelte, die er später gut gebrauchen konnte. Es kam hinzu, dass Dr. Ferdinand häufig in den chirurgischen Untersuchungsraum gerufen und um Rat gefragt wurde, weil es dort auch nur junge Kollegen gab, die klinisch noch im Lernstadium waren. Es wurde ihm nicht zuviel, beides zu tun, auch wenn er abgespannt war durch die anstrengenden Operationen der letzten Nacht und vom Tage, und er den Schlaf nötig hatte, das sah man ihm an. An diesem Nachmittag sass die alte Frau vor ihm, die ihn nach dem Ostergottesdienst vor der finnischen Missionskirche so herzlich begrüsste und ihm das rechte Handgelenk entgegenhielt, sich für die gute Behandlung bedankte, und er sich die verbliebene, leichte Bajonettstellung vorhalten musste. Die Tochter führte sie nun in diesen Raum mit einem Bruch des linken Handgelenks, den sich die Mutter nach einem Sturz am Ostermontag zugezogen hatte. Die Patientin kannte Raum und Behandlung noch vom ersten Mal. Sie legte sich auf die Liege im Gipsraum, ertrug den Einstich der Nadel zur örtlichen Betäubung, die Einrenkung des Bruchs mit dem kräftigen Daumenzug und das Anlegen des Gipsverbandes wortlos, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken. Eine tapfere Frau, von der jüngere Frauen lernen konnten. Dr. Ferdinand bewunderte diese Tapferkeit. Eine Mutter sass auf dem Schemel, die ihr vierjähriges Töchterchen auf dem Schoss hatte, dessen rechter Fuss entzündet und geschwollen war, nachdem es vor einer Woche in einen Dornbuschast getreten war. Es hatten sich wässrige Blasen unter der Haut der Fusssohle gebildet, in denen noch drei Dornen steckten. Er öffnete die Blasen im kleinen Op-Raum, fasste mit einer Klemme die Dornenden und entfernte sie, während die Mutter die Hände des auf dem Op-Tisch liegenden Kindes hielt und es tröstete. Der Fussverband war angelegt, als es noch die Spritze gegen den Wundstarrkrampf bekam, und Dr. Ferdinand die erforderlichen Antibiotika im Gesundheitspass eintrug. Ein alter Mann wurde vom Sohn gebracht, der mit einem Panga Buschäste abgeschlagen hatte und sich dabei den linken Zeigefinger amputierte. Der Finger hing noch an einer dünnen Hautbrücke, wo er abgetrennt, das Grundglied gekürzt und der Fingerstumpf mit den überstehenden Hautlefzen gedeckt wurde. Der junge Kollege zeigte ihm das Röntgenbild mit einer ausgekugelten Schulter, und Dr. Ferdinand sah ihm zu, wie er den Arm fasste und den Oberarmkopf durch die logischen Drehbewegungen nach der Kocher'schen Rotationsmethode ins Gelenk zurückbrachte. Dr. Lizette, die nachmittags in der chirurgischen OPD mithalf, kam mit einem Patienten herein, der einen Hauttumor über der linken Wange hatte, der bereits geschwürig zerfiel und den Geruch der Fäulnis verbreitete. Sie fragte, ob da chirurgisch noch etwas zu machen sei. Da der Patient so alt nicht war, bejahte Dr. Ferdinand ihre Frage, um dem Patienten das Leben zu erleichtern, auch wenn dem Tumor die Eigenschaften der Bösartigkeit von weitem anzusehen waren. Er erklärte dem Patienten, dass der Tumor bereits weit fortgeschritten war und im Gesunden ausgeschnitten werden musste, wo dann der grosse Hautdefekt durch ein Transplantat zu decken war. Die Schwester übersetzte ihm die operative Vorgehensweise in seine Sprache, der es dann verstand und in die Operation einwilligte. Dr. Ferdinand konnte ihm trotz des aufwendigen Eingriffs eine Heilung nicht versprechen, ihm aber eine Linderung der Symptome zusagen. Die Schwester übersetzte ihm die vorgetragenen Vorbehalte einer Heilung. Der Patient dachte darüber einen Augenblick nach und änderte seine Meinung nicht. Dr. Lizette setzte seinen Namen auf die chirurgische Liste und ging mit dem Patienten zum chirurgischen Untersuchungsraum zurück.

      Dr. junge Kollege reichte ihm das Röntgenbild einer Männerhand über den Tisch, auf dem die Dreiecksfraktur an das Basis des ersten Mittelhandknochens zu sehen war, die den Namen 'Bennett-Fraktur' trug, nach dem irischen Arzt Edward Bennett, der diesen Bruch um die Jahrhundertwende das erste Mal beschrieb. Dr. Ferdinand erklärte das besondere Problem, dass diese Fraktur mit einem Gipsverband nicht zu stellen war und einer operativen Einrichtung bedurfte, in der das kleine Basisfragment durch zwei 'eingeschossene' Drähte am Mittelhandknochen des Daumens gehalten werden musste. So wurde der Patient stationär aufgenommen und sein Name auf die orthopädische Liste gesetzt. Drei Ovahimbafrauen mit freien Oberkörpern und ledernen Lendenschürzen, die Schmuckbänder und -reifen an Armen und Beinen oberhalb der Knöchel trugen, betraten den Raum, der sich im Nu mit einem scharfen Geruch füllte, der von ihrer mit Rinderfett eingeschmierten braunen Haut ausging. Diese Frauen wurden mit einem Ambulanzwagen aus dem zweihundertachtzig Kilometer entfernten Kaokoland im Westen gebracht. Die beiden jüngeren Frauen halfen der alten Frau auf den Schemel, die einen Gehstock in der rechten Hand hielt. Dr. Ferdinand kämpfte vergeblich gegen den scharfen Hautgeruch an, der noch penetranter wurde, als ihm eine der jüngeren Frauen den rechten Fuss der alten Frau fast unter die Nase hielt, was er nicht verriechen konnte. Das von tiefen Rissen durchzogene Schwielenmuster der Fusssohle war ein eindrückliches Abbild des steinig-sandigen Wüstenbodens, dessen Tentakel immer tiefer zwischen das verbliebene, sich auszehrende Buschwerk griffen. Die Fusssohle erzählte die Geschichte vom eimerweisen Wassertragen über weite Entfernungen durch ein langes Leben. Die alte Frau, deren Brüste als leere Hautfalten schlaff herabhingen, betrachtete Dr. Ferdinand ungläubig. Sie traute ihm weit weniger zu als dem traditionellen Medizinmann im Busch, dem 'traditional healer', den sie ihr Leben lang aufsuchte, wenn ihr oder ihren Kindern etwas an der Gesundheit fehlte. Dr. Ferdinand hatte sich einen Handschuh übergezogen und betastete den Fuss mit seinen schrundig zerschundenen, mageren Zehen, von denen der zweite bis fünfte die Zeichen der gestörten Durchblutung hatten, deren Kuppen bereits schwarz verfärbt und beim Betasten hart wie gegerbtes Leder waren. Er konnte ihr da auch nicht viel Hoffnung machen und dachte, dass der 'traditional healer', den sie sicherlich vorher aufgesucht hatte, es schon mit seinen Eingebungen aus Mixturen von gepressten Kräutern, zerkleinerten Wurzeln, fein geriebenem Rinderhorn und Knochenmehl, die zusammen in einem verbeulten Blechtopf, dem der Russ des häufigen Gebrauchs anhaftete, vermengt und mit etwas Wasser bei Einstreuen von Kieselsalz und klein gestückter Baumrinde auf offenem Feuer solange gekocht wurden, bis eine dunkle Brühe daraus entstand, deren Dampf bereits zum Himmel stank. Der kundige Medizinmann mit der langen Tradition und dem Wissen der natürlichen Heilkräfte musste es mit seinen Heilsprüchen schon versucht haben, sonst sässe die alte Frau nicht am Schalter der westlichen Schulmedizin. Dr. Ferdinand schaute sie an, und ihre Augen sagten es ihm voraus, dass da ausser Amputationen nichts anderes zu machen sei.

      Die alte Frau mit dieser geprägten Sohle, die von den Tentakeln der Wüste ergriffen und durch die Jahre verzehrt war, war eine stolze Frau, die sich von diesem Doktor nicht mehr an ihren Zehen rumfummeln lassen wollte. Sie rief ihre Töchter, ihr beim Aufstehen unter die Arme zu greifen, nahm selbstbewusst den Stock in die rechte Hand und verliess, ohne zur Seite zu blicken, den Untersuchungsraum auf Nimmerwiedersehn. Dr. Ferdinand war von soviel Stolz tief beeindruckt. Er verstand, dass so etwas Grosses nur in der Wüste wachsen und sich halten kann, weitab von der westlichen Zivilisation mit all den Verkrümmungen und Verkümmerungen, wo

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