Der Weg nach Afrika. Helmut Lauschke

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Der Weg nach Afrika - Helmut Lauschke

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Besprechungen bislang so gut wie nichts am Zustand des Hospitals geändert hatten, die deshalb der Schweizer Kollege seinerzeit als sinnlose Zeitverschwendung deklarierte und sich von diesem Zirkus, wie er es nannte, ausschloss, was er konsequent bis zu seinem Rückflug in die Schweiz befolgte, weil er sich für diesen Zirkus zu schade war. Er war ein eigenwilliger und aktiver Kollege, der seine kriegschirurgischen Erfahrungen auf dem Hospitalschiff `Vietnam' vor dem damaligen Saigon gesammelt, als Schweizer Bergsteiger vor seinem Weggang den Brandberg solistisch noch bestiegen, dabei den Wasserverlust durchs Schwitzen unterschätzt hatte und sich an den Bergabstieg überhaupt nicht mehr erinnern konnte.

      Der junge Kollege, der in seiner Freizeit an einem Buch über das Leben eines jungen Ehepaars schrieb, das wegen der Rassengesetze Südafrika verlassen und über Helsinki nach Neuseeland emigirierte und sich an der Palliser Bucht, unweit von Wellington, niedergelassen hatte, eilte Dr. Ferdinand nach, um ihn über den neuesten Stand seiner Erzählung zu berichten. "Als ich die Sirene über dem Dorf heulen hörte", sagte der junge Kollege fast aufgeregt, "hörte ich die kleine Glocke der Dorfkirche an der Palliser Bucht läuten. Sie läutete in der Nacht und lange, um die Dorfbewohner vor dem anrückenden Taifun zu warnen, der jedes Jahr im Juni über die Insel stürmt, Dächer abhebt, Häuser eindrückt und umkippt, und die anrollenden Flutwellen das Land hinter der Bucht überschwemmen. Einige Male stand das kleine Dorf unter Wasser, wo die aufgeschichteten Sandsäcke vor den Eingängen nicht verhinderten, dass das Wasser in die Häuser drang. Die Menschen fuhren in Kanus, die übers Jahr mit dem Kiel nach oben neben den Häusern auf niedrigen Holzböcken liegen, und in grösseren Booten durchs Dorf und brachten ihre Schafe und Ziegen ins Trockene zum Weiden." Dr. Ferdinand freute sich, dass der junge Kollege an seiner Geschichte arbeitete. Er fand die Assoziation mit der heulenden Sirene nicht uninteressant und wollte an das nächtliche Sturmläuten der kleinen Kirchturmglocke an der Palliser Bucht denken, wenn die Dorfsirenen das nächste Mal heulten, und an das Sirenenheulen denken, wenn er im fertiggestellten Buch die Stelle mit dem Sturmläuten der Glocke liest, das die Dorfbewohner vor dem anrückenden Taifun warnen sollte. Auf dem Wege zum 'theatre' wurden sie aus dem Gespräch gerissen, als eine schwarze Frau, deren Haut hell geblieben war, weil ihr als 'Albino' die Genetik die Melanozyten nicht in der gewünschten Menge in die Haut gegeben hatte, vor ihren Augen zusammenbrach und einen epileptischen Anfall auf dem harten Betonboden bekam. Das kleine Mädchen von normaler, schwarzer Hautfarbe, dass die Albinomutter an der Hand geführt hatte, war hilflos und weinte in kindlicher Sorge um die Mutter. Dr. Ferdinand bückte sich über die Krampfende, der der Schaum vor dem Munde stand, drehte und hielt ihren Kopf zur Seite, wischte ihr den Schaum mit dem Taschentuch vom Munde und beugte einer Luftnot durch Aspiration vor. Er konnte nicht verhindern, dass sich die Frau auf die Zunge biss, denn er konnte ihren Mund nicht öffnen. Ihr Kaumuskel krampfte, gegen dessen Stärke seine Finger nicht ankamen. Das Mädchen stand ihm gegenüber und liess sich den traurigen Anblick der Mutter nicht nehmen, während er es sich gefallen liess, dass die Krampfende ihm den Schaum ins Gesicht spuckte. Der junge Kollege und eine Schwester brachten die Trage auf quietschenden Rollen. Gemeinsam hoben sie die Mutter auf die Trage, Dr. Ferdinand nahm das Mädchen an die Hand, und sie fuhren die Mutter zum kleinen Op-Raum der OPD, um ihr den Schaum aus dem Mund zu saugen, die Platzwunde über dem Hinterkopf zu nähen und die Risswunden an den Armen ihrer ohnhin rissigen, vom Ultraviolett der Sonne verstrahlten Haut zu säubern und zu verbinden, die von zahlreichen, fleckigen Narben und Geschwüren überzogen war.

      Das Mädchen schluchzte noch in den Armen einer alten, verständigen Memme auf der Wartebank vor dem kleinen Op-Raum, als die Mutter zu sich kam und mit Kopfverband und Verbänden an den Armen von Dr. Ferdinand hinaus und dem verweinten Mädchen zugeführt wurde. Sie setzte sich neben die ältere Memme, nahm das Töchterchen, das grosse Augen machte, auf ihren Schoss, drückte es an sich und dankte dem Arzt für seine Mühen. Wie sooft nahm Dr. Ferdinand diesen Dank entgegen, weil er spürte, dass der Dank aus dem Herzen kam, und strich mit der Hand dem Mädchen über die verweinten Wangen. Die Schwester brachte noch die Tabletten zur Sedierung des zentralen Nervensystems und drückte das Tütchen mit dem Abgezählten der erwachten Mutter mit dem Töchterchen auf dem Schoss zwischen rechten Daumen und Zeigefinger. Die Augen der Mutter hatten die Ruhe noch nicht gefunden. Die Tabletten sollten für die nächsten zwei Monate reichen. Nach dieser unvorhergesehenen Verspätung betrat Dr. Ferdinand das 'theatre' und wechselte die Kleidung im Umkleideraum. Der junge Kollege war schon vorausgegangen, um Dr. Lizette und die Op-Schwester vom Grund der Verspätung zu unterrichten. An diesem Tage standen chirurgische Patienten auf dem Programm, eine Frau im mittleren Alter mit einer enorm vergrösserten Schilddrüse, ein Kind mit einem Zungenbändchen, dem das Bändchen das Herausstrecken der Zunge unmöglich machte, eine Frau, die mit Steinen in der Gallenblase unter starken Koliken litt, der die Gallenblase entfernt werden musste, und eine Probelaparotomie bei einem älteren Mann, der an Gewicht verloren und einen tastbaren Tumor im Oberbauch hatte. Die Besuche der Spezialisten aus Ondangwa, die eine Hilfe bei der Abwicklung der Dienstags- und Freitagslisten waren, hatten mit dem Weggang der meisten uniformierten Kollegen, die nicht mehr durch neue ersetzt wurden, das Prinzip der Regelmässigkeit verlassen. Diese Besuche hatten den Charakter des Sporadischen angenommen, wo der Grund des Kommens sich häufig auf Besprechungen mit dem Superintendenten oder dem ärztlichen Direktor beschränkte. Da die Patienten und jüngeren Kollegen, die noch im Lernstadium waren, von diesen Besuchen immer weniger profitierten, konnte Dr. Ferdinand mit einer akademischen und operativen Unterstützung durch diese Spezialisten in ihren hochkarätigen Uniformen nicht mehr rechnen.

      Er hatte ja von jeher seine Bedenken bei den Ärzten in Uniform, warum sollte es bei den Spezialisten in den Offiziersröcken anders sein? So stellte er seine persönlichen Vermutungen an, dass da in der Doppelfunktion dieser Akademiker in Anbetracht der immer kritischer sich zuspitzenden Situation, wo der Umschlag des Pendels nur noch eine Frage der Zeit war, das analytische Differential zugunsten der Uniform gezogen wurde. Wie dem auch war, es bedeutete mit weniger Ärzten ein erhebliches Mass an Mehrarbeit, die gemacht werden musste, um das Hospital am Laufen zu halten. Er wusch sich die Hände und liess sich in den Op-Kittel helfen, streifte sich die Handschuhe über und trat an den Op-Tisch, auf dem die Patientin in Narkose und mit sterilen Tüchern abgedeckt lag. Wie schon gesagt, die Schilddrüse war enorm vergrössert und reichte bis ans Brustbein heran. Die Präparation war zeitaufwendig und das Auffinden der oberen Polarterien schwierig, die auf beiden Seiten zu unterbinden und zu durchtrennen war. Die Operation dauerte fast zwei Stunden, als Dr. Ferdinand durchschwitzt das Rohr der Wunddrainage an den zusammengedrückten Ziehharmonika-Plastikbehälter anschloss und den Wundverband auflegte. Er rieb sich den Schweiss im Umkleideraum von Gesicht, Hals und Brust, fuhr einige Male mit einem trockenen Hemd durch die nassen Haare, harkte die feuchten Strähnen zwischen gespreizten Fingern einigermassen zurecht und liess sich mit frischem grünen Hemd und frischer grüner Hose im Teeraum nebenan den mit zwei Löffel Zucker gesüssten 'Rooibos'-Tee schmecken, während Dr. Lizette die Spritze zur Kurznarkose für das Kind mit dem Zungenbändchen aufzog. Die Durchtrennung des Bändchens mit dem Thermokauter dauerte etwa eine Minute, und Dr. Ferdinand hielt diesen operativen Eingriff für den kürzesten, den es in der Chirurgie gab, wenngleich ihm eine beachtliche Bedeutung beim Herausstrecken der Zunge zukam. Dr. Lizette stellte sich für einige Minuten neben Dr. Ferdinand, als dieser sich für die dritte Operation, der Entfernung der Gallenblase mit den Steinen, wusch, um ihm zu sagen, dass sie und ihr Mann das Gespräch vom vergangenen Abend als interessant und aufschlussreich empfunden hätten, was er von sich aus ebenfalls bestätigte. Sie fügte hinzu, dass sie noch bis in die Nacht hinein über das Problem des Arztes in Uniform diskutiert, aber keine Lösung der Doppelberuflichkeit in einer Person gefunden hätten, die dem Eid des Hippokrates voll Rechnung trage. "Das ist es ja, was die Sache so schwierig macht", meinte Dr. Ferdinand, der den Kittel übergezogen bekam, sich die Handschuhe überstreifte und beim Betreten des Op-Raums, wo Dr. Lizette mit der Narkose zugange war, sagte, dass man sich für einen Beruf entscheiden müsse, weil man zwei Berufe in einer Person nicht ausfüllen könne, zumal, wenn der eine ein militärischer und der andere ein ärztlicher ist. Sie stand hinter dem Narkosebügel und schaute der Operation aufmerksam zu, dass Dr. Ferdinand den Eindruck hatte, sie wollte die abendliche Diskussion fortsetzen, während er die Gallenblase frei präparierte und die Klemme am Blasenhals vor der Einmündung in den quer verlaufenden Gallenhauptgang ansetzte, weil bei dem Gespräch die ärztliche Ethik auf

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