Der Weg nach Afrika. Helmut Lauschke

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Der Weg nach Afrika - Helmut Lauschke

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anatomisches Wissen durch das einfühlsame und geschickte Assistieren bewiesen, wofür ihm Dr. Ferdinand beim Auflegen des Verbandes als erstem dankte. Sie machten eine kleine Teepause, als er nun den jungen Kollegen ein bisschen mehr von den Menschen an der Palliser Bucht erzählen liess, was Dr. Lizette mit grösstem Interesse verfolgte.

      Der junge Kollege erwähnte wieder das Sturmläuten der kleinen Kirchturmglocke, als Dr. Ferdinand es nicht vergass, an das morgendliche Sirenenheulen über dem Dorf bei der dann vorzeitig abgebrochenen Besprechung zu denken, weil ein Major dem Superintendenten eine Botschaft vom Brigadegeneral überbrachte. "Wo ist die Palliser Bucht, das hört sich ja geheimnisvoll an", fragte Dr. Lizette, und der junge Kollege begann seine Geschichte von vorn, die die Kollegin aufregend fand. Als er nach der verkürzten Rückschau wieder beim Sturmläuten der kleinen Kirchturmglocke angekommen war, und Dr. Ferdinand wieder das Heulen der Sirenen im Ohr hatte, liess die Op-Schwester durch eine Schülerin ausrichten, dass der Patient auf dem Tisch liege, womit die Geschichte, deren Kern eine 'illegale' Liebesgeschichte war, weil so eine Liebe in Südafrika verboten war und unter Prügelstrafe stand, abgebrochen wurde, was Dr. Lizette, die da offensichtlich ihre Phantasie schon spielen liess, gar nicht gefiel. Sie gingen an die Arbeit zurück, die bei den Chirurgen mit dem Händewaschen und bei Dr. Lizette mit den Vorbereitungen zur Narkose begann. Die Op-Schwester hatte gewechselt, da die Mittagspause eingesetzt hatte, und so war es nun eine jüngere, die sich selbst im grünen Kittel ein hübsches Gesicht bewahrte. Es blieb eine Probelaparotomie (diagnostische Eröffnung der Bauchhöhle) im wahrsten Sinne des Wortes, da das Karzinom nicht nur den Grossteil des Magens erfasste, sondern bereits in den Querdarm eingewachsen war und dazu noch grosse Metastasen (Tochtergeschwülste) in der Leber und weitere Metastasen im grossen Netz und in zahlreichen Lymphknoten gesetzt hatte. Diesem Patienten, der so alt noch nicht war, hatte das Schicksal nur noch eine kurze Frist gegeben. Dr. Ferdinand übergab Nadelhalter und Pinzette dem jungen Kollegen und assistierte ihm beim Zunähen der Bauchwandschichten. "So ein Kranker würde wahrscheinlich auf das Sturmläuten der kleinen Kirchturmglocke an der Palliser Bucht nicht mehr reagieren", meinte Dr. Ferdinand nachdenklich, als der junge Kollege die vorletzte Hautnaht setzte.

      Ein Riesenknall

      Es gab einen Riesenknall, Boden und Wände wackelten, in der Op-Lampe gingen die Lichter aus, im Op und dem angrenzenden Waschraum war es schlagartig dunkel, als die Instrumente auf dem Instrumententisch metallisch klapperten, und der Tisch sich in die Dunkelheit verrollte. Knall und Erschütterung glichen einem Erdbeben, dessen Wucht das Hospital in Stücke geschlagen hätte, wenn das Epizentrum nur ein bisschen näher gewesen wäre. Da es nicht das erste Mal war, dass ein solcher Schlag durch Mark und Bein fuhr, meinte Dr. Ferdinand, als eine Schwester die Markise vor dem Fenster hochzog, um das Tageslicht in den Op zu bringen, dass sich da offenbar wieder eine Granate verflogen hatte. Der junge Kollege hatte sich dennoch erschrocken und sagte, als er sich wieder gefangen hatte, dass die Palliser Bucht vor derartigen Beben relativ sicher sei. Dr. Lizette stand der Schrecken im Gesicht, als sie in den abgedunkelten Teeraum kam, sich auf einen der verschlissenen, gepolsterten Stühle fallen liess, tief ausatmete und mit ruhiger werdender Atmung feststellte, dass das Hospital noch einmal davongekommen sei. Sie drückte ihre Erleichterung aus, dass die Operationen noch rechtzeitig beendet wurden, da es ihr schwer fiele, unter solchen Schlägen eine vernünftige Narkose zu geben. Dr. Ferdinand nahm den Schlag dagegen gelassen hin, da er bereits in seiner Kindheit mit solchen Schlägen vertraut gemacht wurde. Sie verliessen das 'theatre', und Dr. Lizette machte sich auf den Heimweg, um dort ihre Mahlzeit zusammen mit ihrem Mann einzunehmen. Dr. Ferdinand und der junge Kollege schauten auf dem Wege zur Kantine ins 'Outpatient department' herein, um sicherzugehn, dass dort keine Verletzten waren, die vom Schlag getroffen wurden. Da es nicht der Fall war, gingen sie erleichtert in Richtung Mittagessen und stellten sich in die Reihe, um ihre Teller mit einem Stück Fleisch und zwei grossen Küchenlöffeln voll Reis gefüllt zu bekommen, über den eine scharfe Chili-Sosse aus einer noch grösseren Kelle gekippt und die zwei halben Pumpkins dazu gelegt wurden. Das Fleisch war zäh, der Reis versalzen und die Sosse so scharf, dass nach dem ersten Biss und Runterschlucken die gesüsste Chemie vom Orangengeschmack herhalten musste, um das salzig Bittere des Gekauten und Geschluckten zu neutralisieren. Dr. Ferdinand konnte diese Kost nicht fertig essen, dafür fehlte ihm die Zähigkeit, das Fleisch mit dem stumpfen Messer kleinzukriegen, und der Zunge fehlte die Abgebrühtheit, soviel Salz und Bitterstoffe über die Zunge rutschen zu lassen und ohne ein Würgegefühl in die Speisröhre abzuschieben. Er trank die dritte Tasse der Süsschemie und fand es beachtlich, dass der junge Kollege seinen Teller sauber räumte, dem er, was das Essen betraf, Disziplin mit der nötigen Zähigkeit und Abgebrühtheit der glossalen Geschmacksrezeptoren bescheinigen konnte. In dieser Richtung war der südafrikanische Kollege mit dem Palliser Einschlag schon ein gestandener Mann, was die Zunge dem Dr. Ferdinand versagte. "Wie geht es denn dem jungen Ehepaar an der Palliser Bucht?", fragte er nun den jungen Schriftsteller, der vom neuesten Stand im Teeraum nicht berichten konnte, weil Dr. Lizette ihn bei der Schilderung der kleinen Kirchturmglocke, die eines Nachts wegen des heranrückenden Taifuns läutete, unterbrach und wissen wollte, wo denn diese Bucht sei, und er die Geschichte von vorn zu erzählen begann, die dann, als er wieder beim Sturmläuten der Glocke angekommen war, abgebrochen wurde, weil die Op-Schwester durch eine Schülerin ausrichten liess, dass der Patient für die Probelaparotomie auf dem Tisch liege. "Wie ich bereits sagte", setzte der junge Romancier an, "die Frau erwartet ihr erstes Baby, und der Mann hat eine Arbeit als KFZ-Mechaniker in Wellington gefunden, die er nun schon seit einigen Monaten ausführt. Er stellt sich bei der Arbeit geschickt an, und der Meister ist mit ihm zufrieden. Doch das Geld, das er am Monatsende in einem Umschlag mit dem Lohnzettel ausgehändigt bekommt, ist knapp, um die kommende Familie über Wasser zu halten, zumal er die Kosten für die tägliche Hin- und Rückfahrt selbst zu tragen hat. Da aus dem Dorf nur gelegentlich mal einer nach Wellington fährt, hat er ein kleines Gebrauchtauto in einer anderen Garage erstanden, das er mit monatlichen Raten abstottert. Die beiden Zimmer, die er und seine Frau bei dem alten Bauern am Dorfrand zur Miete bewohnen, verschlingt einen weiteren Teil des Geldes, so dass es lediglich zu einem Tisch mit zwei Stühlen reichte, aber noch nicht zu einem ordentlichen Bett und zu neuen Kleidern. Sie schlafen weiterhin auf einer geliehenen Matratze auf dem Boden, was der Mann seiner Frau nach den Monaten eigentlich schwer zumutete. Er hat mit dem Meister wegen einer Lohnerhöhung gesprochen, was dieser aber erst nach Ablauf des Probejahres ins Auge fassen wolle. So dauert die Durststrecke länger als erwartet, und das Essen auf dem Tisch nimmt sich dementsprechend bescheiden aus.

      Die junge Frau ist im vierten Monat schwanger, und die Dorffrauen sehen es ihr an, die sie seit einiger Zeit grüssen, wenn auch ohne grössere Anteilnahme, um dem Gebot der Nächstenliebe zu genügen. Die Männer betrachten ihre Schönheit mit den vollen Brüsten, wenn sie lächelnd an ihr vorübergehn und denken nicht an eine Schwangerschaft. Sie haben den Sex im Hinterkopf, wenn sie mit dem Vorderkopf sie freundlich grüssen. Die junge Frau spürt es, deshalb holt sie den Stuhl erst dann vors Haus, wenn die Männer aufs Feld gegangen sind, um sich eine Bluse und einen Rock mit weiterem Umfang zu nähen. Das Dorfleben hat also geldliche und männliche Probleme, geldlich, weil das Probejahr noch sechs Monate dauert, männlich, weil die gut genährten Männer des Dorfes nicht ausgelastet sind und ans Bumsen denken. Da kann der junge Ehemann die schwangere Ehefrau nur schwer allein lassen, wenn er sich jeden Morgen kurz nach fünf mit seinem alten Fahrzeug nach Wellington auf den Weg macht und abends erst gegen acht zurückkommt." Geld und das Geschlecht, die uralten Balken im Auge, dachte Dr. Ferdinand, als er nach dem Pastor fragte. "Der nimmt sich für die junge Frau auffallend viel Zeit", fuhr der Romancier fort, "wenn er sich den zweiten Stuhl aus dem Zimmer holt und sich ihr gegenübersetzt, um Stunden mit ihr zu sprechen. Das muss ich noch herausfinden, warum der das so regelmässig und geduldig tut, ob der das ihres gläubigen Herzens wegen oder ihrer vollen Brüste wegen tut. Er könnte sich ja neben sie setzen, wenn es um den Glauben geht, und ihr nicht ständig auf die strammen Brüste sehn. Jedenfalls läuft die Dorfschiene noch nicht so gerade, wie man sich die Schiene ursprünglich vorstellte. Die einzige Erleichterung besteht darin, dass das Zusammenleben zwischen schwarz und weiss hier möglich ist, was in Südafrika undenkbar wäre." Dr. Ferdinand hatte es verstanden, dass in dem kleinen Dorf an der Palliser Bucht die

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