Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe. Peter Urban
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Champtocé lag am linken Ufer der Loire, unweit der Bischofsstadt Nantes. Kaum einen Tagesritt von seinem Stammsitz entfernt eröffnete ein undurchdringliches und von Wölfen verseuchtes Waldland den Weg hinein in das kleine Herzogtum Cornouailles. In den achtundfünfzig langen Jahren seines Lebens war er noch niemals über diese unsichtbare Grenze geritten und er würde es gewiss auch niemals tun.
Cornouailles gehörte den alten Göttern. Man munkelte hinter vorgehaltener Hand, dass es am Hof zu Concarneau noch immer weißgewandete, tätowierte Götzendiener gab, die bei allen Unternehmungen und politischen Entscheidungen das letzte Wort hatten. Der Herzog Ambrosius Arzhur Emrys war ein gefährlicher Ketzer. Er war mit einer teuflischen Hexe aus dem barbarischsten Landstrich der englischen Insel verheiratet, Wales. Es hieß, in den Adern der Hexe floss das Blut des legendären Pendragon Eudaf Hen, Urahn von König Arthur.
Man munkelte, die Hexe aus Wales könne Blitz und Donner beschwören und mit einem einzigen Blick töten. Ambrosius Arzhur Emrys selbst, der Barbarenfürst, der sich rühmte ein direkter Nachfahr von König Conan Meriadec zu sein, besiegte seine Feinde scheinbar, indem er Armeen schrecklicher, schwarzer Spektren auf sie hetzte. Alles Ammenmärchen!
Niemand beherrschte die Elemente und die heidnischen Götzendiener waren auch nur aus Fleisch und Blut. Im verfluchten Zauberwald von Paimpont, den man auch Brécheliant nannte und der auf der anderen Seite seiner Ländereien, in der Nähe von Laval und Craon lag, standen ständig Hunderte bis an die Zähne bewaffneter, dunkelhäutiger und tätowierter Langhaariger. Es waren Kriegsknechte des Herzogs von Cornouailles, die die Götzendiener beschützten, die im Wald lebten, weil sie selbst offenbar nicht fähig waren mit ihren sogenannten mächtigen Zaubern anderen den Zutritt in ihr finsteres Reich zu verweigern.
„Seht doch, was der Mann an seinem Arm trägt, Großvater“, wiegelte Gilles der Geschimpfe des Alten ab, „darüber haben wir zusammen einmal in der großen Handschrift gelesen, die Ihr aus Tours mitgebracht habt. Da stand, es würde mit Hilfe der magischen Schriftzeichen die es trägt, Geister und Dämonen bannen oder auch beherrschen.“
De Craon kniff seine Augen zusammen und betrachtete die Armspange des Erben von Cornouailles genauer. Der Blutstein leuchtete und funkelte in der Morgensonne. Er lag eingebettet in einem gleichschenkligen, spitz zulaufenden Kreuz, einem sogenannten Al-Tar-Kitar, dem Zeichen, das die israelitischen Hexer anstelle eines Pentagramms verwendeten. Sie nannten es den Urlaut und sein Schutz übertraf ihrer Meinung nach bei Weitem den Schutz, den das gewöhnliche Pentagramm gewähren konnte. Und die Sigillen auf dem Reif waren keine einfachen lateinischen Schriftzeichen. Soviel konnte de Craon erkennen.
„ Das müssen die berüchtigten, magischen Zeichen der Heiden sein“, sagte er leise mehr zu sich selbst, als zu Gilles, der von seiner sonderbaren Entdeckung begeistert war. Mit einem Schlag besserte sich auch die Laune des alten Mannes und er verdrängte die Gedanken an seinen unwürdigen Sohn Amaury.
Gilles reckte den Hals, um besser sehen zu können: Sein Großvater hatte ihn von klein auf mit hinunter in die Gewölbe der Festung genommen, wo sich ein alchimistisches Laboratorium verbarg. Er hatte ihm alle Manuskripte gezeigt, die er im Laufe eines langen Lebens angehäuft hatte und viele wundersame magische Amulette und Zaubergerät. Und er hatte ihn sogar gelehrt, wie man mit denen im Jenseits in Kontakt treten konnte, um den Geistern der Toten Informationen zu entlocken, die einen persönlichen Vorteil brachten: Ein paar Mal schon hatten sie sich so geschickt angestellt, dass eines der Schattenwesen preisgab, wo es noch zu Lebzeiten wertvolle Dinge verborgen hatte.
„Wenn wir uns nicht irren, Gilles und die Sigillen auf dem Reif wirklich magische Zeichen der Heiden sind, dann kann man mit diesem Amulett Rituale von großer Macht und Kraft vollziehen, Rituale aus ihrer alten Magie. Insbesondere für unsere Arbeiten in der hermetischen Kunst wäre es von außergewöhnlichem Wert, wenn wir ein solches Objekt besäßen“, de Craon hatte die Armspange inzwischen gründlich betrachtet. Die Rechte ihres Besitzers lag entspannt auf der Schulter des Erben der Bretagne und beide Männer sprachen miteinander, während ihre Waffenleute bereits anfingen, das Lager aufzuschlagen oder sich um die Pferde zu kümmern.
Amaury war aus dem Blickfeld des alten Mannes verschwunden –zusammen mit den Reitern, die er ihm damals von Champtocé gestohlen hatte. Sein abtrünniger Sohn hatte die Frechheit besessen den Kriegsknechten einzureden, dass sie einem Hexer, Nekromanten und Teufelsanbeter dienten und ihnen die Feuer der Hölle gewiss wären, wenn sie weiterhin in seinen Diensten blieben.
De Craon schüttelte fast ungläubig den Kopf. Bei der Armspange des Barbaren handelte sich eindeutig um ein ungewöhnlich mächtiges und sehr altes magisches Amulett. Vielleicht sogar ein einzigartiges Amulett.
„Der wird uns den Reif gewiss nicht verkaufen wollen, Großvater.“
„Junge, wir leben in einer gefährlichen Zeit“, antwortete de Craon. Endlich gelang es ihm seine Augen von der Szene abzuwenden, die sich unweit von ihm abspielte, „und selbst ein Ritter oder ein bis an die Zähne bewaffneter, dreckiger Barbar sind heute ihres Lebens und Gutes nicht mehr sicher...“
„Und der Zug gegen die Engländer wird sich bald in Bewegung setzten“, der Knabe grinste. Er hatte den Hinweis genau verstanden. Sein Großvater erklärte ihm immer, das man sich nehmen musste, was man haben wollte, weil die gebratenen Tauben keinem in den Mund flogen.
Sein Großvater nahm sich auch immer was er wollte. Und aus diesem Grund fürchteten ihn viele, während andere ihm lieber aus dem Weg gingen, um de Craons Aufmerksamkeit nicht auf sich zu lenken. Doch der Großvater wusste trotzdem Bescheid. Auch die, die sich versteckten durchschaute er gründlich und dann mussten sie eben für ihren Widerstand bezahlen. Sie hatten viele Waffenleute auf Champtocé. Der Großvater ließ ihnen immer ihr Vergnügen und darum konnte man auf die Soldaten zählen. De Craon hielt sich auch nicht mit irgendwelchen Gefühlsduseleien auf. Ob einer um Gnade winselte und flehte, oder sich in sein Schicksal ergab, war gleichgültig, weil sich die Laval-Craon-Montmorency am Ende immer nahmen, was sie haben wollten.
„Beobachte den Barbaren, Gilles. Wir haben Wochen vor uns. Merke Dir genau, was Du in Erfahrung bringen kannst. Erzähle mir alles. Wir werden schon Mittel und Wege finden, ihm sein hübsches Amulett wegzunehmen“, de Craon drückte das Kind fest an sich und küsste es liebevoll auf die Stirn. Der Knabe erwiderte die Umarmung des alten Mannes und strahlte ihn an. Er liebte seinen Großvater mehr als je zuvor. Er hatte ihm nicht nur erlaubt in den Krieg mitzukommen und zuzusehen, wie sie die Engländer totschlugen. Er vertraute ihm sogar eine wichtige Aufgabe an, die eines Mannes würdig war. Er –Gilles- hatte das Amulett entdeckt und sein Großvater würde alles tun, um ihn dabei helfen, das Objekt seiner Begierde zu bekommen.
III
Im Spätherbst war der Hof von Concarneau nach der kleinen Festung Rusquec gezogen; der Wald in der Umgebung, der Uhel Koad südlich von Morlaix - Eichen, Hainbuchen, ein paar Kiefern im Wechsel mit hellen Laubbäumen, ein sagenumwobenes Chaos riesiger Steine – war nicht nur ein gutes Revier für die Jagd auf Wild und Vögel. Er war auch die Quelle des sagenhaften Reichtums der Herren von Cornouailles.
Vor mehr als eintausend Jahren hatte der Marzhin selbst dem Hochkönigs der Volcae gezeigt, wie er nur dem Silberfluss bis zum Ty ar Boudiket folgen musste. Der Rhiotomas Rigadaf ap Deroch, Ambrosius Arzhurs Vorfahr, hatte dort unter der riesigen Steinplatte, die der Eingang zu einer Silbermine war mit den