Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe. Peter Urban
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„Du lügst“, zischte sie böse, wie eine Schlange, „von Anfang an hast Du mit meinem Gemahl unter einer Decke gesteckt. Du wolltest mich dazu überreden, Deinen verfluchten Trank einzunehmen und meinen Sohn einfach abzustoßen, wie eine unnütze Last.“
„Närrin“, herrschte Aodrén sie genauso böse an, „du weißt genauso gut, wie ich oder jeder andere vernünftige Mensch, das eine Frau die in Deinem Alter empfängt kaum eine Chance hat, bis zum Ende ihrer Schwangerschaft zu kommen. Wie viele kennst Du? Sag es mir. Sei dankbar, dass Du Deinen Wahnsinn überlebt hast.“
Maeliennyd Glyn Dwyr streckte ihre Arme nach dem kleinen Bündel aus und versuchte sich vom Bett hoch zu kämpfen. „Gib mir meinen Sohn, alte Schlange. Er ist ein Kind des Lichtes. Er ist unter den Feuern von Bealltainn geboren und ich schwöre Dir, dass er leben wird… es gibt Mittel und Wege… Du kennst sie genauso gut, wie ich.“
Draußen vor dem Fenster wurde das Jubeln der Menschen immer lauter, während die Flammen der Bealltainn-Feuer höher und höher in den Himmel stiegen. Der Geruch nach brennendem, knochentrockenem Holz wurde vom leichten Frühlingswind in den Raum getrieben und vermischte sich mit den Gerüchen der Geburtskräuter, die immer noch in der Tonschale dampften. Zu den Stimmen der Menschen gesellten sich nun auch noch die der Tiere. Wildes Blöcken und heißeres Muhen erfüllte die Nacht, während man die große, aufgeregte, wogende Masse geschickt zwischen den beiden Feuern hindurchtrieb. Schrill wieherten von den Flammen verängstigte Pferde, als der harte Druck der Schenkel ihrer Reiter auch sie durch das heilige Licht zwang. Die reißenden Ströme der schönen, warmen Jahreszeit schäumten aus den schier berstenden Herzen der Menschen unten auf dem Festplatz und auf der großen Lichtung im Wald von Carnöet. Ein Teil von Maeliennyd war unendlich müde und beinahe geneigt, den Kampf aufzugeben, sich in das Schicksal zu führen und ihren toten Sohn zu betrauern, während ein anderer Teil von ihr draußen mit den anderen zwischen den Feuern hindurchrannte und vom Leben und vom Licht gestärkt wurde.
„Großer Rabe“, flehte sie stumm die Némain Sidhe um Hilfe an, die ihr in den kalten, blauen Flammen einen hochgewachsenen, schwarzhaarigen Mann mit scharf geschnittenem Gesicht und schwarzen Augen gezeigt hatte, der das weiße Gewand eines Drouiz über den breiten Schultern trug. Ihre Augen hielten die Augen von Aodrén fest und bohrten sich tiefer und tiefer in die Seele des Weisen. Sie verbannte die Schwäche und konzentrierte sich nur noch auf die Kraft des Lebens und des Lichtes. Als sie bereits einen Fuß auf den Boden gesetzt hatte und sich mit der Hand an der Bettkante abstützte um aufzustehen, gab er endlich nach.
Aodrén wich einen Schritt zurück und senkte die Augen. “Willst Du um seinetwillen sterben. Närrin“, sagte er enttäuscht und bitter, „du bist zu schwach. Du könntest in diesem Augenblick nicht einmal eine Kerze anzünden, ohne einen Spann und Feuersteine zur Hilfe zu nehmen…“
„Aber Du könntest es“, erwiderte die Herzogin von Cornouailles mit ruhiger Stimme. Sie wusste, dass sie den Kampf gewonnen hatte. Der Ollamh beugte sich und würde endlich tun, was getan werden musste. Langsam sank sie in die Kissen zurück ohne dabei ihre Augen von Aodrén zu nehmen. Ein leiser Hauch von Traurigkeit überfiel sie, als sie begriff, dass dieser Sieg sie vielleicht für immer seine Freundschaft und seine Achtung kosten würde. Doch sie vertrieb dieses Gefühl genauso unbarmherzig, wie zuvor die Schwäche und den Schmerz in ihrem Körper. Das Einzige, was zählte war das Leben ihres Sohnes.
XIX
Bran'wen biss sich auf die Lippen um einen Schrei des Entsetzens zu unterdrücken. Der laute, wüste Streit zwischen ihrer Herrin und dem weisen Mann hatte nur wenige Augenblicke gedauert. Jetzt wischte Aodrén mit einer barschen Handbewegung das magische Feuer aus dem Kamin und zog es in einem weiten Kreis um sich und das tote Kind in seiner linken Armbeuge. Die Flammen züngelten kalt und blau, als sie sich um die beiden zu einem undurchdringlichen Wall schlossen.
Nur verschwommen konnte sie erkennen, was der Ollamh in der Mitte seines magischen Kreises tat. Er kniete sich hin und legte den leblosen, blutverschmierten, winzigen Körper vor sich auf den Boden. Dann zog er den schmalen, langen Dolch aus der Scheide an seinem Gürtel und zog sich die Klinge in einer raschen, geübten Bewegung über die Innenfläche der Hand.
Als das Blut aus der Schnittwunde auf den Leib des Kindes tropfte, beugte er sich zu ihm hinunter und legte seinen Mund auf den Mund des Kleinen. Gleichzeitig zeichnete seine blutige Hand einen Kreis auf der Brust des Jungen. Immer wieder richtete Aodrén sich auf, hob beschwörend die Hände und murmelte unverständliche Worte. Dann beugte er sich wieder über den Kleinen. Nach einer Weile schien es so, als ob es ihm gelang, dem Kind von seiner eigenen Lebenskraft und Stärke einzuhauchen. Bran'wen bemerkte, wie sich eines der winzigen Beinchen schwach bewegte, dann das andere.
Immer öfter richtete der weise Mann sich auf um seine mächtigen Beschwörungen über dem kleinen Wesen zu sprechen. Ihre Herrin lag auf der anderen Seite des Raumes auf dem Bett ausgestreckt und starrte genauso gebannt in die Flammen, wie sie selbst. Und plötzlich wuchsen die Flammen des magischen Feuerkreises so hoch, dass sie sowohl Bran’wen, als auch Maeliennyd Glyn Dwyr den Blick in sein Inneres vollkommen versperrten.
Ein gellender, spitzer Schrei erfüllte den Raum. Die alte Frau erschrak zu Tode, als sich der Feuerkreis mit einem Mal in Nichts auflöste und der Ollamh mit dem blutverschmierten, wild strampelnden und lauthals brüllenden Knaben zum Bett der Mutter hinüberging. Seine Schritte waren unsicher und kraftlos und sein bärtiges Gesicht schien leichenblass. Seine für gewöhnlich lebhaften, braunen Augen wirkten leer und tot.
„Dein Sohn, Herzogin von Cornouailles“, sagte der alte Mann zu Tode erschöpft, als er Maeliennyd Glyn Dwyr das Neugeborene an die nackte Brust legte. „ Vergiss niemals, dass Zauber nicht immer so wirken, wie wir Menschen uns dies wünschen. Sie unterliegen ganz eigenen Gesetzen und diese Gesetze sind uns genauso fremd, wie der Lauf der Zeit oder der Wille der höheren Mächte.“ Dann sank er neben ihr auf die Bettkante und seufzte schwach. „Hör endlich auf zu gaffen, Du törichtes, altes Weib.“ Seine leeren, toten Augen richteten sich kurz auf Bran'wen, die immer noch stocksteif mit vor den Mund geschlagenen Händen auf der Kleidertruhe hockte. „Lauf schon hinunter in die Küche, hole einen Kessel voll warmem Wasser und saubere Tücher. Der kleine Prinz von Cornouailles muss endlich gewaschen und gewickelt werden.“
XX
Guy de Chaulliac beobachtete seinen Freund Ambrosius Arzhur. Der saß inmitten seiner Gefolgsleute und der anderen Drouiz an einer der sich vor Überfluss durchbiegenden Festtafeln.
Während alle um ihn herum schmausten, tranken und fröhlich durcheinanderschwatzten hingen seine Augen, wie gebannt an den beiden Bealltainn-Feuern, die langsam herunterbrannten, während sich am fernen Horizont die ersten Strahlen der Morgensonne aus der Dunkelheit hervorschlichen und den vollen Mond langsam von seinem erhabenen Platz am Himmel vertrieben.
Zwischen den Fingern drehte der Herzog einen silbernen, mit blutrotem Wein gefüllten Pokal hin und her, ohne jedoch aus ihm zu trinken. So saß Cornouailles nun schon seit vielen Stunden da, unbeteiligt und abwesend. Er schien nachdenklich. Guy hatte sich gewundert, als er den Leuten erklärte, dass seine Herzogin nicht mit ihnen Feiern würde, weil sie in der Nacht von Bealltainn einem Kind das Leben schenkte. Die Menschen hatten nach dieser Ankündigung laut gejubelt und geklatscht und während die Nachricht ihren Weg durch die unüberschaubar große Menge machte, waren diese Freudenbekundungen immer lauter und fanatischer geworden.
Sogar die christlichen Priester und die Mönche aus zwei in der Nähe gelegenen Klöstern, die trotz ihres anderen Glaubens zu diesem Fest eingeladen worden waren hatten es sich nicht nehmen lassen, ihrem