Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe. Peter Urban
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe - Peter Urban страница 10
Maeliennyd Glyn Dwyr nickte Aodrén zu und überwand sich dazu das ganze Bild der Vision noch einmal vor ihrem inneren Auge aufleben zu lassen. Sie wusste, dass sie nicht das kleinste Detail vergessen durfte, denn möglicherweise verbargen sich dort Hinweise auf das Schicksal ihres ungeborenen Kindes. Und vielleicht verstand es ja der weise Mann, was sie in ihrem Schmerz und in ihrer Verzweiflung nicht begriffen hatte. „Dann wurde alles wieder dunkel“, fuhr sie fort, „und ich bekam fürchterliche Schmerzen. Es war unerträglich und trotzdem konnte ich weder schreien, noch mich bewegen. Und ich konnte die Augen nicht abwenden: Die Flammen des kalten Feuer wuchsen höher und höher. Ich erkannte deutlich eine große, in den Felsen gehauene Halle. Dort saß vom Schatten halb verhüllt eine dunkle Königin auf einem Thron aus Elfenbein. Neben ihr stand eine hochgewachsene Gestalt in einem schmucklosen, schwarzen Gewand. Auf der Brust trug diese Gestalt an einer schweren Kette aus Gold ein prachtvolles Schmuckstück in der Form eines Raben. Und um das Gelenk der Hand, die auf der Lehne des Elfenbeinthrons ruhte schloss sich der Reif von Eluned...derselbe Reif, den mein Vater der Cadwalladr meinem Gemahl am Tag unserer Vermählung anvertraut hat. Ich habe die dunkle Faith erkannt, Aodrén. Es war die Némain Sidhe selbst, der schwarze Rabe, die Königin der Spukgeister, die Herrin der Krieger, das Ende und die Wiedergeburt, Krieg und Frieden, Tod und Leben. Doch sie war nicht schrecklich und furchteinflößend, sondern schön und bleich und auf ihrem Antlitz lag ein wohlmeinendes Lächeln.“
Die Herzogin schien ihre Schwäche vergessen zu haben. Dem dumpfen Schmerz, der dem beklommenen Gefühl in ihrem Leib inzwischen wieder Platz gemacht hatte, schenkte sie keine Beachtung. „ Aodrén“, sagte sie so laut und deutlich, als ob sie einen heiligen Eid schwören wollte, „dort saß nicht die schreckliche Alte, sondern die Herrin des Sees. Die Morrigù selbst hat mir diese Vision geschickt und es war so ganz anders, als alle anderen Visionen, die ich je hatte. Die Némain Sidhe hat mich in eine ferne Zukunft blicken lassen, um mir etwas Bestimmtes zu zeigen. Doch was? “
Der alte Mann schwieg und strich Maeliennyd Glyn Dwyr in langsamen, sanften Bewegungen über den Leib, während sie weitersprach. Er hoffte ihr Zuversicht und Vertrauen einzuflößen und vielleicht auch die Wehen wieder in Gang zu bringen. Das kleine Wesen in ihr musste sich endlich weiter in Richtung auf den Ausgang zuzubewegen, wenn es leben wollte. Bereits als Chaulliac die Herzogin untersucht hatte, war dem alten Drouiz aufgefallen, wie weit geöffnet der Muttermund war. Frauen empfanden die Wehen immer sehr unterschiedlich. Jede von ihnen kam ganz individuell mit den Schmerzen klar. Die Tatsache, dass Maeliennyd Glyn Dwyr in ihrem erregten Zustand nur wenig zu spüren glaubte, bedeutete noch lange nicht, dass die Eröffnungswehen erst einsetzen mussten. Er hatte eher das Gefühl, dass sie bereits kurz vor der eigentlichen Niederkunft stand und dies alles nur nicht so wahrnahm, wie bei ihren letzten fünf Geburten. Auf den ersten Blick hatten die Bilder, die sie beschrieb auch für ihn keinen Sinn gemacht. Doch er fühlte, dass jedes einzelne ihrer Worte wichtig war. Darum musste er alles im Gedächtnis behalten. Sobald das Kind gesund und sicher auf der Welt war, würde er alle Zeit haben, vernünftig nachzudenken. Er hoffte, die Botschaft der Némain Sidhe zu deuten, die sie ihnen durch das kalte, blaue Feuer geschickt hatte.
XIII
Bran'wen schreckte plötzlich hoch, als sie klar und deutlich die Stimme ihrer Herrin hörte.
Langsam trotteten die Erinnerungen an den grauenhaften Nachmittag Eine um die Andere wieder in ihr altes, träges Hirn zurück, so wie eine undisziplinierte Schafherde hinter dem Hütejungen in den Stall zurückkehrt: Sie musste vor lauter Erschöpfung, und weil sie sich die Seele aus dem Leib geheult hatte, eingeschlafen sein. Ein kurzer Blick nach draußen, durch immer noch schlaftrunkene Augen, bestätigte ihr, dass die Sonne schon lange hinter dem Horizont verschwunden war, um der Nacht und dem neuen Mond Platz zu machen.
Als der Herzog, der dunkelhaarige Mann aus dem Süden und die Anderen in das Gemach von Maeliennyd Glyn Dwyr geströmt waren, hatte man sie achtlos aus dem Weg gestoßen. Sie hatte sich in einer Ecke neben einer Kleidertruhe hingehockt, um aus dem Weg zu sein und nicht zu stören. Dann mussten sie alle wieder fortgegangen sein und man hatte sie einfach vergessen. Jetzt konnte sie nur noch den Ollamh und ihre Herrin ausmachen. Sie saßen zusammen auf dem großen, mit prächtigen Vorhängen geschmückten Bett und plauderten. Bran'wen richtete sich so leise, wie möglich auf, um nicht den Zorn von Aodrén zu erwecken. Sie spähte vorsichtig über den Rand der Truhe hinweg. Ihre alten Ohren taugten wenig. Bran‘wen konnte kaum verstehen, worüber die beiden sprachen, doch allen Anschein nach ging es ihrer Herrin schon wieder viel besser. Sie hatte mit ihrem fürchterlichen Geschrei wohl nur eine unnötige Panik ausgelöst. Bran'wen biss sich auf die Lippen. Sie war sicher, dass ihr am nächsten Morgen eine gewaltige Strafpredigt drohen würde. Vermutlich würde Maeliennyd Glyn Dwyr sie wieder einmal eine alte Närrin schimpfen und ihr damit drohen, sie nach Wales zurückzuschicken, weil sie zu nichts mehr taugte.
Aodrén schien Maeliennyd ein kleines Fläschchen mit einer Flüssigkeit zu zeigen und ihre Herrin nickte zustimmend. Der Ollamh erhob sich, goss etwas von der Flüssigkeit in eine kleine Tonschale und entzündete eine Kerze unter dem Behältnis. Augenblicke später erfüllte ein wunderbarer Wohlgeruch das ganze Gemach. Bran’wen konnte lediglich eine einzige der Pflanzen bestimmen, die in diesem Duftöl vermischt worden waren: Es war der Beifuß. Sie stutzte ein wenig. Beifuß wurde regelmäßig während einer Geburt verbrannt, um Dämonen und böse Geister fernzuhalten und Mutter und Kind zu beschützen.
Jetzt stand der Ollamh über das Bett ihrer Herrin gebeugt und versperrte ihr die Sicht. Trotz ihrer schlechten Ohren verstand die alte Bran‘wen jedes Einzelne der Worte, die Aodrén in einem eindringlich beschwörenden Tonfall sprach. Dabei bewegten sich seine Arme sich in ganz präzisen Gesten und schrieben unsichtbare Zeichen über der Gebärenden.
Bran’wen fühlte eine seltsame Spannung im Gemach aufsteigen, als der weise Mann seinen Eibenholzstab nahm. In dem Augenblick, in dem seine Hand das glatte, dunkle Holz berührte, leuchtete der hellblaue, ungeschliffene Kristall an der Spitze in einem unirdischen Licht. Es schien, als ob die Luft sich langsam, aber stetig mit der Magie des Ollamh füllte. Ihre Herrin war währenddessen ganz still und gab keinen Laut von sich. Als Aodrén mit seinen Schutzzaubern zu Ende war, stieß er den Stab drei Mal hart auf den Boden. Im Kamin sprang aus dem Nichts ein Feuer hoch. Es verzehrte in einem kurzen Zischen und Knacken den müden, kleinen Scheit, der dort wohl nach der kalten Jahreszeit von den Dienstmägden vergessen worden war, während sie den Frühjahrsputz gemacht hatten und brannte dann aus eigener Kraft weiter.
XIV
Ambrosius fühlte sich leer, während er zusammen mit den anderen Drouiz auf einem kleinen Hügel stand und den jungen Mädchen dabei zusah, wie sie mit Haselstäben in den Händen um den frisch gepflügten und eingesäten Acker tanzten.
Die Stäbe schmückten rote und weiße Blumengirlanden. Ein paar junge Burschen spielten auf ihren Instrumenten eine fröhliche Weise. Die Mädchen hatten alle ihre hübschesten Gewänder angelegt. Sie wirkten aus der Ferne, wie ein Reigen bunter, farbenprächtiger Schmetterlinge. Ganz deutlich konnte man erkennen, wie die meisten von ihnen ihre offenen Haare mit Kränzen aus Birkenblättern und kleinen Sträußchen von Weißdornblüten geschmückt hatten, die bei jeder ausgelassenen Bewegungen als feiner Schnee durch die Luft flogen und dann zu Boden rieselten.
Für gewöhnlich genoss er alle Jahre wieder dieses ausgelassene Treiben der jungen Leute im Mondlicht. Es begann, nachdem die Drouiz genau im Herzen des Ackers eine Dankesgabe an die Natur vergraben und die Erde gesegnet hatten. Doch in dieser Nacht waren