Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe. Peter Urban
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„Und Du bist Dir wirklich ganz sicher, dass es unsere verschwundene Übersetzung ist und nicht nur“, Ambrosius zögerte kurz, „...irgendeines dieser verrückten Werke, die schlaue Fälscher eins ums andere in Al Andalus herstellen, damit sie dann für schweres Gold an irgendwelche Leichtgläubige auf der anderen Seite der Pyrenäen verkaufen werden können.“
Chaulliac schüttelte den Kopf. Er hatte das frische Brot gegessen. Ihm wurde bewusst, wie sehr seine Kehle vom vielen Reden und von der Wärme des Tages ausgetrocknet war. Als Ambrosius von Cornouailles an ein paar müßig herumlungernden Wachleuten vorbei den Weg hinauf in die herzoglichen Gemächer einschlug, folgte Guy ihm bereitwillig. „Nein“, erwiderte er bestimmt und dachte, dass ihm jetzt selbst einer der unheimlichen Wächter von Barc'h Hé Lan willkommen wäre, wenn er nur neuen Wein oder einen großen Krug kalten Apfelmostes mitbrächte, „bei dem Grimoarium von Nicolas Flamel muss es sich um die echte Templer-Handschrift handeln. Jedes Detail entspricht der Beschreibung aus dem Testament von Jacques de Molay. Ich habe sogar den Fluch von Abraham Eleazar gelesen und auch diese seltsame Miniatur entdeckt, von der de Molay spricht und die Bernard de Clairvaux zusätzlich in die Übersetzung eingefügt hat.“
Der Okzitanier schloss kurz die Augen, „Ich bin Abraham Eleazar der Jude, ein Fürst, Priester und Leviter, ein Astrologe und Philosoph. Ich entstamme einem alten Geschlecht, denn meine Wurzeln gehen zurück auf Abraham, Isaac und Jakob. Meine Brüder, die ihr durch den Zorn des Großen Gottes in alle Winde zerstreut leben müsst, in Unterdrückung und Sklaverei: Ich wünsche Euch im Namen des Messias, der bald kommen wird und im Namen des großen Propheten Elias, der all seine Brüder auf diese Ankunft vorbereitet hat Erfolg und Glück. Deni, Adonai, Bocitto, Ochysche 60 F. Darum erwartet geduldig das Kommen des Helden“, zitierte er auswendig.
„Der Text scheint nicht vollständig“, sagte Cornouailles leise zu ihm, “ denn im Original.....“
Chaulliac hob die Hand und gebot dem Herzog zu schweigen. „Der Text ist vollständig. Sie haben auch den Fluch übersetzt, Ambrosius. Doch er steht nicht auf der ersten Seite, wie im Original der Handschrift. Bernard hat ihn auf die Rückseite des Deckblattes geschrieben und dort auch jene seltsame Miniatur eingefügt, die ich zuvor erwähnt habe. Was allerdings Abraham Eleazars Erklärungen über die Herkunft des niedergelegten Wissens und den wahren Zweck des großen Werkes angeht; das steht nirgendwo. Ich hatte den Eindruck, dass diejenigen, die hinter dieser Übersetzung steckten, beschlossen hatten, man könne denjenigen, denen dieser Text ursprünglich zugedacht worden war, nicht die volle Wahrheit über den Fund von Hugues de Payns und seiner acht Gefährten unter den Ställen Salomons im alten Tempel von Jerusalem anvertrauen. Wenn ich mich richtig entsinne: Molay sagt dazu Garnichts in seinem Testament... oder vielleicht wusste er es auch einfach nicht.“
„Und Flamel“, fragte Ambrosius ein wenig misstrauisch. In seiner Stimme spiegelte sich Sorge und gespannte Erwartung wieder.
Chaulliac schüttelte den Kopf und lächelte. “Meister Flamel ist ein weiser, alter Mann. Auch ohne die Erklärungen, die im aramäischen Original stehen, ist er dem wahren Geheimnis der Handschrift des Abraham Eleazar mit den Jahren auf die Spur gekommen.“
Der Herzog hob leicht eine dünne, hochgeschwungene Augenbraue und fixierte seinen Freund. „Und...“, ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen, doch dieses Lächeln hatte nichts Freundliches. Es erinnerte mehr an den Ausdruck auf dem Gesicht einer Katze, die sich anschickte einen Sprung zu wagen, um ihre Beute zu schlagen.
„Als Meister Flamel begriff, was sich wirklich hinter dem Grimoarium versteckte –abgesehen von der ganzen Goldmacherei und Reichtum ohne Ende und Blablabla – da ist ihm angst und bange geworden. Er sagt, dass er den weißen Stein wieder zerstört und seine Splitter in alle Himmelsrichtungen zerstreut hat. Und alles Blei, das er mithilfe des Steines in Gold verwandeln konnte ist bis zur letzten Unze in seine gottgefälligen Werke geflossen. Er hat nicht einmal ein einziges Körnchen davon behalten, um es für eigennützige Zwecke zu verwenden.“
„Gut“, erwiderte Ambrosius. „Dieses Geständnis des Notarius dürfte uns beiden die Entscheidung wesentlich leichter machen. Du glaubst dem alten Mann? Nicht wahr, Guy?“
Der Okzitanier überlegte einen Augenblick. Als er an die eiskalten, harten und leblosen Augen des dunklen Wächters von Barc'h Hé Lan zurückdachte, nickte er nur stumm.
VIII
Maeliennyd blinzelte heftig und schüttelte sich. Sie musste sich bei ihrem Spaziergang hinunter zum See mehr angestrengt haben, als sie geglaubt hatte. Oder sie hatte einfach zu viele Dinge durcheinander in sich hineingestopft, wogegen ihr Magen jetzt rebellierte, genauso, wie Aodrén es am See prophezeit hatte. Sie spürte wieder dieses dumpfe, unangenehme Ziehen in der Leiste. Im Reflex legten sich ihre Hände beschützend über den gewölbten Leib, obwohl ihr Verstand ihr sagte, dass dieser kurze Schmerz unmöglich mit dem Kleinen in Zusammenhang stehen konnte. Noch mindestens zwei volle Monate trennten sie vom Augenblick der Geburt. Seit der Wintersonnwende wusste sie sicher, dass sie wieder schwanger war. Sie hatte das Kind vermutlich in der Zeit um Samhain empfangen. Maeliennyd atmete tief durch, presste die Hände fester auf den Leib und versuchte den dumpfen Schmerz zu verdrängen, der sich immer unnachgiebiger in ihrem Unterleib aufbaute. Kurz betrachtete sie die beinahe leere Schale und schalt sich zum zweiten Mal an diesem Tag eine Närrin. Selbst ihren beiden Söhnen Aorélian und Glaoda würde es speiübel werden, wenn sie zuerst geräucherten Aal und hinterher Zuckerbrot und kandierte Veilchen in sich hineinstopften. Die Herzogin zwang sich so langsam und so gelassen wie möglich zu atmen und ihre Gedanken auf etwas anderes zu richten, als auf dieses kleine Wesen, das in ihr heranwuchs. Doch es wollte nicht gelingen. Das dumpfe Pochen schien sich zu verwandeln. Sie spürte, wie ihr gewölbter Leib unter dem krampfhaften Druck der Hände nachgab und sich plötzlich senkte. Furcht stieg in Maeliennyd Glyn Dwyr auf; eine nackte, kalte, eisige Angst. Wie ein Kaninchen, die Schlange anstarrte, richtete sie ihre Augen auf den Kamin, in dem noch die erbärmlichen letzten Reste eines alten Feuers lagen. Es war keine Sinnestäuschung. Sie bemerkte, wie in der kalten Asche winzige, hellblaue Flammen zum Leben erwachten. Der Schmerz in ihrem Leib nahm zu und mit jedem dumpfen Stechen wuchsen die Flammen, bis sie sich schließlich zu einem deutlichen, klaren Bild verwoben.
IX
Nachdem die beiden Männer ihren Beschluss gefasst hatten, beschrieb Chaulliac noch kurz Bernards Miniatur, so wie er sie im Gedächtnis behalten hatte: Ein Mann in einem sonderbar zeremoniell anmutenden Gewand steht auf einem Quaderstein. In der Rechten hält er eine Phiole aus Glas, in deren Inneren eine Schlange sich in den Schwanz beißt. Aus dem Hals der Phiole entspringen drei Blumen. Zur Linken des Mannes erhebt sich ein Berg, auf dessen Rücken allerlei Bäume und Pflanzen wachsen. Am Fuß des Berges erkennt man zwei Höhlen. Während ein Tier in die eine Höhle hineinläuft, entspringt der anderen Höhle ein Fluss, der unter dem auf dem Quaderstein stehenden Mann hindurchfließt, um in eine weitere Höhle zu verschwinden, die man am Fuß eines kleinen Hügels im Vordergrund entdecken kann. Auf diesem Hügel wachsen drei Rebstöcke mit saftigen Trauben. Zur Rechten des Mannes, etwas in den Hintergrund versetzt,