Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe. Peter Urban
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Guy schüttelte sich bei dem Gedanken, wie die Menschen wohl reagieren würden, wenn sie am Morgen erfahren mussten, dass das Land seine Herzogin verloren hatte: Die, die am alten Weg festhielten, würden es als ein schreckliches Omen ansehen, ein Vorzeichen für einen schlechten Sommer und unfruchtbare Felder. Vielleicht würden sie sogar die Macht der Drouiz in Frage stellen, weil dieses Unheil unter den Feuern von Bealltainn geschehen war.
Die Schwächsten und Wankelmütigsten von ihnen würden sich davonschleichen und zu den christlichen Priestern zu laufen. Und die christlichen Priester würden es sich gewiss nicht nehmen lassen, in ihren Kapellen und Kirchen vor den Altar zu treten über dem ihr zu Tode gemarterter Gott an seinem Holzkreuz hing, um den anderen zu erzählen, dass das Unglück, das die herzogliche Familie von Cornouailles in ausgerechnet dieser Nacht befallen hatte die gerechte Strafe für ihre heidnische Ketzerei war, an der sie so unbeugsam festhielten: ein Fingerzeig ihres rachsüchtigen, christlichen Gottes, endlich den Hexer von Concarneau und sein walisisches Teufelsweib zu vertreiben und einen rechtgläubigen Fürsten ins Land zu rufen.
Ambrosius musste entweder wahnsinnig oder völlig verzweifelt gewesen sein.
Mit seinen unbedachten Worten hatte er nicht nur seine eigene Herrschaft aufs Spiel gesetzt, sondern möglicherweise auch der weißen Bruderschaft einen nicht wieder gut zu machenden Schaden zugefügt.
Finster wandte Guy de Chaulliac seine Augen von dem stillen, nachdenklichen Mann im weißen Gewand der Drouiz und blickte hinauf zur Festung von Carnöet, die dunkel und verlassen auf dem Hügel über ihnen thronte, wie eine Ruine aus längst vergessenen Zeiten.
Der Okzitanier beschloss, dass er so schnell es schicklich war aufbrechen würde, um diesem Ort auf Nimmerwiedersehen den Rücken zu kehren.
Sein Vater und sein Großvater hatten also doch recht gehabt, als sie ihn vor diesem kleinen Land am Ende der Welt und seinen Fürsten gewarnt hatten: Er hatte es damals nicht geglaubt, als er und Ambrosius Arzhur Freunde geworden waren. Der junge Herzog war ein genauso gefährlicher Fanatiker, wie zuvor schon sein Vater und sein Großvater …und dazu war der Mann auch noch vollkommen verrückt.
Er würde unverzüglich auf dem schnellsten Weg nach Prag reiten, um dem Großmeister des Ordens Stephan von Paléc mitzuteilen, was er in Paris entdeckt hatte. Nur so konnte es ihm vielleicht noch gelingen, seine unentschuldbare Vertrauensseligkeit wieder gut zu machen, Ambrosius Arzhur als Erstem von der Wiederentdeckung der Übersetzung des Manuskriptes des Abraham Eleazar berichtet zu haben.
Niemand konnte unter diesen Umständen vorhersehen, was dieser gefährliche Verrückte wohl zu tun in der Lage war, wenn seine Macht um seines bodenlosen Leichtsinnes Willen ins Wanken geriet. Guy konnte sich nur zu gut vorstellen, wie sein ehemaliger Freund sogar den heiligen Eid der weißen Bruderschaft brechen würde, um sich dieser Handschrift zu bemächtigen, die es dem Templerorden damals erlaubt hatte, über mehrere Jahrhunderte hinweg eine geradezu grenzenlose Macht beinahe mühelos auszuüben.
Gerade als er eine belanglose Entschuldigung erfinden wollte, um sich von seinen unlieb gewordenen Tischgefährten diskret zu verabschieden, um im Schutz der Morgendämmerung seine Abreise vorzubereiten, bemerkte er eine hochgewachsene Gestalt in einem weißen Gewand, die langsam von der Festung zum Festplatz hinunterkam.
Er kniff die Augen zusammen, um besser durch das trübe Licht des jungen Tages hindurchsehen zu können: Die hochgewachsene Gestalt hatte unverkennbar einen bis zum Gürtel reichenden, steingrauen Bart und ebenso lange, steingraue Haare, die offen über den Schultern hingen. In der Rechten hielt er einen hohen, schlanken Stab, dessen ungeschliffener Kristall an der Spitze die ersten Strahlen der Morgensonne brach.
Guy fuhr von seinem Platz hoch und stieß dabei so heftig gegen die Holzbohlen, die ihnen als Tisch gedient hatten, dass ein großer, tönerner Krug scheppernd zerbrach und alle am Tisch Sitzenden mit dunkelrotem Wein besudelte. Noch bevor die Ersten überhaupt dazu ansetzen konnten, ihn um seiner Unvorsichtigkeit willen lauthals zu beschimpfen, war er schon über die Bank gesprungen. Er rannte mit fliegenden Gewändern auf die weißgewandete Gestalt zu, die eine in ein feines, hellgrünes Tuch gewickelte Last trug.
„Aodrén“, schrie er, ohne das Kopfschütteln und die ungehaltenen Blicke derer zu beachten, die er bei seinem raschen Lauf achtlos zur Seite stieß. Ihm war mit einem Mal klar, was der alte Mann so stolz trug.
„Aodrén!“ als er den alten Drouiz schon beinahe erreicht hatte, hörte Guy ein zweites Paar Füße hinter sich. Dann spürte er kräftige, unnachgiebige Hände, die ihn an den Schultern packten und zurückhielten. Als er sich umdrehte, Entrüstung im Herzen und einen zornigen Satz auf den Lippen, blickte er in die schwarzen, tiefgründigen Augen des jungen Mannes, der ihnen erst am Morgen schweigend und unheimlich Wein serviert hatte. Doch jetzt waren diese Augen nicht mehr eiskalt und unerbittlich, sondern übermütig und ausgelassen: „Wartet bitte, Meister Chaulliac“, flüsterte der Wächter von Bar‘ch Hé Lan dem Okzitanier leise ins Ohr, „wartet bitte noch ein wenig. Es ist nicht an Euch, den kleinen Prinzen von Cornouailles in dieser Welt willkommen zu heißen.“
Aodrén war inzwischen stehengeblieben und hatte mit einer energischen Handbewegung seinen Stab in den Boden gestoßen. Dann nahm er das kleine, grün eingepackte Bündel vorsichtig in beide Hände und hielt es hoch über den Kopf damit alle es sehen konnten. Die Anstrengung der vergangenen Nacht stand ihm zwar ins Gesicht geschrieben, doch seine Stimme war energisch und fest, als er den Menschen und dem Herzog von Cornouailles den gesunden, lebendigen Knaben zeigte, dem die weiße Dame von Concarneau unter den Feuern von Bealltainn das Leben geschenkt hatte.
„Er ist nicht nur der dritte Sohn unseres Herzogs“, flüsterte der junge, dunkle Mann Guy de Chaulliac ins Ohr, „er wurde auch im Zeichen des Lichtes geboren. Die stehenden Steine von Carnac haben endlich wieder einen neuen Herrn.“
Der Okzitanier seufzte und ergab sich in sein Schicksal. Jene düsteren Gedanken und Pläne, die noch bis vor kurzem in seinem Kopf herumgeschwirrt waren, hatte er bereits verdrängt.
Aodrén wäre niemals so verrückt gewesen, ein totgeborenes Kind hierher zu bringen, denn er war nicht dabei gewesen, als Ambrosius Arzhur zu seinen Leuten gesprochen hatte und konnte deshalb auch nicht wissen, auf welches waghalsige und gefährliche Spiel der Herzog sich eingelassen hatte.
„Woher wisst Ihr eigentlich, dass der Ollamh uns allen einen Knaben vorführen möchte, “rächte er sich mit einer überaus schnippischen Frage an seinem Bezwinger. Der junge, dunkle Mann liest ihn los und klopfte ihn freundschaftlich auf die immer noch schmerzende Schulter: „Für die Knaben gibt es nur einfaches Grün, Meister Chaulliac“, erwiderte er ebenso schnippisch und sehr selbstbewusst, „bei den Mädchen mag der Ollamh es farbenprächtiger und spektakulärer: Er wickelt sie immer in das Drachenbanner von Wales, die Farben unserer Herzogin.“
Inzwischen hatten sich schon zahllose Menschen an ihnen vorbeigedrängelt und versperrten die Sicht. Ein paar Mönche, die zuvor unweit der Tafel von Chaulliac eifrig dem Wein zugesprochen hatten, waren sogar in die Knie gesunken und sprachen offensichtlich ein Dankgebet für die glückliche Geburt des jüngsten Prinzen von Cornouailles.
Er schüttelte leicht den Kopf und dachte daran, wie dieselben, überschwänglichen Gottesdiener im gegenteiligen Fall wohl ebenso enthusiastisch Ambrosius' Ketzerei verurteilt hätten. Inzwischen war es sogar seinem Freund gelungen, sich einen Weg bis zu Aodrén und zu seinem kleinen Sohn zu bahnen. Guy stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte sich, um wenigstens ein klein wenig von dem ganzen Spektakel mitzubekommen.
Der Herzog strahlte. Die ganze Last der langen Nacht