Im Schatten des Todes. Aris Winter
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Ungeduldig ging er im Flur auf und ab. Als Lena ihre Frisur gerichtet hatte verliessen sie, zielstrebig und ohne die Wohnungstüre hinter sich zu verriegeln, die Wohnung. Mit dem Fahrstuhl fuhren sie ins Untergeschoss, wo sich neben dem Keller auch die Garage befand.
Der silberne Hyundai Tucson stand rückwärts eingeparkt, bereit zur Flucht. Liam befahl Lena, sich auf die Rückbank zu setzen, damit sie nicht gesehen werden konnte. Die Scheiben im hinteren Teil des Wagens waren abgedunkelt. Er startete den Motor, drückte vorsichtig auf das Gaspedal und verliess unauffällig die Garage, welche hinter dem Haus auf eine Nebenstrasse führte.
Das miese Wetter spielte ihnen glücklicherweise in die Karten. Dank des Regens war die Sicht etwas beeinträchtigt und sollte der Auftragskiller tatsächlich den Wagen im Visier gehabt haben, so hätte er ihn hinter dem Lenkrad nur schwer identifizieren können.
Liam fuhr Richtung Stadtzentrum. In die Innenstadt waren es rund fünfzehn Kilometer. Er hoffte, dass er dort in der Menschenmasse untertauchen könnte. Noch immer war er planlos. Er war einfach nur froh, weg von der Gefahrenzone zu sein.
‘Wie würde die Polizei wohl vorgehen?’ fragte er sich.
“Ich brauche eine Schussweste und eine neun Millimeter”, sagte Liam zu sich selbst. In diesem Moment klingelte Lenas Telefon.
“Es ist Kevin”, sagte sie nach einem kurzen Blick aufs Display werfend.
“Ich will mit ihm sprechen”, sagte Liam unverzüglich. Sie hob ab und hielt sich das Telefon ans Ohr. Liam riss es ihr aus der Hand und presste es an sein Ohr. Seine Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. Mit einer Hand lenkte er den Wagen, der auf der nassen Fahrbahn leicht ins Schlingern kam. Er konnte sich kaum noch auf die Strasse konzentrieren.
“Wo zum Teufel ist mein Sohn?”, brüllte er in den Hörer.
“Oh, ich glaube ich bin ein Medium”, provozierte Kevin, “ich glaube ich spreche gerade mit einem Toten.”
“Du bist ja ein richtiger Spassvogel”, schrie Liam ausser sich vor Wut “sag mir, wo du bist.”
“Ich bin weit weg. In einer anderen Dimension. Dein Sohn nennt mich jetzt Papa. Hast du gewusst, dass er heute Geburtstag hat? Willst du ihm nicht gratulieren?”, fragte Kevin mit einem frechen Unterton.
“Heute ist nicht sein Geburtstag, du Bastard. Wenn du sein Vater wärst, dann wüsstest du das auch”, schnauzte ihn Liam an, “ich werde dich jagen und finden. Lebendig oder tot”, drohte er ihm.
“Aber natürlich. Ich werde vielleicht auf dich warten”, antwortete Kevin gelassen.
In diesem Moment brach die Verbindung ab. Liam schleuderte das Telefon wütend auf den Beifahrersitz. Mit hohem Tempo brauste er in Richtung Innenstadt. Seine Hände zitterten vor Wut.
“Und diesen widerwärtigen Unmensch liebst du, verdammt?”, schrie er durch den Wagen.
“Konzentriere dich auf die Strasse, Liam!”, schrie Lena zurück. Sie kreischte laut und duckte sich hinter die Lehne des Beifahrersitzes. Liam kriegte sich nur langsam wieder ein und verlangsamte schliesslich das Fahrzeug. Das Adrenalin liess ihn die Kontrolle über seinen Körper verlieren. Immer wenn er sich über etwas aufregte, während er am Lenkrad eines Fahrzeuges sass, neigte er dazu, das Gaspedal durchzudrücken. Es war eine seiner schlimmsten Angewohnheiten. Ein übler Makel, welcher ihm immer erst im Nachhinein bewusst wurde. Vor allem wenn Bernard bei ihm im Fahrzeug sass, dann wurden solche Aussetzer zur Lebensgefahr, auch wenn sie nur wenige Minuten andauerten. Es gab schon ein paar solcher Aussetzer in der Vergangenheit. Meist reichte es aus, wenn sich ein Verkehrsteilnehmer nicht an die Regeln hielt oder ihn provozierte. Dann liess er sich zu gefährlichen Manövern verleiten und vergass seine Mitinsassen und die möglichen Konsequenzen. Glücklicherweise kam er bisher immer mit einem blauen Auge davon. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis er sich das nächste Mal in einer ähnlichen Situation wiederfinden würde, und das war ihm bewusst.
Er hatte sich wieder beruhigt und warf einen Blick durch den Innenspiegel auf Lena. Sie schaute grimmig aus dem Fenster und schüttelte den Kopf.
“Es ist immer dasselbe mit dir”, entfuhr es ihr.
“Du hast Recht, es tut mir Leid”, antwortete er bedauernd, “ich werde mich beherrschen.”
“Ja, das sagst du nicht zum ersten Mal. Wie oft muss es noch passieren, bis du es endlich begreifst? Wir könnten hier beide dabei umkommen”, seufzte sie. Er nickte und konzentrierte sich auf den weiteren Strassenverlauf. Inzwischen waren sie im Nachbarort. Von seinem Wohnort her gab es zwei verschiedene Wege um zum Hauptbahnhof zu gelangen. Die eine führte über die Nebenstrasse durch zwei weitere Vororte und die andere führte über die Autobahn. Doch diese war tagsüber meist von Stau geprägt, darum entschied er sich für die Nebenstrasse.
Der Gedanke an die Schusswaffe kam ihm wieder in den Sinn. Bisher hatte er sich kaum für Schusswaffen interessiert. Ganz im Gegenteil zu Lenas Vater, für den er jeweils die Zollformulare für Ersatzteile seiner Jagdgewehre ausfüllen musste, die er sich regelmässig im Internet bestellte. Doch ein Jagdgewehr wäre ihm zu unhandlich gewesen, auch wenn das Schrot sicher effektiver gegen seine Auftragskiller gewirkt hätte. Er brauchte ein kleineres Kaliber. Eine Beretta oder eine Heckler und Koch. Er kannte sich bei den Marken nicht aus, doch er hatte eine gewisse Vorstellung. Es musste etwas sein, das er in der Hosentasche verstauen konnte und bei drohender Gefahr sofort einsatzbereit wäre.
Inzwischen hatte er einen weiteren Vorort des Stadtzentrums verlassen und das Autobahnende zur Innenstadt erreicht. Er musste die Autobahneinfahrt nehmen, um auf dieser weiter zu fahren. Der Hauptbahnhof war nicht mehr weit entfernt. Der Verkehr auf der Autobahn staute sich bereits. Schuld war ein Lichtsignal weiter vorne, das gefühlte fünf Sekunden auf grün stand, bevor es wieder für zwei Minuten auf rot umschaltete.
Obwohl er seit knapp zehn Jahren in Zürich lebte kannte er sich in der Innenstadt kaum aus. Einige Plätze oder Sehenswürdigkeiten waren ihm ein Begriff, doch wenn er nach einer Wegbeschreibung gefragt wurde hatte er nicht den Hauch einer Ahnung. Er kannte gerade mal die Bahnhofstrasse mit seinen masslos überteuerten Kleidergeschäften und Restaurants, den Paradeplatz mit seinen edlen Boutiquen, Banken und Fünf-Sterne-Hotels oder die Umgebung der Seepromenade, an welcher man im Sommer gemütlich entlang schlendern konnte. Doch jeder zweite Tourist kannte diese Plätze ebenfalls. Bei Schusswaffen kam ihm die Langstrasse in den Sinn. Es war die Drogen-, Sex- und Ausgangsmeile Zürichs. Alles was es dort zu Erwerben gab bewegte sich an der Grenze zur Illegalität oder bereits darüber. In der Nacht war die Langstrasse ein einmaliges Erlebnis. Vom Randständigen bis zum Bonzen in Anzug und Krawatte war alles vertreten. Zwielichtige Typen in Kapuzenpullovern und weiten Jeans versuchten an einer Hausecke eine Tüte Gras, Kokain oder Heroin unter die Passanten zu mischen. Ein paar leichte Mädchen in Miniröcken, Netzstrümpfen und High Heels stöckelten dem Bordstein entlang, auf der Suche nach einem zahlungswilligen Kunden und aus den Bars und Clubs dröhnte laute Musik. Alles leuchtete und blinkte in knalligen Neonfarben. Nicht selten kam es zu üblen Szenen mit der Polizei. Mit den Drogen kam auch die Gewalt und mit der Gewalt folgten die Verletzten und Toten. Es war jedes Wochenende dasselbe Drama. Die Langstrasse