Die Tochter, die vom Himmel fiel. Jürgen Heller

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Die Tochter, die vom Himmel fiel - Jürgen Heller

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Hauseingang. Die schwere Holztür hat in der Mitte einen Türklopfer aus Messing, eine Klingel gibt es nicht, kein elektrischer Strom im ganzen Haus, ist ja auch nur eine Jagdhütte. Die beiden Frauen nehmen wahr, wie drinnen jemand Musik leiser dreht. Doch Strom? Vielleicht ein batteriebetriebenes Radio. Ein Mann öffnet die Tür und augenblicklich huscht ein Lächeln über sein feistes Gesicht.

      "Oh, je später der Abend…, waren wir verabredet? Und dann noch gleich alle beide. Na, ihr habt euch ja was vorgenommen."

      Er lässt die beiden Frauen eintreten und schließt dann die Tür.

      "Ich habe mir gerade einen Rotwein aufgemacht. Wollt ihr ein Glas?"

      Der Mann geht hinaus in die Küche und die beiden Frauen können hören, wie er offenbar mit Gläsern herumhantiert. Dann betritt er wieder den großen Wohnraum.

      "Legt doch ab. Oder soll ich euch ausziehen? Hahaha. Hat doch noch ein wenig Zeit. Lasst uns erst mal einen Schluck nehmen, kommen wir besser in Stimmung. Das ist ja nett von euch, dass ihr gleich beide gekommen seid. Die Idee könnte von mir sein. Wird bestimmt ein schöner Abend."

      Die Fahrerin behält ihre Lederjacke an. Die andere Frau hat ihren Mantel ausgezogen und über die Lehne eines zweisitzigen Sofas geworfen. Dann greift sie nach einem der gefüllten Gläser und nimmt auf dem Sofa Platz. Dabei rutscht ihr Rocksaum unanständig weit nach oben. Sie achtet nicht darauf, hat schon unzählige Male so dagesessen und verächtlich beobachtet, wie irgendeinem Kerl fast die Augen rausgefallen sind. Also lange schlanke Beine muss man ja auch nicht unbedingt verstecken, im Gegenteil, die erzielen noch mehr Wirkung, wenn man sie übereinanderschlägt.

      "Willst du denn nichts trinken? Hast ja auch noch deine Jacke an. Sag jetzt nicht, dass dir kalt ist. Guck mal deine Freundin an. Die hat es sich schon gemütlich gemacht."

      Der Mann gafft auf die anregenden Oberschenkel und will sich auf das Sofa quetschen. Bei seinem Umfang kein leichtes Spiel.

      "Stopp! Wir sind nicht gekommen, um deine Geilheit zu befriedigen."

      Die Frau in der Lederjacke hat sich zu dem Mann herumgedreht und hält jetzt eine schwarze Pistole in der Hand.

      "Ach so, ihr seid nicht hier, um Geld zu verdienen, sondern zu klauen. Darf ich fragen, was das werden soll?"

      Der Mann hat sich erhoben und sein Weinglas wieder auf den Tisch gestellt. Er will einen Schritt auf die Frau mit der Waffe zugehen.

      "Stopp, bleib ja stehen, sonst knall ich dir die Eier weg!"

      "Ist ja gut, ganz ruhig bleiben. Wir werden uns schon einig werden. Was wollt Ihr, Geld?"

      "Geld, und zwar alles, was du da hast. Wir wissen ja, wo dein Safe ist und wir wissen auch, dass der voller Kohle ist. Also los, und keine Zicken!"

      Der Mann überlegt kurz, zögert, aber dann hebt er beide Hände halbhoch, um seine Folgsamkeit zu demonstrieren. Im Moment fällt ihm nichts Besseres ein. Schließlich macht die Frau in der Lederjacke auch einen recht entschlossenen Eindruck. Er weiß auch aus seiner Erfahrung als Arzt, dass diese Frau unter absoluter Anspannung steht. Da kann schnell mal ein Schuss losgehen.

      "Okay, du weißt ja, wir müssen dann ins Schlafzimmer."

      "Ja, ich weiß. Du gehst vor. Und ich sag dir, eine falsche Bewegung …"

      "Nein, keine Angst, ich gebe euch das Geld. Ich wäre ja blöd, dafür mein Leben zu riskieren. So viel ist es ja nun auch nicht."

      "Für dich nicht, für uns schon. So, nun mach aber auch."

      Der Mann öffnet die Tür zum Schlafzimmer, auch hier steht eine Petroleumlampe auf dem Fensterbrett und taucht den Raum in ein gemütliches Licht. Der Mann schaut immer wieder auf die Frau mit der Pistole, bloß kein Risiko eingehen. Dann kniet er sich auf das breite Bett und nimmt ein äußerst geschmackloses Bild mit Bergmotiven von der Wand, die einzige im ganzen Haus, die gemauert ist. Der kleine Tresor hat ein Tastenschloss.

      "Halt! Du Dreckskerl hast doch bestimmt eine Waffe in deinem Safe. Komm da weg! Wie heißt der Nummerncode?"

      Sofort zuckt der Mann wieder zusammen und hebt fast demütig die Hände.

      "Du bist ja ganz schlau, hätte ich dir gar nicht zugetraut. Aber du kannst beruhigt sein, da ist keine Waffe drin."

      "Den Nummerncode!!!"

      Die Frau gibt die vier Zahlen und einen Buchstaben ein und kann gerade noch sehen, dass eine grüne Leuchtdiode die erfolgreiche Öffnung des Safes anzeigt. Was sie in dem Augenblick nicht sehen kann, ist der blitzschnelle Griff des Mannes zwischen Matratze und Bettkante. Was soll er auch mit einer Waffe im Safe, wenn Gefahr droht? Die Wucht des Schusses und der ohrenbetäubende Knall gestalten eine schauderhafte Szene. Die schöne weiß gestrichene Wand ist über und über mit Blut bespritzt. Die Frau liegt mit der zerfetzten Lederjacke auf dem Bett, hat die rechte Hand mit der Waffe unter sich begraben und bewegt sich keinen Millimeter mehr. Der Mann beugt sich kurz über sie und erkennt nach einem routinierten Griff an den Hals, dass er ganze Arbeit geleistet hat. Diese blöden Nutten, doch nicht mit ihm. Da müssten sie schon früher aufstehen. Ist auch schon aufgestanden, die Frau mit dem sündig kurzen Rock. Das zweite Mal an diesem Abend, dass er in die Mündung einer Pistole schaut. Wieso hat er die andere Frau denn für einen kurzen Moment vergessen? Weil sie so unschuldig auf dem Sofa gesessen hat? Ist doch klar, die sind doch nicht umsonst zu zweit gekommen. Das kann er gerade noch denken, dann denkt er nichts mehr, nie wieder. Er kann nicht mal den Knall zu Ende hören, fällt wie ein Baum.

      Die Frau ist jetzt nicht mehr sie selbst, mehr so fremdgesteuert. Sie weiß, dass sie schnellstens hier weg muss, dass es aber erst noch etwas zu erledigen gibt. Da sie zum ersten Mal in ihrem Leben auf jemanden geschossen hat, hat sie auch keine Routine, wie man sich in so einer Situation verhält. Wer hat die schon? So war der Auftritt auch nicht vorgesehen. Sie versucht sich zu konzentrieren, denkt nach, dann geht sie erst einmal hinüber zum Sofa, um den Rest Rotwein in ihrem Glas auszutrinken. Also benebelte Sinne wären jetzt nicht sehr hilfreich aber ein wenig Beruhigung schon. Nach zwei, drei Minuten hat sie einen Plan, ist jetzt auch in der Lage sich zu überwinden. Sie geht wieder hinüber in das Schlafzimmer und durchsucht die Jackentaschen ihrer eben noch ganz lebendig agierenden Freundin, wobei Freundin? In so einer Situation gibt es keine Freundin, mehr so Komplizin, egal. Sie nimmt alles an sich was sie findet, Papiere, Portmonee, Autoschlüssel. Man muss die Spuren beseitigen, hat sie schon oft genug in Romanen gelesen oder im Film gesehen. Ihr Blick fällt auf den offenen Safe. Das war doch der eigentliche Grund, weshalb sie hierhergekommen sind. Sie steigt auf das Bett und muss die Tote ein Stück zur Seite ziehen, um besser an das Geld zu kommen. Es sind einige Stapel mit grünen und braunen Scheinen. In ihrer angespannten Situation ist sie außerstande zu schätzen, wieviel es sein könnte. Hat es sich gelohnt, dafür Menschen umzubringen? Egal, für sie würde es eine Weile reichen. So viel Geld hat sie noch nie auf einen Haufen gesehen, geschweige denn in der Hand gehalten. Sie geht hinüber in die offene Küche und öffnet hastig alle Schubladen. Endlich findet sie eine Plastiktüte. Wieder zurück in dem Schlafzimmer wirft sie alle Geldbündel in die knallrote M-Preis-Tüte. Dann zieht sie ihren Mantel über und überlegt kurz, was sie mit den Waffen tun soll. Sollte sie wirklich alle drei Pistolen an sich nehmen? Aber wohin damit? Und wenn sie in eine Verkehrskontrolle kommt? Es gibt doch diese Gesetze von diesem Murphy oder wie der heißt, wonach alles schiefgeht, was schiefgehen kann. Und außerdem die Leichen. Ist es nicht nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei auf ihre Spur kommt? Wenn sie dann auch noch die Waffen bei ihr finden …, nein, auf keinen Fall. Sie eilt hinaus und versteckt als

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