Die Tochter, die vom Himmel fiel. Jürgen Heller
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Tochter, die vom Himmel fiel - Jürgen Heller страница 5
Bruno geht schräg über die Straße zum Supermarkt Ünal. Naja, Supermarkt, sagt man halt so. Eigentlich ist es ein ziemlich kleiner, aber sehr gut sortierter und besonders exklusiver Markt, zumindest was Brunos Geschmack betrifft. Er geht jedenfalls sehr gerne zu Ünal einkaufen. Früher war das nur so eine Art Kiosk, aber seit Ünal den Laden von seinen Eltern übernommen hat, hat er ihn mehr und mehr erweitert. Jetzt setzt sich seine Kundschaft nicht wie am Anfang nur aus türkischen Landsleuten zusammen. Jetzt kaufen hier alle, von der Arztgattin bis zum urdeutschen Rentner, sieht man ja an Bruno. Er schätzt Ünal auch deshalb, weil der sich mit seinen Kunden sehr intensiv beschäftigt und immer versucht, deren Wünsche zu erfüllen. Deshalb wird bei ihm auch kaum etwas weggeworfen, wie bei den Supermarktketten, deren Müllcontainer jeden Abend schier überlaufen. Für Bruno ist klar, das hat er bei seinen Einsätzen als Unternehmensberater in der Industrie unzählige Male erlebt, falsch disponiert ist weggeworfenes Geld, im Falle von Lebensmitteln besonders tragisch. Aber irgendwie müssen die Händler ja wohl zu viel von der falschen Ware eingekauft haben. Das ist eben der Unterschied zu Ünal. Der kauft die Ware ein, die seine Kunden von ihm haben wollen. Kleiner Nachteil, es kann schon mal vorkommen, dass gewisse Dinge nicht oder nicht sofort zu haben sind. Und ein Schälchen frische Erdbeeren im Januar für zwölf Euro braucht eigentlich kein Mensch. Bruno hat nicht nur einmal erlebt, dass allein wegen dem irrwitzigen Preis, den sich keiner leisten kann oder will, die teuren roten Beeren letztlich im Müll landen. Dafür sind sie dann auch noch um die halbe Welt geflogen worden. Andererseits ist er aber ganz sicher, dass dieser Fall in der Kalkulation schon berücksichtigt wurde, das bezahlt jeder Kunde bei seinen anderen Einkäufen mit. Bruno packt nur die Dinge in den Einkaufswagen, die er gerne mag. Er weiß ja nicht, wer eventuell morgen zu Besuch kommt, hat ja keinen eingeladen. Aber zum Geburtstag lädt man ja nicht ein – oder? Als er vor dem Weinregal steht, tippt ihm jemand auf die Schulter.
"Na, Herr Hallstein, brauchst du Beratung?"
"Ach, Ünal, du bist es. Beratung? Naja, wenn du so fragst. Hast du im Weinsortiment etwas Besonders? Ich brauche was Gutes für einen Geburtstag."
Ünal geht zu einer verschlossenen Vitrine und öffnet die Tür mit einem kleinen Schlüssel, den er aus der Hosentasche gezaubert hat.
"Wie wär's denn mit einem Tignanello? Das wär doch ein sehr schönes Geschenk. Da gibt es auch noch so eine Holzkiste dazu."
"Geschenk? Nein, da habe ich mich falsch ausgedrückt. Ich brauche was zum Anbieten, verstehst du? Da sind mir siebzig Euro pro Flasche ein bisschen viel."
"Ach so, dann hast du Geburtstag. Ich dachte, du suchst ein Geschenk. Schau mal da um die Ecke. Da steht das Angebot der Woche, ein sehr schöner spritziger Riesling von der Mosel. Ist doch gerade bei dem Wetter passend, wenn er gut gekühlt ist. Den kannst du auch gut gespritzt trinken."
Bruno geht zu dem Stapel mit den weißen Pappkartons und studiert das Etikett. Koblenz-Güls an der Mosel, Gülser Königsfels, kennt er sogar, da war er schon auf einem Weinfest. Er packt einen Sechserkarton zu den anderen Sachen in seinen Wagen und marschiert dann zur Kasse. Ünals Schwester sitzt dort und lächelt ihn freundlich an, ganz wie es ihr Name verspricht.
"Hallo, Güler, kann ich den Wein hier noch stehen lassen? Bin ja zu Fuß hier, ich hole ihn nachher ab. Ich bezahle ihn aber gleich mit."
"Klar, stellen Sie ihn dort an die Seite. Wir können den Wein auch anliefern. Wir haben seit letzter Woche einen Praktikanten, dem sage ich Bescheid."
"Na, das wäre ja Spitze! Vielen Dank."
Bruno stopft seine Einkäufe in seinen mitgebrachten Kultbeutel aus DEDERON, den er vor Jahren von seiner Schwester geschenkt bekam, eigentlich mehr so als Gag, den er aber seitdem nicht missen will, und den er immer dabei hat, wenn er einkaufen geht. Sein Beutel ist noch ein Original DDR-Produkt, braun beiges Karomuster, und keiner von den inzwischen neu geschöpften Exemplaren, die allerdings mit ihrem poppigen Design auch ein großer Verkaufserfolg sind. War sozusagen doch nicht alles schlecht …
Bruno hat seine Wohnung erreicht, diesmal ohne Frau-Krause-Intermezzo. Allerdings stellt er fest, dass die zwei Stockwerke immer mehr zur Belastungsprobe für seine Kondition werden. Muss wohl auch am Wetter liegen.
Naja, in Ausreden war ich ja noch nie verlegen. Müsste unbedingt mal was für meine körperliche Verfassung tun. Ab morgen werde ich jeden Tag mindestens eine Stunde spazieren gehen, am besten noch vor dem Frühstück, dann habe ich die Wampe nicht so voll. Vielleicht sollte ich mir auch mal diese Nordic-Walking-Stöcke besorgen und dann mit einem kernigen Klickklack die Straßen entlangfegen. Gute Idee, dann kaufe ich mir gleich noch die passende figurbetonte Sportkleidung dazu, am besten in neongelb, und beglücke die Tegeler Bürger mit meinem Anblick. Bei meiner Figur wäre wahrscheinlich neonbraun angebrachter.
Bruno packt seine Sachen aus und verstaut sie im Kühlschrank. Er hat den DDR-Beutel gerade wieder kunstvoll zusammengerollt und an seinen Stammplatz im Flur gelegt, da klopft jemand an die Wohnungstür. Bruno öffnet etwas verwundert und erkennt aber sogleich, warum der Besucher nicht die Klingel benutzt hat. Vor ihm steht ein junger Bursche, vielleicht vierzehn oder fünfzehn, der mit beiden Händen einen weißen Pappkarton und oben drauf eine kleinere Holzkiste balanciert.
"Das soll ich hier abgeben und schönen Gruß von Ünal."
Bruno nimmt erst mal die Holzkiste von dem Weinkarton herunter und bittet den Jungen dann hereinzukommen.
"Stell den Karton einfach da auf den Küchentisch. Vielen Dank für 's Hochtragen. Warte mal, ich habe noch was für dich."
Bruno kramt aus seinem Portmonee einen Fünfeuroschein und drückt ihn dem Jungen in die Hand. Augenblicklich erstrahlt ein freudiges Lächeln und zeigt blendend weiße Zähne. Er stammelt ein Dankeschön und hört wahrscheinlich gar nicht mehr richtig zu.
"Sag dem Ünal herzlichen Dank von mir. Ich habe mich sehr gefreut."
Bruno kann hören, wie der Junge die Treppenstufen hinunterspringt, immer zwei auf einmal. Dann schließt er die Wohnungstür und bekommt nicht mehr mit, wie eine keifende Frau Krause einen gutgelaunten Jungen zur Sau macht. Der Junge wehrt sich, indem er ohne sich umzudrehen blitzschnell das Haus verlässt, sozusagen Deeskalationsstrategie. Frau Krause empfindet das anhaltende Lächeln dieses ungehobelten minderjährigen Störenfrieds als Provokation ihrer Autorität und steckt damit schon die zweite Niederlage an diesem Tag ein. Dabei ist es gerade mal Mittag.
Bruno ahnt zwar, was in der Holzkiste steckt, muss aber doch nachschauen, sicherheitshalber. Er ist übervorsichtig, wäre ja ein Jammer, wenn die Flasche Tignanello zu Bruch ginge. Einen so teuren Wein hat er noch nie besessen, geschweige denn getrunken. Sofort grübelt er über zwei Dinge nach. Wo bewahrt man eine solch wertvolle Flasche Wein am besten auf und zu welchem Anlass öffnet man diese?
Auf beide Fragen fallen ihm spontan keine Antworten ein und so legt er die Flasche zunächst einmal wieder in die mit Holzwolle gepolsterte Kiste zurück. Die landet dann in einer der unteren Schubladen seines Wohnzimmerschranks.
So, da liegst du erst mal sicher. Vielleicht ist das der Beginn einer wunderbaren Sammelleidenschaft für hochwertige Rotweine. Dann müsste ich mir ein Weinregal zulegen, oder noch besser, einen temperierten Weinschrank. Weiß nur nicht wann und mit welchen Mitteln ich diese Sammlung erweitern soll. Ich sage allen Bescheid, falls sie mir mal was schenken wollen…
Bruno checkt nochmal kurz die Versorgungslage