Die Tochter, die vom Himmel fiel. Jürgen Heller
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Tochter, die vom Himmel fiel - Jürgen Heller страница 6
Nach seiner kulinarischen Unterbrechung fühlt er sich pudelwohl, merkt förmlich, wie die Stimmung steigt, auch getragen durch die Vorfreude auf den gemeinsamen Abend mit Karla, natürlich auch auf das Essen bei Harry. Da muss er überhaupt noch einen Tisch bestellen, sicher ist sicher. Sein Freund Harry ist unterwegs aber Sylvia Schön, Harrys Partnerin, ist am Apparat und nimmt die Tischreservierung an.
"Ihr könnt doch am Stammtisch sitzen, dann kommt Harry sicher dazu und je nach Betrieb könnte ich mich vielleicht auch ab und an dazusetzen. Oder wollt ihr alleine sein?"
"Wie? Nein, wie kommst du denn darauf? Ich wollte mit der Reservierung nur auf Nummer Sicher gehen, bei meinem Glück wäre der Laden heute Abend brechend voll, einschließlich Stammtisch."
"Ach was, wir wissen doch, dass du kommst, hast du doch neulich schon gesagt …"
Bruno stellt das Telefon gar nicht erst in die Ladestation, sondern ruft direkt Karla an.
"Hallo, ich bin es. Ich wollte dich nur fragen, ob ich dich nachher abholen soll. Dann brauchst du nicht selber fahren. Vielleicht trinken wir ja heute Abend das eine oder andere Glas."
"Warum? Dein Geburtstag ist doch erst morgen."
"Naja, vielleicht wird es ja sehr gemütlich und wir feiern rein und außerdem könntest du ja bei mir …"
"Bei dir übernachten? Hast du sie noch alle?"
"Ich habe schließlich auch ein Gästezimmer, falls du nicht mit mir …"
"Na Gott sei Dank, und ich habe schon gedacht, du würdest mit mir ins Bett gehen wollen. Schließlich sind wir erst seit zwei Jahren verlobt, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, und wir sind ja noch soo jung und haben noch alle Zeit der Welt. Meine Mutter hat immer gesagt, ich solle nichts überstürzen, gerade mit Männern nicht. Aber eigentlich ist sie schon lange tot und würde es ja nicht sehen, hmm …"
Karla scheint ja gut drauf zu sein, immer, wenn sie ihn derartig verkohlt. Sie weiß ganz genau, es gibt da so Knöpfe bei Bruno, wenn man daran dreht, kann es ganz schnell passieren, dass er die Fassung verliert. Das macht sie allzu gerne und Bruno, sonst nicht gerade auf den Mund gefallen, kann meist nicht kontern. Aber so geht es Männern, die immer und überall anständig und korrekt sein wollen, gerade auch im Umgang mit Frauen. Brunos Stimmung hat einen kleinen Dämpfer erhalten, was jetzt aber nicht so direkt die Schuld von Karlas Verarsche ist. Vielmehr ist es sein Unvermögen, seine wahren Gedanken zu kommunizieren, also wenn es um solche Themen geht. Wenn Bruno mit einer Frau zusammen ist, hat die schon die ersten drei Runden gewonnen, nur weil sie Frau ist, und Bruno hat auch schon oft genug durch KO verloren, keine Frage. Jetzt geht er doch noch einmal in sein Schlafzimmer und kontrolliert den Zustand etwas genauer. Prompt entdeckt er noch einige Staubfäden an der Decke über den Heizkörpern und an der Lampe, also noch einmal die Höllenmaschine anwerfen und den saugenden Rüssel an die entsprechenden Stellen halten, frische Bettwäsche kommt auch zum Einsatz. Dann stellt er das Fenster auf Kipp, frische Luft, und schließt die Zimmertür.
So, jetzt ist aber wirklich alles erledigt. Im Prinzip könnten jetzt alle kommen. Irgendwie bin ich doch etwas aufgeregt, und das in meinem Alter. Aber wie heißt es so schön? Mit sechsundsechzig Jahren, da fängt das Leben an … Na, da bin ich aber mal gespannt.
Bruno wirft einen Blick in den Kühlschrank und nimmt die angefangene Weißweinflasche heraus. Gerade noch ein Glas drin. Dann macht er es sich auf seinem Lieblingssessel bequem und blättert zum x-ten Male in dem Fotokatalog herum, der seit mindestens drei Wochen auf dem Tisch liegt. Immer wieder bleibt er an der gleichen Kamera hängen, dabei kennt er die Technischen Daten und den Funktionsumfang inzwischen in- und auswendig.
Bruno muss eingenickt sein, jedenfalls haben sich die Zeiger auf der Uhr fleißig gedreht, quasi Zeitraffer. Bruno geht in die Küche und startet die Kaffeemaschine, ein doppelter Espresso ist jetzt genau das Richtige. Dann geht er ins Bad, um sich etwas frisch zu machen und wie geplant kommt der Rasierer zu seinem Einsatz. Zum Schluss noch eine ordentliche Portion Aftershave, sozusagen Superfinish. Er muss ja nachher seine Karla begrüßen und Sylvia natürlich auch. Bruno fühlt sich prächtig. Er geht den Weg zur 'Alten Mühle' zu Fuß, das macht er eigentlich immer. Meistens geht er immer die gleichen alten Straßen entlang, die er schon seit seiner Kindheit kennt, Brunowstraße, die Berliner Straße überqueren, dann rechts rein in die Treskowstraße, wo sich seine alte Franz-Marc-Schule in den Ferien langweilt, dann Schulstraße, rechts ab Medebacher Weg bis Alt-Tegel und dann nach links runter zum Tegeler See. Kurz vor der Wilkestraße hat er dann die 'Alte Mühle' erreicht. Karla steht schon vor der Tür, wartet wohl auf ihn. Sie trägt ein ärmelloses knallrotes Kleid, das zu ihrem sommerbraunen Körper einen sehenswerten Kontrast herstellt, sozusagen Hingucker. Über die Schulter hat sie eine dünne weiße Strickjacke gelegt. Das dunkelblonde Haar hat sie lose zu einem offenen Zopf zusammengebunden. Hellrote Lippen lächeln Bruno an und der fühlt sich eingeladen zu einer zärtlichen Umarmung und dem schon insgeheim geplanten Kuss.
"Na du gehst ja ran, da bleibt mir ja der Atem weg."
"Grüß dich, Karla, du siehst fantastisch aus. Ist das Kleid neu? Wie bist du da reingekommen?"
"Spinner, das habe ich bestimmt schon zwei Jahre und du hast es mindestens schon drei, vier Mal an mir bewundern dürfen. Da kommt man übrigens ganz leicht rein, Reißverschluss, you know?"
Ich weiß, Reißverschluss, da kommt man dann auch ganz leicht wieder raus …
"Hast du schon lange gewartet?"
"Nein, ich wäre auch schon reingegangen aber ich habe dich kommen sehen und bin deshalb noch stehen geblieben. Du riechst gut, neues Rasierwasser?"
"Ach was, das benutze ich schon länger als du dein rotes Kleid besitzt. Aber ich rasiere mich ja nicht jeden Tag. Wo sind denn meine Geschenke? Hast du die noch im Auto?"
Karla zieht in unnachahmlicher Weise die rechte Augenbraue hoch, diese Antwort muss reichen, das kennt Bruno schon. Dann betreten sie das Restaurant oder die Kneipe, ganz wie man will. Sylvia mit ihrer langen weinroten Bistro-Schürze kommt direkt auf die Beiden zu. Auch bei ihr verfehlt Brunos Duftwolke ihre Wirkung nicht. Das gibt ihm die Gelegenheit, ausgiebig zu testen, welche der beiden Frauen sich besser anfühlt, schwer zu entscheiden.
"Schön, euch mal beide zusammen bei uns zu sehen, kommt ja leider nicht allzu oft vor."
"Na komm, wir waren doch schon so oft zusammen hier."
Karla bekommt einen leichten Reizhusten, muss an der warmen Luft liegen oder an Brunos Wahrheitsliebe. Am Stammtisch hat es sich Harry schon bequem gemacht. Er liest in einem Taschenbuch, das er aber gleich zur Seite legt, als er Karla und Bruno kommen sieht. Er steht auf und kommt hinter dem Tisch hervor, nur so kann er Karla angemessen begrüßen. Er geniert sich auch nicht, obwohl Bruno etwas sparsam aus der Wäsche guckt, aber jetzt sind sie wenigstens quitt. Die Begrüßung der Männer fällt etwas weniger intim aus, mehr so kernig cooles Zusammenklatschen der Hände, wie es normalerweise Siebzehnjährige