Die Tochter, die vom Himmel fiel. Jürgen Heller
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Читать онлайн книгу Die Tochter, die vom Himmel fiel - Jürgen Heller страница 8
"Scheiße, hab ich mich erschrocken! Was machen Sie denn da? Wollen Sie zu Möllers oder wollen Sie hier übernachten?"
Brunos Lautstärke soll wohl ein wenig seinen Schrecken überspielen. Auf der Etage wohnen nur er und ein älteres Ehepaar, das aber die Hälfte des Jahres bei seinen Kindern in Spanien verbringt. Karla ist auch der Schreck in die Glieder gefahren und sie hat schon ihr Handy in der Hand.
"Soll ich die Polizei anrufen? Guck dir mal an, wie die aussieht."
"Moment, darf ich auch mal was sagen?"
Die Frau kommt geschmeidig auf die Beine und jetzt kann man sehen, dass sie noch recht jung ist, Bruno schätzt sie auf dreißig, vielleicht etwas darüber. Sie trägt Jeans und ein buntes T-Shirt. Ihre lockigen blonden Haare hat sie mit einem schwarzen Tuch gebändigt, das sie wie eine Indianerin um die Stirn gebunden hat. Sie ist ungeschminkt und auch nicht besonders hübsch, hat aber etwas, das Bruno sofort fasziniert, besonders ihre hellblauen Augen. Diesen hypnotischen Blick muss man erst mal aushalten können, nicht ganz easy.
"Mein Name ist Konny Kramer. Ich weiß, ziemlich blöder Name aber meine Mutter mochte wohl diesen Schlager damals, und da Kramer nun mal vorgegeben war, hat sie Konny als Vornamen gewählt, aber Konny mit K. Ich bin ja auch kein Junge, wie der Conny, der in dem Lied verstorben war."
"Es ist auch kein Schlager und hat im Original nichts mit einem Drogentoten zu tun, sondern ist ein Song über den amerikanischen Bürgerkrieg."
"Ach was weiß ich, ist mir auch egal. Sag mal, können wir nicht reingehen. Ich muss dir was zeigen."
Das kann er ja gerade so leiden, diese plump vertrauliche Art von Menschen, die man gar nicht kennt. Bruno sucht den Blickkontakt zu Karla. Die signalisiert etwas zwischen Bist-du-bekloppt-? und Besser-als-hier-draußen-stehen.
"Also gut, zehn Minuten, dann zischen Sie wieder ab."
Bruno macht keine Anstalten, der fremden Frau einen Platz anzubieten. Die hat ihren 40-Liter Rucksack auf einen Sessel gewuchtet und fängt an, in den diversen Reisverschlusstaschen herumzukramen. Bruno beobachtet sie dabei und stellt fest, dass man für ihre Figur diese engen Jeans erfinden müsste, wenn es sie nicht schon gäbe. Konny Kramer legt einen großen gelben Briefumschlag auf den Tisch, nebst einer Zigarettenschachtel und einem Feuerzeug.
"Hier drinnen wird nicht geraucht. Und kommen Sie endlich zur Sache. Von den zehn Minuten sind drei schon rum."
Die hellblauen Wasseraugen schauen Bruno böse an. Sie greift nach dem Briefumschlag und reicht ihn zu ihm hinüber.
"Da, Papa, da steht alles drin. Regina Kramer, klingelt 's?"
Bruno ist kurz versucht, sich einen vierfachen Cognac einzuschenken. Aber er bemüht sich, die Fassung zu bewahren. Regina Kramer, wer soll das sein? Er zieht einige Papiere aus dem Umschlag und blättert darin herum. Geburtsurkunde, 13.04.1979, Konny Kramer, Mutter Regina Kramer, Vater nicht angegeben, Bezirksamt Wilmersdorf …
"Regina Kramer? Es stimmt, ich kannte mal eine Regina Kramer, aber das war nur ganz kurz, keine feste Beziehung, keine große Liebe, da kann ja jeder kommen. Was soll das? Ich habe doch keine Tochter, da hätte sich Regina doch bei mir gemeldet oder nicht?"
Karla hat sich inzwischen gesetzt. Die rechte Augenbraue ist auch wieder erwacht.
"Guck dir alles an, da ist noch mehr."
Bruno betrachtet ein paar alte Fotos, klarer Fall, das ist er. Das ist auch Regina. Deren Existenz hat er völlig vergessen. Die hatte er überhaupt nicht mehr auf dem Zettel. Aber so sah sie aus, blonde Locken, sportliche Figur, also Mutter und Tochter, das geht in Ordnung.
Aber ich der Vater? Und warum hat sie mich nicht als Vater angegeben? Vielleicht wären wir ja zusammengeblieben, hätten vielleicht sogar geheiratet, eine richtige Familie. Was ist das denn da noch? Ein alter Brief …
"Lies vor."
Dresden, den 25. Mai 2004
Liebe Konny,
ich weiß, dass du nicht gut auf mich zu sprechen bist und ich habe es auch inzwischen akzeptiert, dass du einen eigenen Weg ohne mich finden willst. Da aber durch deine Abwendung die Gefahr besteht, dass wir uns nie mehr sehen und miteinander sprechen werden, möchte ich dir wenigstens eine der vielen offenen Fragen beantworten, die unsere Beziehung über die ganzen Jahre belastet haben, die Frage nach deinem Vater. Es stimmt nicht, dass ich es nicht mit Sicherheit sagen könnte, wer denn dein Erzeuger war. Das war eine Lüge, eine Notlüge. Wahr ist, ich weiß es ganz genau. Ich habe ihn aber nach unserer (einzigen!) gemeinsamen Nacht aus meinem Leben ausgeblendet. Es war auch keine Liebe, nur Sex. Ich habe ihn nicht geliebt und er mich wahrscheinlich auch nicht. Wochen später erhielt ich die Bestätigung, dass ich schwanger bin, aber da waren wir schon nicht mehr zusammen. Ich habe damals lange überlegt, ob ich das Kind, also dich, überhaupt austrage. Aber erstens war es in der damaligen Zeit nicht so ganz einfach abzutreiben, und zweitens spürte ich in mir eine gewisse Freude. Das war ja genau das, was ich immer wollte, ein Kind. Von wem, war mir in dem Moment eigentlich egal. Ich würde schon allein zurechtkommen, allein mit meinem Kind. Was ich nicht beachtet habe, war deine Persönlichkeit. Ich war egoistisch und wollte nicht, dass du deinen Vater kennenlernst. Ich wollte dich nicht mit jemand teilen, wollte dich ganz allein besitzen. Deshalb die Lüge, deshalb die Ausrede, ich hätte zu der Zeit mehrere Beziehungen zu Männern gehabt und wüsste nicht, wer es hätte sein können. Bitte entschuldige, ich liebe dich und wünsche mir nichts mehr, als dass du mir verzeihen kannst. Dein Vater heißt Bruno Hallstein und lebt in Berlin, wahrscheinlich in Tegel. Genaueres weiß ich nicht, außer dass er Maschinenbau studiert hat und gerade dabei war, sich selbstständig zu machen. Ich glaube, er ist Ende der 1940er Jahre geboren. Er war jedenfalls ungefähr zehn Jahre älter als ich. Anbei findest du die einzigen Fotos von ihm, die ich noch habe. Wenn du ihn gefunden hast, sei behutsam, er weiß ja nichts von dir.
In Liebe,
Deine Mama
Bruno lässt die Arme sinken und sucht den Blickkontakt zu Karla, sucht Hilfe, Unterstützung, dafür sind sie doch verlobt. Karla schaut aber unverwandt zu der fremden Frau, die soeben als bisher nicht existierende Tochter Bruno Hallsteins vom Himmel gefallen ist. Paff!
"Und was ist nun? Was willst du von mir? Warum bist du hergekommen? Ich kenne dich nicht. Kann doch nicht sein, dass ich auf einmal so ratzfatz eine Vaterrolle spielen soll. Ich kann das nicht, jedenfalls nicht so schnell."
"Musst