Herr Gars soll heiraten. Eva-Maria Landwehr
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Eigentlich war die Angelegenheit unzweideutig und klar. Aufgrund eines kaiserlichen Privilegs von 1546 war sie, Anna, als Tochter der ältesten Schwester des Herzogs vorrangig erbberechtigt. In seltener Eintracht hatten ihr Mann, Johann Sigismund von Brandenburg, und ihr Onkel Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg ihre Bevollmächtigten an den Rhein geschickt, deren Präsenz jeden Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer Erbabsichten zerstreuen sollte. Kaiser Rudolf war verständlicherweise mit diesem eigenmächtigen Vorgehen ganz und gar nicht einverstanden gewesen. Und tatsächlich war wenig später schon sein Kommissar vor den Toren Jülichs gestanden, um vorerst das Regiment zu übernehmen.
Es war vorhersehbar gewesen, dass der übergangene Kaiser jetzt seine Autorität demonstrieren musste. Er wolle den Erbfall einer Prüfung unterziehen, hatte es geheißen, und auch die Ansprüche derjenigen berücksichtigen, die sich unter Einsatz ihrer Ellenbogen in die vorderste Reihe drängelten und allerlei obskure Dokumente vorlegten. Zu denen gehörte auch ihr Schwager, Christian von Sachsen, der in dieser zunehmend vergifteten Diskussion das große Wort führte und seine empörten Mitbewerber unter Einsatz aggressiver Drohgebärden in sein Gespinst aus dreisten Forderungen verstrickte.
Kaum also, dass Anna an den ebenso rotgesichtigen wie übergewichtigen Mann herangetreten war, fand sie sich nicht nur schmerzhaft am Arm gepackt, sondern darüber hinaus in einem befremdlichen Zwiegespräch wieder, das die Befürchtungen ihrer Schwester prophetisch erscheinen ließen.
Kurfürst Christian war ein früh gealterter Mann, dem man aufgrund seines verlebten Äußeren gut und gerne fünfzehn Jahre mehr zu seinen sechsundzwanzig hinzurechnen konnte. Wie viele seiner Standesgenossen trank auch er mehr als ihm guttat. Aber während sich robustere Naturen als die seine rülpsend und schenkelklopfend von diesen Exzessen erholten, schwanden seine Kräfte von Tag zu Tag. Er trank nicht, weil er es genoss, sondern weil er nicht mehr anders konnte. Weil er das Schicksal bekriegen musste, das ihn mit einer verhassten, widernatürlichen Empfindlichkeit ausgestattet hatte. Er hatte eine fast weiße, sommersprossige Haut, die die Sonne immer wieder schmerzhaft verbrannte. Einen leichten Knochenbau, der unter der Last des Fettes ächzte. Eine zarte Konstitution, die ein Leben im Übermaß nicht vorgesehen hatte. Noch als Zwölfjähriger hatte er sich am liebsten bei den Frauen herumgedrückt, wo er befremdete Blicke erntete und weggescheucht wurde. Nie wollte er wie seine gleichaltrigen Freunde mit glitschigen Schnecken zwischen den nackten Zehen durch die Wiesen streifen. Er sah weg, wenn sie Kaninchen das Fell abzogen und versteckte sich, wenn sie sich prügelten.
Als es an der Zeit gewesen war, hatte sein Vater ihm diese Marotten mit den gleichen mechanischen Methoden ausgetrieben, wie er seine Hunde abzurichten pflegte. Christian hatte gelernt, sich zu verstellen, hatte sich verleugnet und verbogen, bis ihm ein dicker Panzer aus dämmendem Fett gewachsen war, und er jegliche Zartheit aus seiner Welt verbannt hatte.
„Ein schönes, gesundes Kind“, gratulierte Anna vorsichtig, nachdem sie ihren Kopf zu einem kurzen Gruß gebeugt hatte, „ein guter Tag für das Haus Sachsen“, und rieb sich demonstrativ ihren Oberarm.
„Gut? Ja, ja, das scheint wohl so zu sein“, nuschelte der Kurfürst und warf seine Handschuhe auf den kleinen Tisch, der neben ihm stand, „gut für wen auch immer“. Ein zähes Schweigen breitete sich aus, in dem der Kurfürst mit starrem Blick vor sich hin brütete, leicht mit dem Kopf wackelte und sich unablässig mit der Zunge über die Lippen fuhr.
Anna vermied es, ihn in diesem Zustand der Blöße anzusehen und fing dabei den ängstlichen Blick ihrer Schwester ein. „Ihr führt ein gastfreundliches Haus“, versuchte sie es erneut, „ich kann mich nicht erinnern, jemals so viele Besucher anlässlich einer Taufe gesehen zu haben. Und alle sind…“
„Gäste?“, plärrte Christian, wobei ihm ein lautes Rülpsen entfuhr, „Schmarotzer sind das! Was diese Leute tatsächlich machen, ist, mich einen Haufen Geld kosten. Und die Geschenke steckt sich Johann in die Tasche!“ Er streckte seinen Arm aus, raunzte nach mehr Wein und riss den Becher, den man ihm gereicht hat, so hastig an sich, dass ein wenig Rotwein auf seine Brust schwappte und dort zu dunklen Flecken versickerte.
„Mein lieber Bruder möchte sich im Glanz seiner Nachfolge sonnen. Er weiß, wie man es anstellt, die Kinder fallen ja nur so heraus aus Eurer Schwester. Eins nach dem anderen. Nun, ein Talent wenigstens scheint ihm ja mitgegeben worden zu sein.“
Die Füße nach außen gedreht, stellte er sich breitbeinig auf und tastete kurz mit der Hand nach der hölzernen Wandverkleidung, um einen sicheren Stand zu erlangen. Anna tauschte erneut einen kurzen Blick mit ihrer Schwester, die betroffen die Finger der rechten Hand auf ihren Mund gedrückt hatte, und bemühte sich, ein neutrales Gesicht aufzusetzen.
„Ich bin bekannt dafür, gleich ohne Umschweife zur Sache kommen“, sagte Kurfürst Christian mit leichtem Zungenschlag, was man daran merkte, dass er „zur“ weich und zischend wie „sssur“ artikulierte, „in mediae res also!“
Anna registrierte sein fehlerhaftes Latein mit Geringschätzung und schwieg. Dem Kurfürsten war das nicht entgangen. Er verzog einen Mundwinkel zu einem kleinen bösen Lächeln, das seine eingetrübten Augen nicht erreichte, wankte, kippte leicht nach vorne und blies ihr seinen abgestandenen Atem in die Nase.
„Anna, Anna, Anna…“, er schüttelte mit gespielt besorgter Miene seinen Kopf, als wäre er sehr enttäuscht von ihr, „was ist denn nur los mit euch Brandenburgern, hmmm?“
Anna wich zurück, ohne es zu wollen. „Ich verstehe Eure Frage nicht.“
„Keine gute Idee, den Kaiser gegen sich aufzubringen“, seufzte er. „Wie ich hören muss, hat die Partei eures Herrn Gemahls in der Jülich-Berg‘schen Sache eine empfindliche Niederlage erfahren. Da seht Ihr es, unrechtmäßige Umtriebe lohnen sich selten. Die Euren haben es verdient, bestraft zu werden.“
Der Kurfürst klang nun sicherer und beäugte sie lauernd. Das Kaminfeuer brannte in ihrem Rücken und Anna spürte, wie Schweiß den Stoff unter ihren Achseln nässte, hielt seinem Blick aber abwartend stand. Sie hatte nicht erwartet, dass er dieses Thema an einem solchen Tag anschneiden würde.
Ihr Gegenüber schnippte mit den Fingern nach einem Diener, und ließ, ohne den Blick von ihr zu wenden, seinen leeren Becher erneut mit Wein nachfüllen, welchen er, den Kopf im Nacken, geräuschvoll, mit großen, gierigen Schlucken austrank. Der Becher wurde ein drittes Mal gefüllt und Christian von Sachsen wedelte den Diener mit der anderen Hand weg.
„Jetzt, wo der französische König tot ist“, stellte der Kurfürst zufrieden fest, „lautet die entscheidende Frage nicht mehr, ob, sondern wann dessen Truppen am Rhein die Beine in die Hand nehmen und wie Hasen nach Westen flüchten werden. Dann, meine Liebe, seid Ihr Brandenburger allein, ganz allein.“
Er ließ den Wein im Becher kreisen und spürte, mit der Zunge schnalzend, dem Geschmack des sauren Getränks nach. Dies sei nun die wahrscheinlich letzte Gelegenheit zur Abkehr von einem verderblichen Irrweg, legte er eindringlich nach, und rückte noch ein wenig näher.
Er sage dies in aufrichtiger Anteilnahme und Sorge um ihrer Aller Wohl, machte er in einem unschuldigen Ton weiter. Brandenburg und Neuburg könnten noch zurück und den Konflikt mit dem Kaiser friedlich beilegen, sie müssten nur, trumpfte er mit süßlicher Stimme auf, ihre Knie und ihre Köpfe recht tief beugen und auf Gnade hoffen.
Gnade? Kurfürstin Anna, in der seine Rede nachhallte,