Herr Gars soll heiraten. Eva-Maria Landwehr

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Herr Gars soll heiraten - Eva-Maria Landwehr

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in die Runde und dann hilfesuchend ihre Mutter an.

      Anna, bleich geworden, sprang auf, hüllte ihre Tochter in ihren eigenen Morgenmantel und schob sie zurück in ihr Zimmer. Es sei noch viel zu früh, versuchte sie die Situation mit gepresster Stimme zu retten, und, ohne den Kurfürsten anzusehen, der Papa werde jetzt erst einmal mit Vetter Wolfgang auf die Jagd gehen und einen ordentlichen Braten schießen, nicht wahr?

      Weiber, brummte der Kurfürst, nicht leise genug, bevor er Wolfgang Wilhelm mit den Worten antrieb, dass es jetzt aber höchste Zeit sei.

      Der Pfalzgraf, der das seltsame Schauspiel interessiert verfolgt hatte, erbat sich noch einen Moment, den ihm der Kurfürst achselzuckend zugestand, bevor er sich umwandte, um sich auf den Weg zu seinen Jagdhelfern zu machen. Die Meute sei nicht mehr zu halten, gab er zu bedenken, aber er könne einen Knecht zurücklassen, der seinen Vetter zur Sammelstelle bringen werde.

      Wolfgang Wilhelm willigte ein und wartete, bis Johanns Schritte im Treppenhaus verhallten und unten die Tür ins Schloss fiel. Dann fing er unvermittelt an, von dem handwerklich ganz ausgezeichneten Sandsteinrelief zu sprechen, das über dem Eingangsportal angebracht und das ihm sogar im Schein der Fackeln sofort aufgefallen war. Zwei Hirsche, die Geweihe im Kampf ineinander verkeilt, geduldig auf den Moment der Schwäche beim anderen wartend.

      „Mächtige Geschöpfe, diese beiden“, schwärmte er versonnen, „kontrollierte Stärke, und dabei eine stoische Kraft. Es sieht aus wie ein ausgeglichenes Kräftemessen, wie ein ‚Patt‘ für die Ewigkeit“. Und, nach einer bedeutungsvollen Pause, „Man möchte nicht zwischen die Fronten geraten, oder?“ Er kniff die Augen zusammen und blinzelte Anna an.

      Diese starrte verblüfft zurück und stieß ein schnaubendes Geräusch aus. „Was? Solltet Ihr etwa meinen Gemahl und mich damit meinen? Wie überaus charmant! Dabei seid Ihr sonst ein so routinierter Kavalier, Wolfgang, immer schon gewesen“, gab Anna spöttisch zurück. „Doch Ihr kennt mich gut genug, um zu wissen, dass ein so… extravagantes Kompliment bei mir mehr verfängt als es glatte Schmeicheleien je könnten.“

      Als ihr Cousin zu einer Erwiderung ansetzte, schnitt sie ihm kurzerhand das Wort ab. „Wenn wir schon bei Ratespielen sind, dann ist es eine ganz andere Frage, die mich beschäftigt: Warum nur wollen die Gerüchte im Reich nicht verstummen, dass der Katholizismus und seine Irrlehre für ein ganz spezielles Mitglied des Hauses Pfalz-Neuburg, aus welchen Gründen auch immer, eine unwiderstehliche Anziehungskraft besitzt und sogar das eigentlich Undenkbare, eine Konversion nämlich, für möglich gehalten wird?“

      Wolfgang Wilhelm deutete eine Verbeugung an. „Ich habe große Hochachtung vor Eurem wachen Geist, Anna, und bewundere Eure schnelle Auffassungsgabe“, er lächelte dünn, „aber in diesem Fall seid Ihr wohl einer Fehlinformation aufgesessen. Es wird so viel geklatscht an den Höfen, so viel üble Nachrede verbreitet, was sehr bedauerlich ist“, seufzte er betrübt, „meine Treue dem rechten Glauben gegenüber sollte niemals in Zweifel gezogen werden.“

      „Noch eine Frage, wenn Ihr erlaubt“, machte Anna furchtlos weiter und sah ihn forschend an: „Warum beschleicht mich trotz allem das Gefühl, dass unter den hier Anwesenden weder eine zukünftige Schwiegermutter noch ein zukünftiger Schwiegersohn zu finden sein werden?“

      Wolfgang Wilhelm machte eine vage Handbewegung und sah versonnen zur Decke des Treppenhauses, zu den Malereien, wo das letzte Aufbäumen einer tödlich getroffenen Wildsau von eingedrungenem Wasser zu einem geisterhaften Schemen ausgewaschen worden war. „Je weiter Dinge zurückliegen, desto mehr verblassen sie bis zur Unkenntlichkeit. So geht es auch mit den Ereignissen, die noch kommen, nur anders herum. Ich sehe nur nicht, dass bereits etwas Gestalt annimmt. Und wer kann in die Zukunft blicken und sehen, welchem Wandel schon morgen diejenigen Bündnisse unterliegen, die wir heute schmieden, guten Gewissens und mit den besten Absichten, versteht sich.“

      Anna verstand sofort. „Ich danke Euch.“ Sie fühlte Erleichterung und Enttäuschung zugleich. „Aber denkt nicht“, versetzte sie ihm hart, „dass ich Euch Kleve oder irgendeinen anderen Teil dessen, was mir von Rechts wegen zusteht, kampflos überlassen werde.“ Ihre Stimme nahm einen weicheren Klang an, als sie versöhnlicher fortfuhr. „Als Eure Cousine jedoch möchte ich dringend darum bitten, eines Tages zu Eurer Hochzeit eingeladen zu werden, lieber Vetter. Selbst, wenn ich dann unter Umständen so unhöflich sein müsste, bei einer katholischen Zeremonie den Leib Christi in Form des Abendmahls zu verweigern.“

      Sie verstanden einander, schwiegen versonnen, und ließen die Worte noch einen kurzen Moment in der Luft verklingen.

      Putlitz räusperte sich in seinem Versteck, die Dogge streckte sich ächzend, indem sie die Vorderläufe nah an den Boden presste und ihr Hinterteil steil nach oben reckte.

      Wolfgang Wilhelm verabschiedete sich ohne Umstände. Es war alles gesagt. Unten angekommen, dauerte es nicht lange, bis er aufgesessen und der Trab seines Pferdes in einen leichten Galopp übergegangen war. Bald war auch dieses Geräusch vom Grün des Walds verschluckt worden.

      Anna trat an das offene Fenster, das den Blick auf den nahen See freigab, wo im selben Moment ein Schwarm Stockenten eilig in einer auf dem Wasser liegenden Nebelbank verschwand. Am Ufer direkt gegenüber des Schlosses stand ein Reh, die zerbrechlich wirkenden Läufe unbeholfen zur Seite gespreizt, um das Wasser erreichen zu können. Anna hielt den Atem an. Das Reh senkte sein Maul und saugte. Stillte seinen Durst, als ob es die spiegelglatte Oberfläche behutsam küssen würde. Nicht weit entfernt fielen dumpfe Schüsse. Das Wild hob anmutig seinen Kopf und spielte mit den Ohren. Tropfen fielen ins Wasser zurück und wurden zu konzentrischen Kreisen.

      Doch erst als ein nur aus Kopf und Hals bestehender, scheinbar körperloser Schwan, wie ein Bühnenrequisit von einem unsichtbaren Seil gezogen, durch den Nebel auf das Tier zusteuerte, verschwand es mit wenigen federleichten Sprüngen im angrenzenden Unterholz.

      Im schwedischen Militärlager, Ende Juli 1614

      König Gustav II. Adolf an Ebba Brahe.

      Sieh‘ mich an, Ebba, das würde ich sagen, wenn wir uns gegenüberstehen würden. Liebste, schönste, süßeste Ebba! Ich würde Dein Gesicht in meine Hände nehmen und mich zu Dir beugen. Ganz nah, so dass sich unsere Lippen fast berühren. Sieh‘ mich an, würde ich sagen und nicht zulassen, dass Du Deinen Blick abwendest. Damit Du in meinen Augen lesen kannst, dass, selbst wenn Du nicht das Vertrauen in unsere Liebe aufbringst, ich es tue. Absolut und unbeirrbar und jeden Tag aufs Neue.

      Du hast geweint, als Du Deinen Brief geschrieben hast, das kann ich sehen. Ich weiß, wie sehr Du unter meiner Mutter leidest. Man hat mir berichtet, wie sie Dich prüft, indem sie in Deiner Gegenwart laut über eine vorteilhafte Ehe für mich, für Schweden, nachdenkt.

      Ich werde Dir nicht versprechen, dass bald alles gut wird, denn ich werde Dir keine Lügen erzählen. Ohne die Zustimmung der Königin ist eine Ehe zwischen uns unmöglich. Daran hat sich nichts geändert. Aber ebenso wenig haben sich meine Gefühle geändert. So viele Jahre kennen wir uns schon, und bin ich jemals wankelmütig oder unbeständig gewesen?

      Meine Ebba, ich muss aufbrechen. Die Soldaten haben bereits den Befehl zum Sammeln erhalten, der Abmarsch steht kurz bevor. Ich kann nicht sagen, ob ich Dir während des Feldzugs werde schreiben können, und selbst wenn, dann weiß der Himmel, ob Dich mein Schreiben noch vor dem Winter erreichen würde oder aber erst nächstes Jahr.

      Beim Öffnen dieses Briefes wirst Du meine Liebesgabe gefunden haben – zumindest hoffe ich, dass diese den Transport wider Erwarten ganz und unversehrt überstanden hat. Erinnerst Du Dich an den Tag, als wir hinter der Mauer an der Bleiche eine Wiese voller Vergissmeinnicht

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