Herr Gars soll heiraten. Eva-Maria Landwehr
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Während die Gäste gezwungen lachten und die Amme bestürzt zu Boden blickte, öffnete Kurfürstin Anna, die am ganzen Körper bebte, Finger für Finger ihrer geballten Fäuste, und löste mühsam ihre trocken verklebten Lippen voneinander. Ihr war, als blute sie aus zahlreichen unsichtbaren Wunden.
Steif ging sie zum Kamin und setzte sich, unbeachtet von der restlichen Gesellschaft, auf eine Bank. Dort saß sie unbeweglich, das Gesicht der schmerzhaft heißen Lohe zugewandt, und malte sich aus, wie der Kurfürst zu nah an das Feuer geriet, wie Funken eines berstenden Scheits auf seine Kleidung übersprangen, wie der Pelz, der seinen Überwurf säumte, knisternd und glühend schmolz, wie schließlich die Flammen an der Haut leckten, die seine massige Gestalt umspannte, wie er sich wand und krümmte und zuckte, bis am Ende nur noch ein schwarzer Klumpen aus verbranntem Fleisch und verkohlten Knochen zurückblieb.
Jagdschloss zum Grünen Wald, 23. Mai 1611
Anna von Brandenburg tastete mit der linken Hand an den ausgefransten Spitzen ihres dünnen Haarzopfes herum, während sie mit der Rechten die Leinenhaube auf ihrem Kopf zurechtschob und mit einem Finger eine verknotete Strähne unter den Stoff stopfte. Dann pulte sie sich verstohlen den gröbsten Schlaf aus den Augenwinkeln, wendete sich ihrem Gesprächspartner zu, und versuchte, Adam von Putlitz zu ignorieren, der sich ungeschickt hinter einen Treppenpfeiler drückte.
Auf seine unterwürfige und unsichtbare Art hatte er es bewerkstelligt, in den engsten Kreis des Kurfürsten vorzudringen, sich vom Kammerrat zum Hofmarschall und schließlich zum Statthalter der Mark Brandenburg hochzudienen, sich unentbehrlich zu machen, wie ein Schatten herumzuschleichen, und immer dort zur Stelle zu sein, wo er schädlich für andere und nützlich für die eigene Sache sein konnte. Zum Beispiel, indem er für einen nie versiegenden Strom an Branntwein für den Tisch des Kurfürsten sorgte, den er, wenn es sein musste, aus eigener Tasche finanzierte. Für diese ausschließlich eigennützige ‚Hilfe‘, die er unaufgefordert und diskret leistete, war ihm Johanns beschämte Dankbarkeit sicher.
So war von Putlitz auch in Annas Leben getreten, war Teil ihrer Gegenwart geworden und würde, so stand zu befürchten, Teil ihrer nahen Zukunft sein. Irgendwann, dachte sie grimmig, sollten sich ihre Wege und die Wege dieser Person nicht mehr kreuzen müssen. Jeden Tag schloss sie diese Bitte in den unterschiedlichsten Variationen in ihr Abendgebet ein. Und nie wieder, das schwor sie sich, würde sie um halb fünf Uhr morgens, nur mit einem Nachthemd und einem übergeworfenen Schlafrock bekleidet, auf der Treppe vor ihrem Schlafzimmer sitzen, neben sich einen Mann, der nicht ihr eigener war. Vollständig bekleidet war Cousin Wolfgang immerhin.
Es war erst einige Augenblicke her, dass Johann mit dem Versprechen, in Kürze zurückzukehren, die Treppe heruntergeeilt war und Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm aufgekratzt über die Schulter zugerufen hatte, dass er ihm heute vielleicht, dann aber auch nur gnadenhalber, den zweitkapitalsten Hirsch überlassen werde.
Eine halbe Stunde zuvor war der Kurfürst aufgestanden, und hatte sich, noch schläfrig schwankend, im Schein einer zu einem Stummel herabgebrannten Kerze den Weg ins Ankleidezimmer gebahnt, indem er Stühle umgestoßen und sie dann geräuschvoll und fluchend wieder aufgestellt hatte. Hindernisse hatten ihm auszuweichen, nicht andersherum.
Anna hatte das Scharren an der Tür noch vor ihm gehört, ein gespenstisches Geräusch, eines, das sich langsam in das Gemüt eines Schlafenden vorarbeitet, und dann, wenn es sein Ziel erreicht hat, den hinterlistig Aufgeschreckten mit heftig klopfendem Herzen unsanft in die Wirklichkeit befördert.
Johann war zur Tür gestolpert und hatte sie einen Spalt geöffnet. In diesem hatte sich das Gesicht des Statthalters gezeigt, der nach einer unterwürfig beteuerten Entschuldigung flüsternd, aber gut hörbar, vorgebracht hatte, dass der Vetter Ihrer Gnaden, Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg, gestern unangemeldet in der Residenz Station gemacht habe, und heute Morgen bei Dunkelheit von dort aufgebrochen sei, um die vor Langem ausgesprochene Einladung des Kurfürsten zur Jagd einzulösen. Die Gelegenheit, hatte Putlitz gewispert, das besprochene Vorgehen bereits heute in die Wege zu leiten, um keine weitere Zeit zu verlieren, wäre außerordentlich günstig.
Hier hatte Anna, die sich schlafend gestellt hatte, zum ersten Mal aufgehorcht. Ein Auge zu einem Schlitz öffnend, hatte sie ihren Mann mit zusammengepressten Lippen eine nachdenkliche Miene aufsetzen sehen. Dann hatte er, zuerst kaum sichtbar, dann heftiger, mehrmals genickt, als ob er sich zu einer Entscheidung durchgerungen hätte, und die Hand in einer abwartenden Geste hochgehalten, bevor die Tür vor Putlitz‘ Gesicht mit einem metallischen Schnappen wieder ins Schloss gefallen war. Auf Strümpfen war er zum Bett getappt und hatte seine Frau an der Schulter gerüttelt.
Anna? Ob Anna ihn hören könne? Anna? Anna! Sie müsse aufwachen, jetzt, es sei dringend, sie müsse etwas für ihn tun. Vetter Wolfgang sei da, hatte er übergangslos gesagt, mit dem ausgestreckten Daumen hinter sich zur Tür weisend, und dabei zerstreut zum geöffneten Fenster hinausgesehen, wo der Tag anbrach.
Als sie sich aufgesetzt hatte, hatte er begonnen, umherzulaufen und zerstreut von der verwandtschaftlichen Freundschaft und der freundschaftlichen Verwandtschaft zwischen Brandenburg und Neuburg zu sprechen, den Blick immer wieder besorgt in den dunkelgrauen Himmel gerichtet, wo sich die schwarzen Kronen des angrenzenden Waldes zunehmend deutlicher abzuzeichnen begannen. Die anfänglich zaghaft einsetzenden Vogelstimmen hatten sich inzwischen zu einem konkurrierenden Chor vereinigt. Vom nahen See war feuchter, mooriger Dunst aufgestiegen, durch das weit geöffnete Fenster geströmt und hatte sich mit der stehenden Wärme und der verbrauchten Luft des nächtlichen Schlafs vermengt.
„Du musst Wolfgangs Sorgen wegen Sachsen zerstreuen“, hatte Johann gedrängt und nach einem fehlenden Knopf an seiner Jacke getastet, die von seinem gewaltigen Bauch gebläht wurde. „Vor allem, weil der Kaiser Christians ungerechtfertigten Ansprüchen nicht stattgeben kann und es auch nicht tun wird!“
Er hatte nach der Kerze gegriffen und war, achtlos heißes Wachs auf Holzboden und Laken tropfend, an das Bett getreten, um ihr Gesicht besser sehen zu können.
„Du musst Wolfgang davon überzeugen, dass seine Heirat mit Katharina…“, hier hatte er, unsicher hinsichtlich des Alters und der körperlichen Reife seiner Töchter, denn Katharina war erst neun Jahre alt, stirnrunzelnd innegehalten, „…ach was, eine Heirat mit Anna Sophia natürlich, all diese vermaledeiten Unsicherheiten mit den westlichen Landen auf einen Schlag beenden könnte!“ Jawohl, hatte er die rechte Faust geballt, und sie gegen die linke Handfläche geschlagen, Brandenburg und Neuburg Seite an Seite gegen die Sachsen, das würde ihm gefallen! Aber er selbst, war er wie beiläufig fortgefahren, sei für solche delikaten Verhandlungen nicht der Richtige, und hatte dabei verneinend mit dem Zeigefinger gewedelt. Wolfgang sei ja schließlich ihr Vetter, nicht wahr, und er stehe schon vor der Tür. Man könne die Sache sofort aushandeln und fest machen!
„Aber mein Lieber.“ Anna hatte, geblendet vom Schein der Flamme, die Johann ihr vors Gesicht hielt, die Augen zusammengekniffen. „Doch nicht jetzt und“, an dieser Stelle hatte sie mit der Hand den Ausschnitt ihres Nachthemds zusammengerafft, „nicht so!“
Widerstrebend hatte sie ihre Beine aus dem Bett geschwungen und mit den Füßen nach ihren Pantoffeln gesucht. Überhaupt, hatte sie stirnrunzelnd eingewendet, habe er selbst ihre Idee mit dieser Heirat vor nicht allzu langer Zeit als unmögliches Hirngespinst verworfen. Sie verstehe das alles nicht. Er könne sie doch unmöglich vorschicken wollen, damit sie eine ihrer Töchter wie eine Kupplerin zwischen Tür und Angel anbiete, ja förmlich aufdränge!
In Gedanken schon im kühlen Wald, hatte Johann mit aufgeblähten Backen die Luft ausgepustet und sehnsüchtig zur Tür gesehen.
„Dass