Ganz für sich allein. Werner Koschan

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ganz für sich allein - Werner Koschan страница 4

Автор:
Серия:
Издательство:
Ganz für sich allein - Werner Koschan

Скачать книгу

Bruno Bierlos im Deutschunterricht. Güntz wusste, dass mir Bruno Bierlos etwas förderungswürdiger erschien als die meisten anderen und bat mich, mit Bruno zu reden. Bis dato hatte er in sämtlichen Fächern gut oder besser gestanden und so fragte ich ihn nach dem Grund seiner schlechten Deutschnoten.

      »Mein lieber Herr Doktor Löwenthal, Deutschtum ist ja nun Pflicht und das liegt mir nicht so«, hatte er schmunzelnd erklärt. Der junge Mann zeigte Charakter, die meisten Menschen in Deutschland vor lauter Dickfelligkeit nicht einmal Rückgrat.

      Bruno schwieg zwar, um nicht aufzufallen, aber er verweigerte sich konsequent den völkischen Pflichten. Sich aus Parteiorganisationen herauszuhalten gelang ihm leicht, denn seine körperliche Schwäche blieb augenscheinlich. Krüppel passten bereits damals nicht in Goebbels Propagandabild. Wer mag schon an die eigene Missbildung erinnert werden?

      Anfang 1934 durfte ich nicht mehr ins Gymnasium. Die arische Jugend dürfe nicht Nachhilfe von einem Untermenschen erhalten, so hieß es. Juden unerwünscht! Mir hatte man lediglich einen Zettel an unsere Wohnungstür genagelt, auf dem geschrieben stand: ›Juden dürfen das Schulgelände bei Strafe nicht mehr betreten. Ab sofort! Unwiderrufliche Entscheidung der Reichsschulleitung. Widerspruch zwecklos.‹ Hakenkreuzstempel und unleserliche Unterschrift.

      So verlor ich Bruno leider aus den Augen. Und wenn man auf der Abschussliste steht, hält man sich besser zurück, forderte Carola.

      Am Montag, den 16. September 1935 wurde mir der Beschluss über mein Berufsverbot als Jurist eingeschrieben zugestellt. Ich sei kommunistischer Umtriebe überführt, lautete die Begründung, da ich mit der Sonntagsausgabe des Neuen Vorwärts vom 8.9.1935, in welcher Otto Wels gegen die nationalsozialistische Rassenhetze eintrat, auf dem Neumarkt angetroffen worden war. Man unterzog mich eines Schnellverfahrens ohne Anhörung. Folge, wie gesagt, das Berufsverbot und der Einzug meines Vermögens sowie Androhung weiterer Repressalien. Seit dem Tag bin ich vorsichtiger denn je. Schließlich habe ich sogar noch Glück gehabt.

      Riebelutz, der Nachbar Kowalskis aus der Wilsdruffer Straße hatte mir erzählt, dass der Familie Kowalski einen Monat zuvor weit Übleres geschehen war. Kowalski hatte mit seinem Handkarren einem arischen Mädchen nicht rechtzeitig ausweichen können, das an der Hand ihrer Mutter übermütig herumtollte und gegen den Karren gestolpert war. Für diesen Verkehrsunfall mit Personenschaden (Urteil: Körperverletzung durch Übertretung der Fahrzeugverordnung) erhielt er 10 Mark Strafe. Das reichte, um bei Kowalski das ›Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen zum Schutze des deutschen Blutes‹ von 1935 anzuwenden, ihm die Staatsangehörigkeit abzuerkennen und mit Frau und den Töchtern nach Polen abzuschieben. Gerade mal zwei Stunden Zeit hatten sie gehabt, persönliche Gegenstände in zwei Koffer zu packen, denn mehr war nicht erlaubt, dann wurden sie mit anderen Ausgewiesenen auf der Ladefläche eines Wehrmacht-Lkw unter bewaffneter Bewachung zum Bahnhof Neustadt transportiert. Als Fremdblütigen, nunmehr Ausländern, war es ihnen untersagt, sich bei der Sparkasse mit Bargeld vom eigenen Konto zu versorgen. Ob Kowalskis in Polen angekommen waren, wusste Riebelutz nicht. Als er mir dies erzählte, hatte ich wütend die Fäuste in den Manteltaschen geballt.

      Aber schon im großen Krieg, der mittlerweile der Erste Weltkrieg heißt, habe ich mir, frei nach Shakespeare, immer gesagt: Der bessere Teil der Tapferkeit ist Vorsicht. Und in dem idiotischen Taumel, in dem wir heute leben, halte ich mich äußerst strikt an diese Devise, denn gegen die großdeutsche Gesinnung kann man im Augenblick nichts machen. Ich verhalte mich wie ein Kamel, ja wie eine Seele von einem Kamel und bin damit bisher sogar ohne größere Vergeltungsmaßnahmen durchgekommen. Carola hält mich für einen Feigling, das weiß ich. Doch ich bin erst während der vergangenen zwölf Jahre zu einem Feigling geworden.

      Und außerdem hat Carola mich ja darin bestärkt, keine Rechtsmittel gegen die Reichsschulleitung einzulegen, weil Recht in Deutschland mittlerweile eine sonderbare Sache geworden ist. Recht hat nämlich nur Rechts, der Rest hat die Schnauze zu halten. Und das tue ich, denn ich halte Schweigen im Moment für wesentlich klüger. Glück braucht man natürlich auch und beinahe schäme ich mich für meinen Massel.

      4.

      Als uns im Dezember 1944 ausgerechnet Bruno Bierlos als Blockwart zugeteilt wurde, staunte ich nicht schlecht. Wir trafen uns im Judenkeller unseres Hauses wieder. Ob Dresden Ziel des Angriffs sein würde, war unklar. Die Erde zitterte noch nicht, das Licht schien ruhig. Bruno stand am Eingang, den Eimer und die Feuerpatsche in der Hand. Er hatte mir kurz zugenickt, dann meinen Stern entdeckt. Auf der Faust, die den Eimer trug, traten die Knöchel weiß hervor. Dann öffnete sich die Faust und der Eimer fiel mit einem Knall und laut scheppernd zu Boden, sodass alle Leute im Keller angstvoll zuckten und die Köpfe einzogen. Die Feuerpatsche landete neben dem Eimer. Bruno ergriff meine Hände und drückte mich an sich.

      »Ach, Herr Doktor. Es ist schön, Sie zu sehen. Wenngleich unter diesen unerfreulichen Umständen.« Er ließ mich los und betrachtete meinen Stern. »Jetzt begreife ich, weshalb Sie so plötzlich verschwunden waren. Man hatte uns erzählt, dass Sie ... na, ist ja egal. Ich fürchte, dass nicht mehr viele übrig sind.«

      »Das befürchte ich auch, mein Junge. Und dass ich noch hier bin, liegt womöglich nur daran, dass ich mit einer Arierin verheiratet bin. Bislang ist das nicht verboten.«

      »Nicht nur deshalb wünsche ich Ihrer Frau ein langes Leben.«

      Er küsste Carolas Hand und schaute sich im Bunker um. Obwohl von draußen nichts zu hören war, umfing uns leises Beten und das schwache Wimmern eines übermüdeten Kindes. Jeder schien nur mit seiner Angst beschäftigt zu sein. Ich wunderte mich trotzdem über Brunos Worte. So herzlich hatte uns seit Langem niemand mehr begrüßt.

      Er grinste über das ganze Gesicht und flüsterte: »Der ganze Zauber dauert nicht mehr lang, Herr Doktor. Die Stimmung kippt schon langsam um. Vor ein paar Tagen habe ich eine beeindruckende Szene beobachtet. Mir kam auf der Langemarckstraße beim Reichsplatz ein zittriger älterer Mann entgegen, der während des Gehens versonnen an einem Päckchen in den Händen schnupperte und beinahe in einen Luftwaffenoffizier gelaufen wäre. Im letzten Augenblick hob das Männchen den Kopf und blieb abrupt stehen. Natürlich ließ er das Paket angsterfüllt zu Boden fallen. Ein Stück Fleisch hüpfte aus dem Papier und der kleine Mann stand zitternd vor dem Flieger und duckte sich. Zunächst hatte ich befürchtet, der Hüne scheißt den Hungerleider jetzt wegen der Unachtsamkeit zusammen. Schließlich ist Fleisch Mangelware. Und richtig, er hob das Fleischpäckchen auf, griff den einfachen Volksgenossen am Ärmel und stellte ihn aufrecht, ich konnte den Stern deutlich leuchten sehen. Die halbe Portion schlotterte vor Angst und stammelte mit zittriger Stimme: ›Behalten Sie es ruhig, gnädiger Herr.‹ Der Flieger ließ den Ärmel los, stemmte die Faust in die Hüfte, ruderte mit dem Fleischpäckchen in der anderen Hand und fragte lautstark: ›Was glauben Sie eigentlich, in welcher Zeit wir leben?!‹ Das Männchen starb geradezu und sagte leise: ›Ich bin Nichtarier.‹ Da lachte der andere kurz, schüttelte den Kopf, drückte dem Verdutzten das Fleisch in die Hand zurück und verabschiedete sich mit einem barschen: ›Das ist mir doch scheißegal!‹

      Sie sehen, Herr Doktor, der Karren kippt um. Es geht langsam aufwärts, obwohl der Milchtopf nicht ganz vom Feuer ist. Ach, übrigens Milch, wie geht es dem Mäxchen?«

      »Seit dem 15. Mai 1942 dürfen Sternjuden und jeder, der mit einem solchen zusammenwohnt keine Hunde, Katzen, Vögel oder sonstige Tiere mehr halten. Wir haben Mäxchen einem Bekannten in Laubegast geschenkt. In dessen Garten darf er wenigstens jagen, wenn es noch Mäuse gibt.«

      »Sicherlich, Herr Doktor, aber auch leider viel zu viele Ratten. Und damit meine ich nicht die vierbeinigen.« Er winkte ab und schaute sich forschend um. Niemand schien auf uns zu achten. »Tut mir leid. Sie haben ziemlich an dem Tierchen gehangen, nicht wahr?«

      »Ja,

Скачать книгу