Ganz für sich allein. Werner Koschan

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Ganz für sich allein - Werner Koschan

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Sie kein Geld?«

      Ich biss mir auf die Lippen und senkte den Blick.

      »Ich habe keine Marken«, antwortete ich. »Entschuldigen Sie bitte.« Lieber schnell weg, dachte ich und drehte mich um.

      »Nun laufen Sie nicht gleich davon, Herr Doktor.«

      Derart angesprochen blieb ich stehen. »Sie kennen mich?«

      »Natürlich. Ich bin die Mutter vom Paul. Paul Malert, Herr Doktor. Erinnern Sie sich nicht?«

      »Paul Malert, und ob ich mich an den Bengel erinnere.« Wieso ich ihn so genau im Gedächtnis hatte, verschwieg ich lieber. Ich hatte den pubertierenden Paul nämlich seinerzeit mal in einer sehr delikaten Situation mit drei ebenso blutjungen wie nackten Mädchen ertappt. Kann man einer Mutter unmöglich erzählen. »Wie geht es Paul?«

      »Ich hoffe gut. Er ist Soldat, aber er schreibt leider viel zu selten, der Bengel. Das haben Sie ganz richtig gesagt. Weshalb haben Sie denn keine Lebensmittelmarken?«

      »Na, Sie sind vielleicht gut. Ich trage den ›Pour de Sémite‹.« Ich tippte gegen den Stern. »Wir dürfen doch an der völkischen Nahrungsfürsorge nicht teilhaben.«

      »Im Ernst? Das habe ich nicht gewusst. Das ist ja unerhört! Wovon leben Sie denn dann?«

      »Meine Frau ist Arierin und sie bekommt Marken. Wir teilen halt.«

      »Und das soll sozial sein?«

      »Wieso sozial?«

      »Na, wofür steht denn das ›S‹ im Parteinamen, wenn nicht für sozialistisch?«

      »Jedenfalls nicht für mitmenschlich! Lassen Sie uns aufhören, Frau Malert. Ich darf überhaupt nicht so reden. Zurück zu Ihrer Frage«, mit den Nägeln der rechten Hand kratzte ich den Handteller der linken, »offen gesagt, Geld habe ich auch nicht.«

      Frau Malert lächelte. Sie beobachtete mich eine Weile nachdenklich und unter diesem Blick fühlte ich mich nackter als bei Verhören durch die Polizei. Ihre Augen wirkten durch ihre dicken Brillengläser wie ungewöhnlich große dunkle Murmeln. Sie schaute nochmals zu meinem Stern und verzog angewidert den Mund. »Haben Sie Kinder?«

      Ich schüttelte den Kopf. »Zum Glück für die Kinder haben wir keine.«

      »So gesehen haben Sie recht«, erwiderte die Frau. »Die Kinder tun mir am meisten leid. Wie lange es wohl dauern wird, den Blagen diesen ganzen Irrsinn aus den Köpfen zu kriegen. Halten Sie mal bitte.« Sie hielt mir den Fahrradlenker hin und ging zu der Gemüsefrau, verlangte eine Handvoll Kartoffeln und einige Mohrrüben, kam wieder zu mir und steckte mir die Kostbarkeiten in die Manteltaschen. Nun trat die Verkäuferin zu mir und steckte zwei schöne Zwiebeln dazu. »Allein hätte ich mich das niemals getraut«, gestand sie.

      »Weswegen? Schenken ist schließlich nicht verboten«, ereiferte sich Frau Malert.

      Vor Hunger, Vorfreude auf das Abendessen und Rührung brachte ich keinen Ton raus und blickte zwischen den beiden Frauen hin und her.

      »Nu man hoch den Kopp«, flüsterte die Verkäuferin mit dem weißen Haar. »Das dauert nich mehr lang. Und wenn Se bis jetzt ausjehalten ham, sollten Se sich jefällichst bemühen, ooch den Rest ze überleben. Se sehen mich an wie een Schaf. Kann man ja glatt sentimental werden. Nu jehn Se schon und alles Jute im tausendsten Jahr.« Sie grinste und berührte ein Brett ihres Karren. »Bloß nicht verschreien, Holz anfassen.«

      6.

      Um Mitternacht des Silvesterabends 1944 hatte mir Bruno den Kalender in die Hand gedrückt, auf dem ich nun zum 44. Mal einen Tag abstreiche, eben den 13. Februar 1945.

      »Herr Doktor, ich habe hier etwas für Sie«, hatte er zu mir gesagt, nachdem Mitternacht vorüber war und wir uns gegenseitig viel Glück gewünscht hatten. »Würden Sie mir einen Gefallen tun und ab heute jeden Tag ausstreichen?«

      Ich weiß noch genau, wie ich ihm in die Augen sah und instinktiv Angst verspürte. Vielleicht hört uns trotz unserer gedämpften Stimmen irgendjemand zu, hatte ich befürchtet. Also lügen, dachte ich. »Wenn es dem Endsieg nicht schadet.«

      Der Blick hielt.

      »Wie unser geliebter Minister Goebbels bereits bemerkte, der Sieg ist demjenigen sicher, der ihn verdient!«, rief Bruno überlaut, stellte den Plattenspieler an und legte die Platte auf, die er mitgebracht hatte. Laut dröhnte Marschmusik, da hört jeder Denunziant betreten beiseite.

      Carola und ich müssen wohl recht erstaunt gewirkt haben, denn Bruno grinste.

      »Marschmusik ist in Deutschland am wenigsten gefährlich, wenn man sich ungezwungen unterhalten möchte. Die Platte ist von meinem Vater und ich wollte uns zumindest den Lieblingsmarsch des österreichischen Gefreiten ersparen. Sie dauert nur nicht lange und wenn wir sie laufend spielen, könnte man uns das durchaus als Verunglimpfung auslegen. Also kurz, Herr Doktor. Höchstens vier oder fünf Monate, dann sind diese tausend Jahre ausgestanden. Kennen Sie den Schlager von Lale Andersen: ›Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei ...‹?«

      »Na ja, habe ich gehört. Ist nicht gerade sehr anspruchsvoll.«

      »Deswegen singen unsere Landser schon seit November einen geradezu hoffnungsvollen Text zu der Melodie: ›... im April geht der Führer, und im Mai die Partei!‹ Leider sind wir bis dahin noch nicht aus dem Schneider. Ich bitte Sie ganz inständig, Dresden so bald als nur irgend möglich zu verlassen. Bislang sind Sie geduldet, als Jude mit arischer Ehefrau aus bester völkischer Herkunft - was für eine schwachsinnige Phrase. Die Nerven der Kerle liegen blank, die bringen im letzten Moment lieber alle um, als hinterher lästige Zeugen am Hals zu haben. Selbst als Blockwart ...«

      Die Platte tat den letzten Kratzer. Bruno startete sie trotz seiner vorhin geäußerten Bedenken erneut.

      »Selbst als Blockwart muss ich ganz vorsichtig sein. Spätestens im März ist der Bart ab, Herr Doktor. Entschuldigung, das mit dem Bart habe ich nur so gesagt. Hauen Sie ab in die Schweiz, nur nicht in die Sächsische. Wie hat unser trampeliger Gauleiter Martin Mutschmann doch dem ebenso trampeligen Frankenführer Julius Streicher mitgeteilt: ›In unserer herrlichen Sächsischen Schweiz ist kein Platz für Juden!‹ Sehen Sie zu, dass Sie nach Helvetia kommen. Dort wird man zwar später auch nicht daran erinnert werden wollen, dass man so vielen nicht hat helfen mögen und sie stattdessen zurück in die Gaskammern getrieben hat. Aber dort werden Flüchtlinge mittlerweile wieder lange genug verhört, um ihnen eine Chance zum Überleben zu lassen. Besonders, wenn der Verhörte Geld mitbringt. Wenn Sie irgendwann gegen Mitte Februar aufbrechen und es bis Anfang März über die Grenze schaffen, könnten Sie wirklich in Sicherheit sein. Also sehen Sie zu, dass Sie beizeiten auf Ihren Baum gestiegen sind - ich zitiere in diesem Zusammenhang sehr gerne Wilhelm Busch ›Wenn das Rhinozeros, das schlimme, dich fressen will in seinem Grimme, dann steig auf einen Baum beizeiten, sonst hast du Unannehmlichkeiten!‹ - Die Schweiz ist der Baum, auf den Sie steigen müssen, Herr Doktor! Verfügen Sie über Geld oder irgendwelche Werte?«

      »Nein. Wir dürfen nichts mehr haben. Demzufolge sollten wir den Gedanken, dass wir verreisen könnten, schnell wieder vergessen. Außerdem, wo sollte ich eine Reiseerlaubnis für uns herbekommen? Als Jude? Lächerlich.«

      »Überhaupt nicht lächerlich, Herr Doktor! Sie sind viel zu pessimistisch! Sie dürfen nicht länger in der Herde mittrotten

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