Ganz für sich allein. Werner Koschan

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Ganz für sich allein - Werner Koschan

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entlang der Pillnitzer Straße sattzusehen. Unser Bäckermeister Ehrhardt, der mich in seinem Laden in der Pillnitzer Straße schon lange nicht mehr bedienen darf, war trotzdem aus seiner Bäckerei geeilt, als er mich erkannte und hatte mir im Vorbeigehen zugeraunt, ich solle in einer Viertelstunde in seinem Hof sein. Er hätte was für uns. Hoffentlich was Essbares, hatte ich mir ausgemalt.

      Der Hof war mit Brettern überdacht und somit nicht einsehbar. Er war mir dessen ungeachtet absolut verboten und ich betrat ihn nur sehr zögernd, den Hut wie zum Gruße abgenommen vor meinen Stern haltend.

      Meister Ehrhardt hatte wohl auf mich gewartet, denn er trat sofort durch die Hoftür der Bäckerei zu mir. Er drängte mich in den Verschlag, in welchem das Brennholz lagert und man ungesehen war. Meister Ehrhardt blieb bei der Tür stehen und beobachtete unentwegt den Hof, während er zu mir sprach. Komisch, dass sich jeder wie ein gehetztes Tier umschaut, wenn er mit mir spricht. Ich komme mir vor wie ein Aussätziger.

      »Herr Doktor Löwenthal, schön, Sie wieder mal zu sehen.« Er drückte mir einen neutralen Stoffbeutel in die Hand. Ich blickte hinein. Ein großes, dunkel gebackenes Graubrot erkannte ich darin und sogar einige Brötchen. Das bedeutete ein paar Tage lang keinen beißenden Hunger.

      »Vielen, vielen Dank«, sagte ich.

      »Danke für nichts«, wehrte Ehrhardt ab und flüsterte: »Sie sollten sich kräftig satt essen und schleunigst von hier verschwinden, Herr Doktor.«

      Ich schaute den Beutel und danach Meister Ehrhardt an. Was sollte denn das? Erst beschenkt er mich und dann jagt er mich davon?

      »Wieso...«

      »Weil Sie bestenfalls 72 Stunden Zeit haben zu verschwinden, Herr Doktor.« Er trat aus dem Verschlag, schaute sich umsichtig im Hof um und warf einen Blick zur Straße hinaus. Dann trat er zu mir. »Ich habe gehört - von wem, tut nichts zur Sache - dass nun auch die verbliebenen paar Juden aus Dresden ausgesiedelt werden und sich am Freitag, den 16. Februar am Bahnhof einzufinden haben. Es heißt, dass sie von dort in ein ›Schweizer Lager‹ transportiert werden.«

      Ausgesiedelt?! Also doch noch, durchfuhr mich der Schreck. So kurz vor dem Ende doch noch. Aber vielleicht werden wir lediglich ausgebürgert, hoffte ich. Möglicherweise nur vor den anrückenden Russen versteckt? Man glaubt ja, was man hofft.

      »Diesen Freitag?«

      »Ja.«

      »Was bedeutet Schweizer Lager?«, wollte ich wissen.

      »Was das bedeutet, können Sie in diesem Papier ganz genau nachlesen; ist eigentlich ein Brief, der von Rechts wegen niemals hätte geschrieben werden dürfen.« Er drückte mir ein ganz klein zusammengefaltetes Päckchen Papier in die Hand und schloss meine Finger darum. »Ich habe das von jemand bekommen, der mich für vertrauenswürdig hält. Derjenige hat es ebenso wieder von einem anderen bekommen und ich gebe es Ihnen weiter. Wenn dieser Brief einem Falschen in die Hände fallen sollte, ist das Leben des Briefbesitzers keinen Pfennig mehr wert. Wer immer diese Dinge aufgeschrieben und weitergegeben hat, hat unser aller Leben riskiert, als er den Brief weitergab. Wenn die Gestapo den jeweiligen Besitzer in die Klauen bekommt, werden die Herrschaften im Handumdrehen den Weg der Besitzer zurückverfolgen können. Und die machen kurzen Prozess. Denn die Herren möchten auf keinen Fall, dass bekannt wird, was in diesen Lagern passiert. Ich finde, man muss berichten, was geschieht, sonst wird es womöglich irgendwann heißen, dies sei alles gar nicht wahr; Hirngespinste, Gräuelpropaganda und dergleichen. Lesen Sie und geben Sie den Brief weiter, aber bitte sehr, sehr vorsichtig. Und wenn man Sie verfluchterweise tatsächlich damit erwischen sollte, fressen Sie die Blätter auf. Noch baut die Reichsführung auf absolute Geheimhaltung, was die Judenfrage dezidiert bedeutet. Das Ganze wird allerdings langsam durchlässig wie ein poröser Schwamm. Und deswegen wird jedermann möglichst versuchen, die Wahrheit unter den berühmten Teppich zu kehren, notfalls mit weiterem Mord und Totschlag, nur um hinterher zu behaupten, niemand hätte von nichts etwas gewusst. Kann man nur hoffen, dass diesen Schutzbehauptungen nicht geglaubt wird, wenn der Spuk dann mal vorbei ist.«

      Mir lief es kalt den Rücken hinunter.

      »Wird man also uns, die wir mit Ariern verheiratet sind, ebenso abtransportieren?«

      Er nickte knapp. »Andere sind ja nicht mehr hier. Lesen Sie und verschwinden Sie!« Dann bat er mich, den Hof durch die Verbindungstür zum Keller des Nebenhauses zu verlassen. Dabei drückte Ehrhardt mich an sich. »Schalom sagt man ja wohl bei Ihnen.« Mit diesem Wort hatte mich schon lange kein Mensch mehr verabschiedet. Er verzog den Mund und stieß Luft hörbar durch die Nase, schüttelte den Kopf und ließ mich stehen.

      Ich hatte das kleine Papierpäckchen ins Schweißband meines Hutes gesteckt und war dann so unauffällig wie möglich zurück in Richtung Altmarkt gegangen. Was mochte denn nur so Ungeheuerliches aufgeschrieben sein? Gelesen habe ich den Brief heute Mittag im Verschlag, dem Judenkeller unseres Hauses. Außer bei Vor- und Vollalarm hält sich keine Menschenseele auch nur in seiner Nähe auf. Und niemand hat mich beim Lesen überrascht.

      Die Worte standen deutlich lesbar in lateinischen Druckbuchstaben geschrieben.

      9.

       Birkenau im Winter 1943

      Ich kann nicht mehr. Wenn man diese Zeilen liest, werde ich bereits tot sein. Ich, der SS-Mann von der Rampe.

      Ich muss dies einfach loswerden, denn trotz allem Schnaps, den man uns zu den Einsätzen an der Rampe spendiert, kann ich mit dem, was wir hier in Birkenau machen, nicht mehr leben.

      Für heute waren wieder Ofentransporte angekündigt; wie leichthin kann ich nur diesen Begriff benutzen? Ich hatte gehofft, dass es mit diesen Transporten allmählich vorbei sein würde, dass es endlich nicht mehr genug Leute gäbe. Ich habe mich getäuscht. Und zwar gründlich! Das Grauen geht weiter. Und am widerlichsten empfinde ich, dass manche Kameraden sich geradezu auf diese Transporte freuen, denn jeder mit lebenden Kadavern gefüllte Waggon bringt erhebliche Gewinne mit sich. Die Hiwis, die Hilfswilligen, Häftlinge, die als Hilfskräfte die eigentliche Arbeit an der Rampe machen, johlen vor Begeisterung auf die zu erwartende Habe der Transportierten. Wir SS-Männer sind ja im Grunde nur zur Aufrechterhaltung der Ordnung da. Nur!

      In der Hilfswilligen-Baracke sind diese Hiwis separat untergebracht, damit die anderen Zwangsarbeiter nicht mitbekommen, wie verhältnismäßig gut es denen im Gegensatz zu den normalen Häftlingen geht. Ich bemerke den Melder, der wie üblich vor diesen Transporten in die wiederum separat abgegrenzte Ecke des Barackenältesten eilt. Daraufhin tritt der Kalfaktor hoheitsvoll aus seinem Verschlag.

      »Raus, Männer, eine Lieferung kommt!«

      Im nächsten Augenblick sind die Hiwis in der frostklirrenden Kälte draußen. Saukalt ist es, verflucht noch mal, und die Helfer warten in der eisigen Kälte nur mit den gestreiften Anzügen bekleidet, man mag es kaum glauben. Ich habe wenigstens den Schnaps. Meine Feldflasche ist schon halb leer und kalt ist mir trotzdem, der Wehrmachtsfusel taugt nichts.

      Ein verschlafener SS-Kamerad hält eine große Tafel in der Hand und zählt die Hiwis zu je fünf Mann pro Reihe ab. Zwanzig Reihen marschieren an ihm vorüber und nach ein paar Hundert Metern erreichen sie die Rampe von diesem Viehbahnhof. Früher wurden von diesem Scheißkaff aus wahrscheinlich Rindviecher zum Schlachten abtransportiert - heute werden Menschen hergekarrt, um wie Schlachtvieh ins Gas zu gehen. Zum Kotzen; die Feldflasche kann ich hoch an die Lippen setzen, da kommt nichts mehr heraus. Werde ich mir von der plattbusigen, hässlichen Sturmführerin erneut auffüllen lassen. Das ist

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