Ganz für sich allein. Werner Koschan

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Ganz für sich allein - Werner Koschan

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Dampferanlegestellen zusammen und beschreibe die knospenden Pflanzen am Terrassenufer, die ich gar nicht gesehen habe, denn die Brühlsche Terrasse dürfen wir Juden seit Langem nicht mehr betreten. Diese Lüge müsste Carola eigentlich auffallen, aber sie hört mir wohl gar nicht zu. Ich erzähle dennoch weiter, dass ich am Sachsenplatz vor der Albertbrücke wie immer eine regelmäßige Pause eingelegt und den Verkehr betrachtet hätte. Weshalb sollte sie meiner Schilderung denn zuhören? Ich rede ja sowieso jeden Tag das Gleiche, fällt mir heute auf. Weiter spaziere ich sonst auch stets das Hindenburgufer unter den wertstrotzenden Villen der Bonzen vorbei bis zum Feldherrnplatz und von dort dann direkt am Wasser entlang bis zum Blauen Wunder und wieder zurück. So finde ich täglich viel Zeit zum Nachdenken.

      Nun sitze ich in meinem geliebten Erker und grüble, bis Carola mich zum Abendessen ruft. Es gibt eine dicke Scheibe Brot mit Margarine und Salz. Wo Carola die Margarine organisiert hat, bleibt ihr Geheimnis, denn die Fettmarken für den Februar sind von uns längst verbraucht.

      Wir kauen mechanisch und vollkommen schweigend, ohne dass ich einen Grund dafür nennen könnte. Wir sprechen wirklich kein Wort miteinander, was recht ungewöhnlich ist. Ob Carola irgendeine Vorahnung hat, was mit mir am Freitag geschehen wird?

      »Möchtest du noch eine Tasse Tee?«

      »Gern«, sage ich. »Haben wir denn Tee? Warum setzt du mir diese dünne Brühe vor, wenn wir Tee im Hause haben?«

      »Du bist widerlich, Jakob. Ich kann nichts dafür, dass es nichts gibt«, meint sie niedergeschlagen.

      Plötzlich heulen die Sirenen nicht Voralarm, sondern direkt Vollalarm.

      »Was soll denn das jetzt?«, frage ich. »Ich hatte bisher geglaubt, die Engländer und Amerikaner seien abergläubisch. Die werden nicht ausgerechnet einen Fliegerangriff an einem 13. beginnen. Ojweh, so was geht nicht gut aus.«

      »Bleiben wir hier oder möchtest du in den Keller?«, fragt Carola. »Wahrscheinlich trifft es uns gar nicht. Hoffentlich ist Berlin wieder an der Reihe. Wenn sie dort bloß alles zerstören würden und dieser Irrsinn zu Ende wäre!«, fleht Carola erbittert.

      »Das ist nicht sehr human, Carola. Die Menschen in Berlin haben nicht mehr Schuld als wir andern Deutschen.«

      »Doch, von dort geht der ganze Irrwitz aus. Es ist gerade mal zwei Jahre her, da haben vor allem die Berliner ›Jaaa‹ gebrüllt, dass sie endlich ihren totalen Krieg haben wollten! Nun sollen besonders die Berliner diese Suppe auslöffeln. Jede Bombe, die auf diese Miststadt fällt, spricht mir aus dem Herzen.«

      Carolas Augen funkeln wie die eines Racheengels. Sie sieht zum Verlieben furchterregend aus. Aber sie hat unrecht.

      »Nein, Carola, das ist so nicht korrekt. Diese Berliner im Sportpalast, waren nur eine Horde Verblendeter. Diese Schreihälse waren sämtlich organisiert. Ich bin mir sicher, dass die meisten Deutschen diesen Krieg auch nicht wollen.«

      »Ja, mittlerweile. Das stimmt. Und nachdem Warschau und Paris besetzt waren, haben sie alle gejubelt und sich gegenseitig auf die Schultern geklopft, was sie für tolle Übermenschen sind. Und den österreichischen Gefreiten nannten sie mit einem Mal Gröfaz. Gröpfaz hielte ich für passender. Nicht größter Feldherr, sondern größte Pfeife aller Zeiten, so wär’s richtig. Ja, jetzt haben die Leute die Nase voll vom Krieg; jetzt wo sie merken, dass es nicht klappen wird. Nicht klappen darf! Und du nimmst diese Armleuchter in Schutz. Ausgerechnet du!«

      »Ich nehme nicht die Nazis in Schutz. Die dürfen meinetwegen samt und sonders verrecken. Ich empfinde dagegen Mitleid mit den einfachen Leuten in ihren einfachen Kellern oder Splittergräben. Die tun mir leid. Ja.«

      »Von denen haben trotzdem sehr viele brav ihr Kreuzchen gemacht. So viele haben Hitler gewählt, als von Gott gesandtem Heilsbringer nahezu herbeigesehnt. Und jeder, der sein Kreuz für ihn gemacht hat, konnte vorher ganz genau wissen, was seitdem exakt so geschehen ist. Wir haben seinen Phrasenkatalog beide gelesen und ich muss sagen, darin steht alles genauso beschrieben, wie es eingetroffen ist. Jeder andere hat ebenso dieses Buch lesen können, aber man wollte ja nicht. Bloß nicht nachdenken, vor allem, da mit einem Mal so viele Arbeitslose von der Straße verschwunden waren. Na wenn schon, wenn die letztendlich nur Waffen, Panzer und Rollbahnen dafür sowie Bomben bauen durften. Hurra doch! Und wer hat diese Bomben dann auf friedliche Zivilisten geworfen? Wer hat mit dem Morden begonnen? Deutsche und niemand sonst! Von Berlin aus wurden die Bomber nach Coventry geschickt, nach Rotterdam, nach Warschau. In den Wochenschauen haben Millionen Deutsche die Bilder vom Untergang dieser Städte beklatscht. Da ist es nur recht und billig, wenn die anderen zurückschlagen. Wir haben es mehr als verdient, dass man uns das Land in Schutt und Asche legt. Wir haben es uns redlich verdient!«

      So hatte ich Carola noch nie erlebt. Sie, die möglichst nirgends auffallen wollte, redet plötzlich so energisch.

      »Das meinst du sicherlich nicht ernst, Carola.«

      »Oh ja, das meine ich ernst, weil ich Angst davor habe. Was werden die anderen mit uns machen? Und wenn es nicht so schnell geht, wie wir hoffen, was werden unsere eigenen Leute mit uns machen? Das stelle ich mir sogar viel schlimmer vor. Manchmal wünschte ich, die Amerikaner hätten Bomben, die auch die sichersten Bunker der Bonzen durchschlagen können. Dann wäre Ruhe.«

      Was soll ich darauf entgegnen? Sonderbare Gedanken. Wir schweigen wieder und warten.

      Man wartet auf etwas, was man mittlerweile genau kennengelernt hat und hofft dennoch, das dunkle und schnell lauter werdende Brummen vieler Flugzeugmotoren möge abdrehen und einen anderen Ort heimsuchen. Zugegebenermaßen ein zutiefst unsozialer Gedanke, aber in diesem Augenblick wünsche ich mir dies ähnlich wie Carola, denn das Brummen lässt nicht nach. Und dann steigt mir das Entsetzen den Nacken hinauf, denn man hört Einschläge.

      Die ersten Einschläge klingen relativ weit weg. Das dumpfe Knallen wechselt rasch zu lautem Krachen. Das metallene Inferno kommt tatsächlich immer näher. Dann beginnt das Licht zu flackern. Und die Angst schnürt mir den Atem ab, weil ich weiß, dass man es ohne Licht schon gar nicht aushalten kann.

      »Hast du einen Ton Voralarm gehört?«, frage ich.

      »Nein, ich habe auch nicht darauf geachtet.«

      Wieso hat man keinen Alarm gegeben? Vielleicht haben wir ihn nur nicht gehört? Carolas langer Monolog brachte meine Gedanken wohl ein wenig durcheinander. Da glaubt man, einen Menschen durch und durch zu kennen, und dann stellt er sich urplötzlich in ein völlig anderes Licht. Irgendwo hat sie ja recht. Na, hoffentlich rächt sich diese Einstellung jetzt nicht.

      In der Küche platzt die Fensterscheibe und reißt die Verdunkelung mit sich zu Boden. In der gleichen Sekunde erreichen uns die üblichen ›Licht aus!‹-Schreie. Irgendwer scheint immer draußen herumzustehen, in der Hoffnung sich auf diese Weise ein wenig wichtig tun zu können. Sonderbare Kreaturen. Geschwind stehe ich auf und laufe zum Fenster. Ich sehe vereinzelte Lichtfinger der Flak leuchtend den Himmel absuchen. Ich kann Flugzeuge erkennen. Die Hundesöhne da oben in ihren Blechzylindern haben jetzt hoffentlich auch die Hosen gestrichen voll. Komisch, wenn man sich in diesem Moment gegenübertreten könnte und einander in die Augen blicken, was würde wohl geschehen? Na klar haben manche sicherlich Spaß daran, zu zerstören. Aber die meisten wollen wahrscheinlich bloß die Bomben abladen und dann weg!

      Müßige Gedanken, Jakob Löwenthal, denke ich und drücke die Verdunkelung wieder vor den Fensterrahmen. Dabei lausche ich dem Herannahen weiterer Fliegergruppen. Und was mich total verunsichert, ich vernehme Glockengeläut. Ich schaue Carola an. »Hörst du das?«

      »Die Explosionen sind ja

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